<b>Von Ferruccio Delle Cave</b><BR /><BR />Hunderte junger Musikerinnen und Musiker haben seit 1976, dem Gründungsjahr des European Union Youth Orchestra, einen festen Platz in einem renommierten Orchester Europas und den USA gefunden. Nun hat das Orchester einen neuen Dirigenten, den ungarisch-stämmigen Komponisten Iván Fischer.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1063563_image" /></div> <BR /><BR /><BR /> Das von verschiedenen erfahrenen Dirigenten geleitete und gecoachte Orchester hat sich in den letzten Jahren als großer orchestraler Klangkörper klanglich und interpretatorisch weiterentwickelt und einen eigenen Sound kreiert, der seit den letzten Jahren auch in Bozen die Musikfreunde begeistert. Zu diesem einheitlichen Klang haben prominente Dirigenten beigetragen, darunter jene zwei, die seit einigen Tagen auch in Bozen aufgetreten sind. <BR /><BR />Neben dem Italiener <b>Gianandera Noseda</b> auch <b>Iván Fischer.</b> 1951 in Budapest in die ungarische Dirigenten-Dynastie Fischer hineingeboren, haben die Brüder Ádám und Iván Fischer den Ruhm der Familie, den ihr Vater Sándor und ihr Cousin György begründet haben, in die Welt getragen. Bis heute leitet Iván Fischer das „Budapest Festival Orchestra“, das er 1983 in seiner Heimatstadt mitgegründet hat.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1063566_image" /></div> <BR />Unzählige Aufnahmen und Tourneen bezeugen den Rang des Dirigenten und seines Budapest Festival Orchestra. Und zu diesen Tonaufnahmen gehören nicht zuletzt die wichtigsten Orchesterwerke von Fischers Landsmann Béla Bartók. Der Musiker dirigiert aber keineswegs nur ungarische Musik, er liebt den Stilmix der einstigen Donaumonarchie. „Ich glaube, dass die Art, wie die Ungarn Musik machen, eine sehr interessante Mischung darstellt“, erklärt er dazu. Das Wiener Stilgefühl, die Streicher-Schule von Odessa, die typisch ungarischen Rhythmen und Klanglösungen sind Surrogate von Fischers Musikverständnis. <BR /><BR />Fischer hat am Budapester Konservatorium Cello und Komposition studiert, Dirigieren dann später bei Hans Swarowsky in Wien und war Assistent von Nikolaus Harnoncourt in Salzburg. Er profitiert von Harnoncourts historischem Ansatz, wie seine entschlackten Brahms- und Beethoven-Interpretationen mit dem Budapest Festival Orchestra zeigen. Sein feuriger Dirigierstil sorgt für das Salz in der Suppe. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1063569_image" /></div> <BR /><BR />Iván Fischer dirigiert viel in England und an der Lyoner Oper. Er ist beliebter Gastdirigent bei europäischen Spitzenorchester. Legendär ist die Einspielung aller Haydn-Symphonien mit dem ungarisch-österreichischen Haydn Orchester. Er ist auch großer Mahler-Dirigent. Seine Nähe zu Mahler setzte er in seiner Zeit als Chef des Berliner Konzerthausorchesters und dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks unter Beweis. <BR /><BR />Von Mahlers Erster sagt er: „Es ist so ein wunderbares Stück, es liegt mir sehr nah, vielleicht, weil ich darin sehr viel von diesem bürgerlichen, assimilierten jüdischen Background erkenne, den Mahler hatte – und aus dem ich selber komme.“ Das Werk habe mit jiddischen Volksliedern zu tun, aber auch mit Schubert. „Und diese Mischung habe ich sehr gern.“<BR /><BR />Iván Fischer hat vor einigen Tagen mit dem European Youth Orchestra Mahlers Erste zur Aufführung gebracht, sicher eine Sternstunde in der Südtiroler Mahlertradition. Dazu aber auch ein Werk des bei uns fast vergessenen ungarischen Komponisten Ernst von Dohnányi, nämlich seine Variationen über ein Kinderlied für Klavier und Orchester op.25 mit <b>Isata Kanneh-Mason</b> am Klavier. <BR /><BR /><?Schrift SchriftWeite="97ru"> Maestro Fischer ist im Exklusivinterview auf seine Rolle als Dirigent und Komponist, aber auch auf Mahlers Musik und die Zusammenarbeit mit dem European Youth Orchestra eingegangen.<?_Schrift> <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1063572_image" /></div> <BR /><BR /><b>Sie gehören zu den großen Dirigenten unserer Zeit und verbinden in Ihren Programmen immer auch Unkonventionelles mit Bekanntem, wenig Gespieltes mit den Perlen des symphonischen Repertoires. Dies auch in Ihrem Konzert mit dem Jugendorchester der Europäischen Union mit Musik des ungarischen Dirigenten und Komponisten Ernst von Dohnànyi und Gustav Mahlers Erster...</b><BR />Iván Fischer: Hier ist die Frage faszinierend, ob Dohnányi zu den bekannten oder unbekannten gehört. Er war ein Genie, Pianist, Komponist, Dirigent. In Ungarn ist er ein Begriff, weil er der Kopf im Triumvirat Bartók, Kodály, Dohnányi war. Diese 3 Giganten haben das ungarische Musikleben angeführt und belebt. International ist er aber noch immer ein Geheimtipp, nicht lange allerdings, denn er wird mehr und mehr auch in den Konzertsälen bekannter werden. <BR /><BR /><BR /><b>Sie haben auch bei Mahler Interpretations-Maßstäbe gesetzt. Wie erleben Sie seine Musik und was schenkt Ihnen, uns Gustav Mahler?</b><BR />Fischer: Ich schätze bei ihm vor allem die Ehrlichkeit. In der Zeit von Haydn und Mozart ging es um den guten Geschmack. Nach Beethoven wurde das Gefühl, der Ausdruck des Gefühls zum Zweck der Musik. Es ging aber um allgemeine Gefühle. Mahler ist rein persönlich, seine Musik ist wie eine Psychoanalyse in Klängen. Mahler hat uns, ganz ungehemmt, seine tiefsten Gefühle mitgeteilt. Diese Ehrlichkeit bewundere ich besonders. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1063575_image" /></div> <BR /><BR /><b>Wir feiern Anfang September den 200. Geburtstag Anton Bruckners. Mögen Sie seine Musik, und welche Herausforderungen für unsere Hörer verbirgt seine Musik?</b><BR />Iván Fischer: Die Musik Bruckners liebe ich mehr und mehr. Vielleicht kommt es mit dem Alter. Früher fand ich es langweilig, weil er immer dasselbe sagt. Aber dieses „dasselbe“ ist kolossal, wunderbar. Eine Mischung von Andacht, Romantik, Mathematik, Spontaneität, Kalkül und Intuition, wie eine große Kathedrale.<BR /><BR /><BR /><b>Sie haben ja schon oft die namhaften Jugendsymphonieorchester dirigiert. Was verbindet Sie mit dem EUYO?</b><BR />Fischer: Es kommen immer neue junge Leute, aber ich kann nicht sagen, dass sie ähnlich sind. Es sind, jeder und jede für sich genommen, eigene und interessante Persönlichkeiten. Der eine ist jugendhaft-enthusiastisch, der andere hat eine alte Seele in einem jungen Körper. Ich probiere das spielerisch-junge Natur zuzulassen, um das Erwachsen-sein etwas abzubremsen. Vielleicht weil ich eigentlich deep down mich ungefähr 12 Jahre alt fühle.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1063578_image" /></div> <BR /><h3> Das European Union Youth Orchestra und sein Klang</h3><BR />An zwei Abenden haben die jungen Musikerinnen und Musiker des EUYO mehrere Klangpaletten ausgepackt und zuerst unter der Leitung von <b>Iván Fischer</b> Mahlers symphonischen Erstling aus dem Jahr 1884-1885 zur Aufführung gebracht. <BR />Bei Mahler geht es selbstverständlich nicht nur um Klangwelten, sondern in erster Linie darum, aus Musik Welten zu erschaffen, die immer mit poetischen Ideen verknüpft sind, ob wir sie kennen oder nicht. In einem Brief vom 7. 2. 1893 an Gisela Tolnay-Witt verdeutlicht der Komponist seine Idee von der Entwicklung des symphonischen Gedankens: „[…] der Komponist fing an, immer tiefere und kompliziertere Seiten seines Gefühlslebens in das Gebiet seines Schaffens einzubeziehen – bis mit Beethoven die neue Ära der Musik begann: Von nun an sind nicht mehr die Grundtöne der Stimmung – also z. B. bloße Freudigkeit oder Traurigkeit etc. – sondern auch der Übergang von einem zum anderen – Konflikte – die äußere Natur und ihre Wirkung auf uns – Humor und poetische Ideen die Gegenstände der musikalischen Nachbildung.“<BR /><BR /><BR />Ivàn Fischer, der sich als Dirigent und al Komponist intensiv mit Mahlers Symphonik auseinander gesetzt hat, legte bei der Aufführung von Mahlers „Erster“ zusammen mit den ca. 100 Instrumentalistinnen und Instrumentalisten des Europäischen Jugendorchesters sein Augenmerk auf das genaue Herausarbeiten von Themen und Motiven des symphonischen Diskurses, sodass auch der Hörer diesen durchweg epischen Erzählfluss in seinen Bestandteilen mitverfolgen und verstehen konnte. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1063581_image" /></div> <BR />Auf Einheitlichkeit und Geschlossenheit symphonischer Phrasen legt indes <b>Gianandrea Noseda</b> großen Wert, so in seiner Stabführung vom vergangenen Dienstagaband. In diesem Konzert nahm der Weg von einem klanglich und vor allem rhythmisch äußerst anregenden Stück „Fate Now Conquers“ von Carlos Simon aus dem Jahr 2020, in dem hörbar Beethovens Siebte, mehr aber ein Thema aus Wagners „Siegfried“ herübergerettet wird und in einem turboähnlichen orchestralen Aufguss hörbare und harmonische Musik erzeugt. <BR /><BR /><BR />Die zwei Schlüsselwerke des Abends waren zuerst Benjamin Brittens „Young Person’s Guide to the Orchestra“ op.34 von 1946 und Richard Strauss' äußerst virtuose symphonische Dichtung „Don Quixote“ op.35 aus dem Jahr 1898, zwei Hauptwerke der symphonischen Musiktradition, die nicht nur genaueste instrumentale Einsätze verlangt, sondern durchweg virtuose instrumentale Handhabe der Partitur.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1063584_image" /></div> <BR /> Das bei Strauss solistisch eingesetzte Cello wurde von <b>Nicolas Altstaedt</b> gespielt. Die didaktisch empfundene Gruppenbildung der Instrumentation eines Orchesters in Brittens Stück auf das „Rondeau“ aus der „Abdelazer Suite“ von Henry Purcell wurde von den jungen Instrumentalisten wie aus dem Lehrbuch in beneidenswerter Klarheit und Präzision vor allem in den Holz- und Blechbläsern vorgeführt. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1063587_image" /></div> <BR /><BR /><BR />In den „phantastischen Variationen“ des „Don Quixote“ von Richard Strauss indes geht es wieder wie bei Mahler um eine Erzählung in Musik, um eine glänzende Verbindung humoristischer Varianten einer skurrilen Persönlichkeit, die von Miguel de Cervantes so brillant in eine romanhafte Chiffre eingenäht worden ist. Das Orchester bewältigte diese dichte symphonische Textur mit größtem Engagement. Die Instrumentale Fülle tat dem Stück keinen Abbruch, hat doch selbst Richard Strauss für seinen „Don Quixote“ ein „großes Orchester“ mit zum Teil vierfachen Streicherpositionen vorgesehen! Jugendliche Begeisterung paart sich hier auf wunderbare Art und Weise mit akribischer Klangkultur und Genauigkeit der je instrumentalen Phrasierung. <BR /><BR /><BR /><b>Termine:</b><BR />Am 20. und 22.8., jeweils um 20.30 Uhr, tritt das <Fett>Gustav Mahler Jugendorchester</Fett> unter Leitung von Ingo Metzmacher im Stadttheater auf. <BR />Programm 20.9.: 2 konzertante Auszüge aus Wagners Parsifal, Luigi Nonos „A Carlo Scarpa architetto ai suoi infiniti possibili“, 3. Symphonie von Bruckner. <BR />Programm, 22.9.: „Leonore“ &„Coriolan“ Ouvertüre von Beethoven, Schönbergs 5 Orchesterstücke, Achte Schostakowitsch.