„Im Gespräch mit dem Team kam der Wunsch auf, 'traditionelle Oper' zur Aufführung zu bringen. Und da fiel der Name Puccini, auch weil sich 2024 zum 100. Mal der Todestag des Komponisten jährt“, sagt Matthias Lošek und erklärt auch, was diese Oper für ihn bedeutet. <BR /><BR /><BR />„Obwohl ich der künstlerische Leiter der zeitgenössischen Oper im Haydn Orchester bin, bleibt Puccinis 'La Bohème' meine absolute Lieblingsoper. Ich habe ganz große Ehrfurcht vor diesem Werk, und ich habe lange nicht gewusst, wie man diese Oper anders inszenieren könnte als in den letzten 20 Jahren. Seit Baz Luhrmann sie Mitte der 1990er Jahre in Sidney aufgeführt hat, hat sich die Darstellung auf der Bühne grundlegend geändert. Bis dato hatte man Rodolfo und Mimì mit 50-Plus-Jährigen besetzt, ab dem Zeitpunkt ging es um Wahrhaftigkeit in der Oper“, so Lošek.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="966073_image" /></div> <BR /><BR />Lange habe er sich mit seiner wichtigsten Vertrauten ausgetauscht, seiner Frau, die ihn am Ende fragte: „Und wer soll da Regie führen? Wer soll das nach deinen Ideen machen?“ Da wurde ihm bewusst, dass er selbst nach 24 Jahren wieder in den Ring steigen müsse. Und das Orchester, und der Chor sollten Teil der Bühne sein.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="966076_image" /></div> <BR /><BR />Worum geht es da: „4 junge Menschen, ein Schriftsteller, ein Maler, ein Musiker und ein Philosoph leben in einer Mansarde in Paris. Sie sind am Beginn dessen, was ein Schaffensprozess sein könnte. Gegenüber wohnt eine junge Schneiderin: 'Mi chiamo Mimì'. Rodolfo, eigentlich vergeben, verliebt sich in Mimi – ich nenne es ein Requiem für Mimi. Denn die Tragik dieser Figur, sie stirbt, ist von Anfang an greifbar…“, erklärt der Künstlerische Leiter.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="966079_image" /></div> <BR /><BR />„Es ist die grausamste, schönste, aktuellste Oper, die je geschrieben wurde. Und am Ende, schreit Rodolfo: 'Mimi!' Die Frage stellt sich, was wird mit Rodolfo nun passieren? “, so Lošek . Die Antwort findet sich in Margit Oberhammers Rezension.<BR /><BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="966082_image" /></div> <BR />Er habe große Ehrfurcht vor dieser Oper, in der es um Menschen gehe auf der Schwelle von der Jugend zum Erwachsenenleben, und um eine Oper, die von Hoffnung, Träumen, Leidenschaft, Liebe und Tod erzählt. „Andere Heldinnen dürfen sich rächen oder sich opfern, bevor sie sterben. Mimì aber ist tot – Mimì è morta. Das ist unfassbar. Diese Oper ist pure Magie, Leidenschaft. Alle Sänger und Sängerinnen sind sehr jung, denn mir geht es um Wahrhaftigkeit, auch wenn vielleicht nicht jeder Ton perfekt ist…“, sagt Lošek. (eva)<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="966085_image" /></div> <BR /><h3> Margit Oberhammer bespricht die Oper „La Bohème“</h3><BR />Es ist ein Kreuz mit der Liebe. Die erste Opernaufführung der Saison führt es deutlich vor. Ein kreuzartiges Gebilde dominiert die Bühne. Die Assoziation zum Christbaum stellt sich erst nach und nach ein. Die Geschichte von Rodolfo und Mimì spielt in der Weihnachtszeit.<BR /> Die ersten Takte im Orchester lassen keinen Zweifel daran, dass es sich um ein melancholisches Weihnachten handelt. Die Regie beschwört die Vergänglichkeit herauf und baut zu diesem Zweck eine Rahmenhandlung: Ein kleines Mädchen blättert in einem Buch mit Erinnerungen. Wie aus der Vergangenheit weht das Leitmotiv aus Puccinis „Capriccio Sinfonico“ auf die Bühne. Hoffnungen und Träume – sie waren einmal. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="966088_image" /></div> <BR />Auf der von <b>Norbert Chmel</b> eingerichteten Bühne geht es karg zu. Auf einer Seite Schneiderpuppe und Stickrahmen, die Utensilien der Stickerin Mimì, auf der anderen die angedeutete Bude der Pariser Bohemiens. <b>Puccini</b> hat auf das Milieu seines Meisterwerks „La Bohème“ großen Wert gelegt, selbst am Libretto mitgearbeitet. Er ließ sich von <b>Henri Murgers</b> literarischer Beschreibung der Pariser Künstler- und Intellektuellenszene um die Mitte des 19. Jahrhunderts genauso inspirieren wie von seinem eigenen Studentenleben im großstädtischen Mailand. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="966091_image" /></div> <BR /><BR />Regisseur <b>Matthias Lošek</b> nimmt Puccinis Realismus auf eine eigene, leicht verfremdete Weise ernst. „There is no future“ steht als Graffito an einer angedeuteten Mauer, später ergänzt durch „But now“. Die Inszenierung siedelt die Männer-WG zwischen Öko-Anarchismus, dem Traum von einer besseren Welt und der existenzialistischen Feier des Augenblicks an. Um ihre kalte Bude aufzuheizen, streiten sich der Schriftsteller Rodolfo (<b>Alessandro Scotto di Luzio</b>), der Maler Marcello (<Fett>Matteo Loi</Fett>), der Musiker Schaunard (<b>Gianni Giuga</b>) und der Philosoph Colline (<b>Matteo D’Apolito</b>), zu peitschenden Orchesterrhythmen um den geeigneten Brennstoff. <BR /><BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="966094_image" /></div> <BR /><BR />Rodolfo wirft schließlich sein Dramenmanuskript mit pathetischer Geste ins imaginäre Feuer. In seinem eleganten Anzug (Kostüme: <b>Oliver Mölter</b>) passt Rodolfo besser zum schnöseligen Vermieter Benoit (<b>Lorenzo Ziller</b> in mehreren Rollen) als zu seinen abgerissenen WG-Kollegen. Ein wohlhabender Lebemann, der den Ausflug zu den Bohemiens intellektuell aufregend findet? Spielt er als Liebender ebenfalls nur eine Rolle? Alessandro Scotto di Luzio würde sichtlich gerne, ganz italienischer Heldentenor, große Gestik ausfahren. Er sitzt jedoch gebremst auf seinem Stuhl, nachdem er das eiskalte Händchen seiner Flurnachbarin Mimì ergriffen hatte. Er weiß nicht, wohin mit seinen Händen, spielt gekünstelt Aufmerksamkeit für Mimìs Lebensgeschichte. So recht will sich das Regiekonzept von Matthias Lošek mit den Anleihen beim epischen Theater nicht erschließen. Es ist besser, sich auf die Musik zu verlassen. Rodolfos Gefühlsausbrüche sind glaubhaft, Alessandro Scotto di Luzio verleiht ihnen in den mittleren und tiefen Lagen viel Wärme, er lügt nicht, auch wenn die Stimme in großer Höhe etwas scheppert. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="966097_image" /></div> <BR />Hauptsächlicher Protagonist dieser „Bohème“ ist das Orchester. Zurecht von der Regie sichtbar auf die Bühne gebracht, bildet es gemeinsam mit dem Dirigenten <b>Timothy Redmond</b> das magnetische Zentrum. Dem <b>Haydn Orchester</b> gebührt höchstes Lob; die Musiker spielen die Schattierungen, die feinen Gefühlsabstimmungen in der selbstverständlichen Leichtigkeit, die dieser Oper eigen ist. Redmond hält das Geschehen zusammen, präzise, geschmeidig in den Übergängen. Er hält es auch zusammen im quirligen zweiten Bild. Neben den 2 Chören, den Szenen auf der Straße und im Kaffeehaus, beherrscht <b>Galina Benevich</b> als kokette Musette das Spiel im Spiel. Gesanglich souverän, zieht sie eine ziemlich dick aufgetragene Show ab, heizt Marcellos Eifersucht an, von Matteo Loi mit durchdringender bis greller Stimme vorgebracht. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="966100_image" /></div> <BR /><BR />Nach der Pause kippt die Oper ins Tragische. Es ist kalt, drinnen und draußen. Arbeiter räumen imaginären Schnee weg, der Christbaum leuchtet bläulich wie ein Eiskristall, die leeren Quinten im Orchester klingen schauerlich. Verlassener als die kranke, hustende Mimì an der Pariser Zollstation auf der Suche nach Rodolfo kann man nicht sein. <b>Alexandra Grigoras</b> zeigt, was in ihr als Sängerin steckt und ebenso die Stärke ihrer sterbenskranken Protagonistin. Herzzerreißend das „Addio“, bevor es im vierten Bild endgültig ans Sterben geht. Galina Benevich wandelt sich glaubhaft zur warmherzigen und hilfsbereiten Freundin Musette, Alexandra Grigoras macht durch Ausdruck wett, was ihr noch an technischer Brillanz fehlen mag. Sie weiß, was sie singt, ihre mit reichem Innenleben ausgestattete Mimì ist trotz aller Zurückhaltung eine selbstbewusste Liebende. <BR /><BR /><BR />Am Schluss wandelt sich der Christbaum endgültig zum Kreuz. In der Finsternis leuchtet es strahlend hell.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="966103_image" /></div> <h3> Termine</h3><BR />21. November 19 Uhr, Stadttheater Bozen, Werkeinführung um 18 Uhr <BR />21./22. Februar, Teatro Sociale von Trient 19 Uhr<BR /><BR /><BR />Nächste Opern: <BR /><b>LORIT</b> von Marius Binder, Siegerprojekt der 4. Ausgabe des Musiktheaterwettbewerbs FRINGE; <BR />21. Jänner, Teatro SanbàPolis Trient;<BR />23. Jänner, Stadttheater Bozen;<BR /><BR /><b>DORIAN GRAY</b> mit Kompositionen von Matteo Franceschini<BR />16./17. März, Stadttheater Bozen <BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><BR />