Bei unglaublich erdiger, auch spiritueller Fantasie, gibt es bei ihm keinen Mittelweg, sondern das Extrem von narkotisierender Wirkung. So ist es bei der Neuinszenierung von „La Cenerentola“, wo der souveräne Dirigent Jan-Christophe Spinosi mit seinem einzigartigen Originalklang „Ensemble Matheus“ in einer genialen Deutung mit dem fantastischen Regisseur Damiano Michieletto und mit der illustren Superdiva Cecilia Bartoli in der Titelrolle ein unbeschreibliches Freudenfest zelebriert.Was sich da von der Bühne über den Orchestergraben in Publikum überträgt, ist eine realistische, gegenwärtige Gesellellschaftstudie mit dem Anstrich surrealistischer Traumfantasien und von absurden Situationen, die sich immanent einprägen. In diesem „Dramma Giocoso“ ist schon deshalb alles so einzigartig, weil neben dem wundervollen Bühnenbild von Paolo Fantin, den immer situationsbezogenen Kostümen von Agostino Cavalca, dem überaus poetischen Videodesign „Rocafilm“, naturgemäß der herausragenden Lichtgestaltung, die wohl beste technische Gestaltung der Salzburger Festspiele bei den perfekten offenen Verwandlungen ein Garant für Unvergessliches ist.Rossini und sein Librettist Jacopo Ferretti haben ja unter enormen Zeitdruck gearbeitet, und es gab wie immer Verzögerungen, deshalb ist auch die Ouvertüre gar nicht von „Cenerentola“ und die Arie des Tenors (Don Ramiro) wurde einfach vom „Il Barbiere di Siviglia“ genommen, weil sie allgemein gestrichen wurde. Die Handlung weicht vom Original „Aschenbrödel“ ab, zwar gibt es die bösen Stiefschwestern, aber keine Mäuse, weil Rossini keine Märchen – sondern eine Zauberoper wollte.Ferretti musste die berühmte Schuhprobe streichen, weil nackte Frauenfüße nicht gezeigt werden durften. Kurzum: Don Ramiro braucht eine Frau und bekommt Angelina, die „Cenerentola“, das Aschenbrödel. Es gibt Schwachstellen bei der Musik, z. B. das Gewitter, aber das wurde verlangt. Michieletto inszeniert mit einem außergewöhnlichen Gefühl totales Musiktheater, denn jeder Solist, jeder Chorsänger, oder Statist, singt, spielt, oder tanzt, und alle sind Individuen von rhythmisierender Wendigkeit.Selten ist der Chor so perfekt durchinszeniert zu sehen, alles spielt sich zunächst im „Buffet“ einer Kantine mit abgewetzten Kleidern, dann nach einer wunderbaren sichtbaren Verwandlung beim Fest im noblen „Palace“ in Designkostümen, ehe am Schluss bei der quickfidelen weißgekleideten „Prinzessin“ Cenerentola, alle vor ihr im Seifenblasenregen putzendend knien. Einfach wunderbar, konsequent, pointenreich und witzig, denn es spielt im Raum, nicht klischeehaft an der Rampe.Die Geschichte ist die Bühne des Zufälligen, und dazu wird wunderbar gesungen. Cecilia Bartoli singt abrupt wechselnd, zwischen berührender Poesie (bei der ersten Begegnung mit Ramiro) und illustrativen Koloraturkaskaden mit bebender staccato Elastizität alle (Höhen Tiefen!) Register. Es perlt und schnattert bei ausgelebten Fiorituren. Ja, diese Superdiva ist ein monumentales Crescendo, sie will und kann alles, ist aber szenisch eingeordnet mit den anderen, die nicht nur bei den verrücktschönen Ensembles oder Concertati mit ihr glänzen.Fantastische Musik zum freuen. Javier Camerana ist als anspruchsvoller Don Ramiro wunderbar, Ezio Capuano ein Klasse Magnifico, herrlich Nicola Alaimo als potenter Dandini, auch der geheimnisvolle strippenziehende Zauberer Alidoro (Ugo Guagliardo), sowie Clorinda (Lynette Tapia) und Tisbe (Hilary Summers) sind stimmlich glaubhaft. Stendhal schrieb über „Cenerentola“: „Mann kann nicht umhin, fröhlich zu sein!“ Genau, denn hier wird Musiktheater gemacht, das alle sehen sollten!C. F. Pichler