<b>Bald ist es soweit: Das erste Südtirol Jazzfestival unter eurer Regie beginnt am 30. Juni, aufgeregt?</b><BR />Max von Pretz, Stefan Festini Cucco, Roberto Tubaro: Wir haben sehr viel Arbeit und Leidenschaft in diese Festivalausgabe investiert. Jetzt freuen wir uns einfach, dass es endlich losgeht. Es ist unser erstes Festival als neue künstlerische Leitung und die Verantwortung ist groß, deshalb ist natürlich auch ein bisschen Aufregung mit dabei, aber das ist auch gut so. <BR /><BR /><b>In über 30 Jahren hat Klaus Widmann aus einem kleinen, aber sehr elitären Jazzfestival ein großes Jazzfest fabriziert, eines der wichtigsten Festivals in ganz Südtirol. Nun habt ihr zu dritt seine Rolle übernommen, was ändert sich ab dem 30. Juni?</b><BR />Von Pretz, Festini Cucco, Tubaro: Das Grundkonzept des Festivals ist ähnlich wie in den letzten Jahren, da wir die künstlerische Vision von Klaus Widmann seit jeher teilen und in den vergangenen Jahren auch mitgeprägt haben. Wir sind in unserer Mitarbeit mit der Ausrichtung des Festivals und der Programmierung mitgewachsen und wollen in diese Richtung weitergehen, aber das Festival auch weiterentwickeln. In diesem Jahr gibt es deshalb auch mehrere neue Formate und Locations. <BR /><BR /><b>Mainstream war in den vergangenen Jahren nicht angesagt, sondern Neuentdeckungen und die Kreation vor Ort von neuen kleinen, interessanten Jazzformationen. Euer Programm dockt da an, zeigt aber auch eine Weiterentwicklung, „mit unorthodoxen Spielplätzen und einem innovativen und stilistisch entgrenzten Sound“ habt ihr verlauten lassen. Das bedeutet konkret?</b><BR />Von Pretz, Festini Cucco, Tubaro: Spezielle Konzertorte waren immer eine Stärke des Festivals und das soll auch in Zukunft so bleiben, deshalb halten wir stets die Augen nach ausgefallenen Veranstaltungsorten offen. Die Verbindung zwischen diesen Orten und einer akkuraten Musikwahl soll schöne Situationen schaffen, manchmal auch Kontraste aufzeigen, soziale Begegnungen begünstigen und die Konzerte zu einem Erlebnis machen. Viele der jungen Generation von Musikerinnen und Musikern, die beim Festival auftreten, wollen ihre Schaffenslust und Kreativität ausleben und möchten sich nicht einer einzigen Musikrichtung zuordnen. Genau solche Musiker suchen wir für das Festival. Mut zur Innovation, die Suche nach neuen Klängen und Spielweisen, das Überwandern von Grenzen und die Dekonstruktion von vorgegebenen Mustern und Kategorien sind uns bei der Musikauswahl sehr wichtig. Wir sehen es als unsere Aufgabe, Kreativität zu fördern, indem wir während des Festivals Gelegenheiten schaffen und Räume bieten, wo sich Musikerinnen begegnen und neue Projekte ins Leben rufen können.<BR /><BR /><b>Unorthodoxe Spielplätze gab es in den letzten 30 Jahren viele, diesmal fällt der Bunker H. in Bozen auf, wo Sun-Mi Hong aus Südkorea mit dem schottischen Trompeter Alistair Payne das Labyrinth aus Tunneln, engen Gängen und Hallen bespielt. Was darf man sich erwarten?</b><BR />Von Pretz, Festini Cucco, Tubaro: Beim Bunker H handelt es sich um eine sehr ungewohnte Konzert-Location. Der Gedanke, einen in Vergangenheit negativ konnotierten Ort wie einen Luftschutzbunker in einen Konzertort zu verwandeln, wo sich Menschen freiwillig und mit Freude hinbewegen, hat uns von Anfang an gefallen. Der Bunker beherbergt auch die eine oder andere Kuriosität: Hinter dem Bühnenbereich befindet sich ein kleiner See, in dem, während eines Filmdrehs mehrere Aale freigesetzt wurden und die seither darin wohnen. Das Duo mit Sun-Mi Hong am Schlagzeug und Alistair Payne an der Trompete passt ausgezeichnet in diese Situation und zu diesem mystischen Ort im Fels. Die Temperatur im Bunker beläuft sich ganzjährig auf 13°C, wir empfehlen daher eine Windjacke mitzubringen und hoffen, dass das Publikum sich nach dem Konzert dann auch wieder freiwillig wieder in die Bozner Sommerhitze begibt <i>(lachen)</i>.<BR /><BR /><b>55 Konzerte an 30 Orten: Einige sind neu und manche sind mit der Landesgeschichte verbunden…</b><BR />Von Pretz, Festini Cucco, Tubaro: Ja, dieses Jahr veranstalten wir auch wieder ein Konzert im Wipptal, und zwar beim Poschhausstollen in Ridnaun, auf 2000 Metern Meereshöhe. Das französische Trio „La Litanie des Cimes“ – zu Deutsch „Die Litanei der Gipfel“ – wird in der Nähe des Stolleneingangs in einem von Berggipfeln umringten Amphitheater spielen. Und in die Festung Franzensfeste kehren wir mit einem eigens konzipierten Format zurück. 3 Bläser des Sextetts „Ghost Horse“ werden das Publikum auf eine akustische Exploration der Festung führen, bei denen sie den Teilnehmenden die verschiedenen Raumklänge der Festung präsentieren. Nach der Führung spielt die Band „Ghost Horse“ in voller Besetzung im Außenbereich der Mittelfestung zum Konzert. <BR />Und ein Konzert, auf das wir uns sehr freuen, ist jenes von Antoine Boyer und Yeore Kim im Treffpunkt SEIN in Mals. Das ist ein Ort der Begegnung für Menschen mit psychischer Erkrankung.<BR /><BR /><b>Ganz neu ist jedenfalls das Clubbing in den Messhallen in Bozen: Techno, elektronische Musik, Jazzelemente und Kunst-Visuals verschmelzen. Wer hatte die Idee dazu, was wollt ihr damit bewirken? </b><BR />Von Pretz, Festini Cucco, Tubaro: Lange Zeit, vor allem in den Ursprüngen war Jazz eine Tanzmusik. Diese Eigenschaft ist im Laufe der Zeit, und vor allem später im europäischen Jazz, abhandengekommen. Mit dem Clubbing in der Messe Bozen wollen wir ein jüngeres Publikum begeistern, das üblicherweise nicht zu unseren Konzerten kommt. Oft wird Jazz als eine gefestigte Kategorie und mit einer Szene in Verbindung gebracht, die der Realität nicht entspricht – zumindest nicht der unseres Festivals. Diese Wahrnehmung, die durchaus auch eine Hürde darstellt, wollen wir überwinden: Zeitgenössischer Jazz ist auch für junge Menschen interessant.Durch das Clubbing gehen wir auf sie zu und wollen sie mit dem Jazzfestival in Berührung bringen. In Zusammenarbeit mit der Messe Bozen und HOSPIZ haben wir „Synergy“ geschaffen, ein Event, das 2 verschiedene Szenen, die eigentlich gar nicht so weit auseinander liegen, zusammenbringt – am besten tanzend! <BR /><BR /><b>Ihr habt auch einen Artist in Residence vorzuweisen: Dan Kinzelman residiert sowohl in der Festung Franzensfeste als auch beim Stanglerhof. Was erarbeitet er für das Südtirol Jazzfestival?</b><BR />Von Pretz, Festini Cucco, Tubaro: Der italo-amerikanische Saxophonist Dan Kinzelman wird für 3 Tage mit der Brixner Bassistin Ruth Goller im Stanglerhof in Völs residieren und arbeiten. Am Festivaldienstag werden sie dann am Stanglerhof zeigen, was sie „erspielt“ haben. Wir sind sehr gespannt, was bei der Begegnung dieser beiden herausragenden Künstler, die zum ersten Mal miteinander spielen, herauskommt. Im Anschluss wird Kinzelman gemeinsam mit seinen Bandkollegen Glauco Benedetti (Tuba) und Filippo Vignato (Posaune) einige Tage in recht spartanischen Verhältnissen in der Festung Franzensfeste wohnen, um die Räumlichkeiten akustisch zu erforschen. Und was sie dabei erforscht haben, werden sie bei den musikalischen Führungen in der Festung am 8. Juli zeigen. <BR /><BR /><b>In den letzten 10 Jahren gab es Länderschwerpunkte: Ihr habt diesmal alle vermischt: Niederlande, Deutschland, Frankreich… nach welchen Kriterien seid ihr vorgegangen?</b><BR />Von Pretz, Festini Cucco, Tubaro: Für diese erste unsere Ausgabe haben wir uns für die größtmögliche Freiheit in der Musikwahl entschlossen. So haben wir uns auf die Suche nach interessanten Projekten aus ganz Europa gemacht und dabei großartige kreative Musikerinnen aus den verschiedensten Ländern und Jazz-Szenen eingeladen. Wir sind sehr glücklich über die neuen Kombinationen und Projekte von teils sehr unterschiedlichen Musikern.<BR /><BR /><b>Apropos neue Projekte: KABARILA oder die Late-Night- Konzerte…</b><BR />Von Pretz, Festini Cucco, Tubaro: Die Late-Night Konzerte im Batzen Sudwerk finden täglich statt und beginnen kurz vor Mitternacht. Spätabends im Sudwerk kann es auch schon Mal etwas lauter und experimenteller werden. Mit KABARILA wollen wir ein neues Format von Konzertperformance schaffen, das rituellen Charakter hat. Je nachdem wie es beim Publikum ankommt, wollen wir dieses Format in den nächsten Jahren wiederholen; gleiche Zeit, gleicher Ort, gleiche Künstler und Künstlerinnen. Erneuerung und Innovation sind gut, aber auch Kontinuität und Wiederholung sind wichtig. KABARILA verschmelzt Musik und Tanz in einer Art Ritual. 4 Musiker und Musikerinnen und 2 Tänzer und Tänzerinnen beleben 5 Stunden das Sudwerk. Geleitet wird das Ganze vom Bassisten Lukas Kranzelbinder. Jeder kann mittanzen, sich hinlegen und entspannen, einfach nur zuhören und genießen. Eine Performance, die eben verschiedene Formen von Musikerlebnis bietet.<BR /><BR /><b>Als ihr euch zusammengetan habt und geplant habt, was war da euer Ziel, was wollt ihr neu schaffen und auch „nachhaltig“ (welch Unwort) in Südtirol verankern?</b><BR />Von Pretz, Festini Cucco, Tubaro: Wir wollen jungen, zeitgenössischen, qualitativ hochwertigen Jazz mit all seiner Vielfalt, sei es lokalem als auch internationalem Publikum, präsentieren. Ein Festival hat auch gesellschafts- und kulturpolitische Aufgaben; es ist uns wichtig, dass bei unserem Festival die Zuhörer den Musikern und Musikerinnen begegnen, sich kennenlernen, Zeit miteinander verbringen und das in spannenden Orten. Gute Musik verbindet. Den Musikern und Musikerinnen wollen wir auch die Möglichkeit bieten, sich untereinander auszutauschen, neue Projekte ins Leben zu rufen und mit Kollegen aufzutreten, mit denen sie vorher noch nie gespielt haben. So wollen wir aktiv zur Weiterentwicklung der Jazzmusik beitragen, junge Talente fördern und Musik zu den Menschen bringen. Gerade deshalb organisieren wir landesweit Konzerte. Und gerade deshalb wird das Festival auf lokaler und internationaler Ebene geschätzt – das möchten wir weiter stärken. <BR /><BR /><b>Wie kamt ihr eigentlich zum Jazz?</b><BR />Von Pretz, Festini Cucco, Tubaro: Wir haben alle 3 einen musikalischen Hintergrund, der recht unterschiedlich ist. Ich <i>(Stefan)</i> habe das Konservatorium in Bozen besucht, ich <i>(Max)</i> war früher mit live Bands unterwegs und ich <i>(Roberto)</i> bin aktiver Musiker. Alle 3 haben wir eine musikalische Bildung erfahren, allerdings nicht im Jazz. Befasst haben wir uns mit Jazz jedoch alle sehr früh und durch unsere langjährige Festivalmitarbeit haben wir vor allem die europäische Jazz-Szene immer besser kennen und lieben gelernt. <BR /><BR /><b>Und wo ist Klaus (Klaus Widmann, 30 Jahre lang Künstlerischer Leiter? Kommt er zum Südtirol Jazzfestival?</b><BR />Von Pretz, Festini Cucco, Tubaro: Da sind wir uns sicher! Die Organisation und Verwaltung des Festivals ist mit sehr viel Verantwortung und einem großen Arbeitsaufwand verbunden. Sich während des Festivals auf die Musik und die Konzerte einzulassen ist nicht immer einfach. Dieses Jahr kann Klaus die Musik und das Festival in vollen Zügen genießen. Wir freuen uns sehr, mit ihm auf die gemeinsame Zeit anzustoßen.<BR /><BR />