Und dass Anna Netrebko ihr Publikum nicht nur mit kulinarischen Gustostückerl, sondern auch mit relativ unbekannten, ja sogar sperrigen Liedern begeistern kann, bewies sie am Montagabend bei den Salzburger Festspielen.Netrebko hat sich für ihren Auftritt und die CD-Aufnahme im Großen Festspielhaus Lieder von Nikolai Rimski-Korsakow (1844-1908) und von Peter Iljitsch Tschaikowski (1840-1893) ausgesucht. Die Bitte um möglichst leises Husten des Publikums blieb unerhört, und auch das Hineinklatschen in viele verklingende Schlusstöne ließ sich das Publikum nicht verbieten. Netrebko und Klavier-Partner Daniel Barenboim haben das Konzert daher kurzentschlossen um eine Viertelstunde gekürzt und nur zwei karge Zugaben gegeben, wohl um Zeit für Nachbesserungen der Aufnahme zu haben. Am Ende war das gar nicht nötig, die Live-CD muss wohl auch so gut geworden sein.Ungenauigkeiten trübten Abend nicht Technisch perfekt war der Auftritt Netrebkos und ihres Begleiters nicht. Viele kleine Intonations-Ungenauigkeiten am Anfang und ein paar Uneinigkeiten im Tempo mit Barenboim trübten den Abend aber nicht wirklich. Denn Netrebkos Performance auf der Bühne (vor der Pause ein Kleid in einer Mischung aus altrosa und lila, dann eines in russischem Folklore-Schwarz) und vor allem ihr variantenreicher Ausdruck sind und bleiben Weltklasse. Nie drückt sie auf die Tube nur des Effektes wegen. Immer interpretiert sie auf ganz persönliche Art und erzählt eigene Geschichten mit den Texten von Puschkin, Nekrasow, Tolstoi oder Surikow. Netrebko ist und bleibt ein Erlebnis.Netrebkos Spiel mit Klangfarben begeistertDas liegt - ganz entscheidend - an ihrer Stimme, die nach der Babypause hörbar an Reife und Tiefe gewonnen hat. Sensationell, wie Netrebko mit den Farben spielt und umschalten kann von dunklem, kehligem Klang zu strahlend hellem, glasklarem Soprantimbre, mit dem sie das Festspielhaus mühelos mit Stimme füllt. Auf voluminöse Kraft und Größe folgt ein gehauchtes Piano, und alles ist wohldosiert und passt perfekt zu ihren russisch-dramatischen Gesten. Netrebkos Stimme tut (fast ausnahmslos), was Netrebko will. In allen Lagen spielt sie mit allen Facetten des Klangs - und nicht nur dort, wo es technisch leicht geht.Barenboim war auch gestern Abend - wie so oft, wenn er am Klavier sitzt - nicht gewillt, auf andere bedingungslos einzugehen. Er hat seinen eigenen Kopf und kocht sein eigenes Süppchen - anschmiegsam begleiten ist seine Sache nicht. Damit verleiht er seinem Klavierpart eigenen Charakter. Der Preis dafür sind Ungereimtheiten mit Ecken und Kanten. Aber Netrebko hielt dem knochigen Argentinier stand. Und diese Spannung hat das Publikum begeistert, aller introvertierten Lyrik der russischen Romantik zum Trotz. Die Reaktionen sind allerdings nicht so euphorisch ausgefallen, wie der Ansturm auf die Eintrittskarten hätte vermuten lassen. Seit Monaten ist dieser Liederabend um ein Vielfaches überbucht.Christoph Lindenbauer/apa