<b>STOL: In vielen Wirtschaftssektoren herrscht derzeit Krisenstimmung. Wie ist die Stimmung bei Südtirols darstellenden Künstlern?</b><BR />Peter Schorn: Natürlich ist auch unser Sektor sehr stark von Preissteigerungen und prekären Verhältnissen betroffen. Allerdings ist das für die darstellenden Künstler leider nichts Neues. Das Kulturbudget ist viel zu niedrig und stagniert bereits seit Jahren. Es ist daher sehr schwierig, hauptberuflich von der darstellenden Kunst zu leben, ohne in Selbstausbeutung zu geraten. Vielleicht fällt das bei unserem Berufsstand nicht so sehr auf, weil die prekäre Situation bereits viel zu lang andauert. Was ich allerdings ganz deutlich feststellen kann: Es gibt erstaunlich wenig Resignation oder Depression unter den darstellenden Künstlern. Was überwiegt, ist viel mehr Aufbruchsstimmung. In ganz Europa tut sich im Moment einiges rund um unseren Sektor. Von unseren Nachbarn in Deutschland, Österreich und der Schweiz können wir viel lernen, was sich auch auf Südtirol übertragen ließe. Auch wenn sich auf nationaler Ebene noch vieles ändern muss, sind wir guter Dinge und voller Ideen, um gemeinsam mit der Politik jetzt an den lang ersehnten Verbesserungen zu arbeiten.<BR /><BR /><b>STOL: Als Interessenvertretung der darstellenden Künstler hat PERFAS einen tiefen Einblick in Südtirols Kulturszene. Welches Bild ergibt sich dabei?</b><BR />Schorn: In den vergangenen Jahrzehnten hat es in allen Bereichen der darstellenden Künste eine unglaubliche Professionalisierung gegeben. Lokale Produktionen haben ein sehr hohes Qualitätsniveau erreicht und können in den allermeisten Fällen im internationalen Vergleich absolut mithalten. Und das, obwohl diese Sektoren allesamt chronisch unterfinanziert sind. Besonders im italienischsprachigen Theaterbereich ist die Lage sehr schlecht. Was auffällt ist, dass die Kultur in der wenig urbanen Südtiroler Gesellschaft keinen so hohen Stellenwert hat wie anderswo. In unserem Land leben wir sehr stark vom Tourismus und übersehen dabei das große Potenzial, das ein gut entwickelter, professioneller Kultursektor bietet. Viele Gastbetriebe denken, dass die Leute auch in Zukunft nur wegen Äpfeln und Landschaft zu uns kommen werden. Wir müssen aber aufpassen, dass uns diese Einstellung nicht schon bald auf den Kopf fällt. Ein ganz entscheidender Punkt für uns ist die Frage: Was machen wir zu unseren regionalen Aushängeschildern? Im Hinblick auf die unaufschiebbare Transformation in Richtung soziale, ökologische und ökonomische Nachhaltigkeit sollten wir rasch darüber nachdenken, nicht nur in (teils sehr zweifelhafte) Produkte wie Speck oder konventionell produzierte Äpfel zu investieren, sondern massiv in die zukunftsweisende Branche der Kultur. Dort haben wir ein enormes Entwicklungspotenzial, das vielfach noch brach liegt. In erster Linie für die Südtiroler Bevölkerung, aber auch als ein neues Aushängeschild für unsere Region: für Lebensqualität jenseits von Landschaft und als ein Anziehungspunkt sowohl für die händeringend gesuchten Fachkräfte wie auch für die Gäste in einem neuen, wirklich nachhaltigen Tourismus der Zukunft.<BR /><BR /><embed id="dtext86-57966286_quote" /><BR /><BR /><b>STOL: Warum wird der Kultursektor in Südtirol noch immer unterschätzt?</b><BR />Schorn: Das ist eine schwierige Frage. Einerseits gibt es in Südtirol ein reichhaltiges kulturelles Angebot, das vielfach auch mit dem Minderheitenschutz zusammenhängt. Gleichzeitig gibt es sehr viele Angebote im Amateurbereich. Dies ist beides absolut positiv zu bewerten. Was fehlt ist das Bewusstsein dafür, dass professionelle Kulturangebote zum Teil einen anderen gesellschaftlichen Zweck erfüllen als Amateurangebote. In Südtirol wird Kulturförderung auch aus politischer Sicht häufig mit Tradition und Brauchtum verbunden, was natürlich richtig und wichtig ist. Professionelle Kulturangebote erfüllen allerdings eine anderen sehr wichtige Funktion: Den Blick auf die Zukunft zu richten, auf brisante Themen, über den Tellerrand, auf die brennenden Fragen und Herausforderungen unserer Zeit, das ist eine der wichtigsten Aufgaben professioneller Kunst und Kultur. Und vielleicht steht diese manchmal im Widerspruch zu einer Südtiroler Tendenz, lieber so weitermachen zu wollen wie bisher. Wir wünschen uns daher oft ein klareres Bekenntnis zu professioneller Kunst und Kultur und ihrem Wert für die Gesellschaft.<BR /><BR /><b>STOL: Wie können professionelle Kulturarbeiter dazu beitragen, dass die gesellschaftliche Akzeptanz und Anerkennung für ihren Berufsstand wächst?</b><BR />Schorn: Es geht sehr viel um Sichtbarkeit und eine weitere Professionalisierung. Dieser Prozess findet aktuell bereits in hohem Maße statt, muss aber weiter vorangetrieben werden. Das betrifft dann auch jeden einzelnen Künstler: Sich zu überlegen, was macht mein Angebot überhaupt aus; offen bleiben für Innovationen; nach niederschwelligen Kanälen suchen, um möglichst alle Bereiche der Gesellschaft zu erreichen, ohne sich dabei anbiedern zu müssen. Wir suchen da alle noch. Ich denke, das kann gelingen, indem gesellschaftsrelevante und brisante Themen aufgegriffen werden. Was ich an dieser Stelle aber nicht unterschlagen darf: Es gibt in Südtirol auch sehr viele Menschen, die wahre „Kulturfreaks“ sind und sehr viele Aufführungen, Ausstellungen und Konzerte besuchen. Auch diese – besonders schöne Seite – gehört zu unserem Land.<BR /><BR /><embed id="dtext86-57967040_quote" /><BR /><BR /><b>STOL: PERFAS unterstützt Kulturschaffende nun seit 2 Jahren dabei, sich zu professionalisieren und das Bewusstsein für diese Berufe in der Bevölkerung zu steigern. Was sind wichtige Schritte, die die Vereinigung in diesen beiden Jahren gesetzt hat?</b><BR />Schorn: Künstler zu sein bedeutet nicht nur, kreativ zu sein und gute Ideen zu haben – was natürlich einen wesentlichen Teil ausmacht – sondern eben auch unternehmerisch zu denken und zu handeln. Dazu gehören gutes Marketing ebenso wie das Angebot professioneller Dienstleistungen und fundiertes Wissen über steuerliche Pflichten und die Rechte als Künstler. Wir bieten hier Unterstützung an, indem wir Know-how in diesen Bereichen sammeln und an unsere Mitglieder weitergeben. Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf unserer kulturpolitischen Tätigkeit. In den vergangenen beiden Jahren haben wir uns sehr stark vernetzt, auch international. In Gesprächsrunden nehmen wir zum Beispiel auf nationaler Ebene mit dem RAAI (Registro Attrici Attori Italiani) an Vorverhandlungen zur Erneuerung der Theaterkollektivverträge sowie zur Ausarbeitung des ersten Kollektivvertrags für den Filmbereich teil. Durch Vergleiche mit dem deutschsprachigen Ausland können wir dort einen wichtigen Input liefern. Auf Landesebene sind wir in regem Austausch mit der Kulturverwaltung und freuen uns, dass sie uns als einen wichtigen Partner ansieht. So konnten wir etwa einen wesentlichen Beitrag zur Ausgestaltung der Zugangsvoraussetzungen zum neuen Landesverzeichnis der Künstler leisten. Außerdem knüpfen wir wichtige Verbindungen ins Ausland. Seit dem vergangenen Herbst sind wir Mitglied beim europäischen Dachverband der freien darstellenden Künste (EAIPA), der sehr viele Informationsveranstaltungen anbietet, bei denen es um Best-Practice-Modelle geht – etwa im Bereich der Sozialversicherung für Künstler. Dort können wir viel Input mitnehmen, um unsere Arbeitsbedingungen auch in Südtirol zu verbessern.<BR /><BR /><b>STOL: PERFAS ist inmitten der Pandemie entstanden, als deutlich wurde, dass in Südtirol eine gemeinsame Stimme der darstellenden Künstler gefehlt hat. Wie schwierig war es so unterschiedliche Berufsgruppen wie Musiker, Schauspieler und Bühnentechniker unter einem Dach zu vereinen?</b><BR />Schorn: Das stimmt, wir sind ein sehr heterogener Haufen. Das Spannende ist aber gerade, dass wir festgestellt haben, dass viele Bedürfnisse und Anliegen uns alle in unserer Eigenheit verbinden. Bisher waren Künstler gewohnt, Einzelkämpfer zu sein. Partnerschaftlich als Gruppe vorzugehen, ist für viele etwas ganz Neues und zunächst auch eine große Herausforderung. Gleichzeitig ist es psychologisch und emotional absolut positiv, zu erleben „Wir sind eine Gemeinschaft, wir sind nicht alleine“. Wir haben gemeinsam einen großen Erfahrungsschatz angehäuft, der jederzeit von unseren Mitgliedern angezapft werden kann. Gleichzeitig gibt es unter dem Dach von PERFAS aber natürlich auch Arbeitsgruppen, die sich um die spezifischeren Probleme kümmern, die vielleicht nur eine kleinere Berufsgruppe betreffen und suchen auch dort nach Lösungen. In Summe haben wir aber eine starke gemeinsame Stimme, weil sehr viele Interessen und Anliegen über die einzelnen Berufsgruppen hinaus übereinstimmen.<BR /><BR /><embed id="dtext86-57967044_quote" /><BR /><BR /><b>STOL: Stößt diese Stimme auf offene Ohren?</b><BR />Schorn: Offene Ohren treffen wir auf jeden Fall an. Weil wir sehr professionell aufgestellt sind und Informationen, Daten und konstruktive Vorschläge liefern können, wird unsere Stimme von der Kulturpolitik auf jeden Fall gehört und geschätzt. Nun geht es darum, dass dem offenen Ohr auch entsprechende Taten folgen.<BR /><BR /><b>STOL: Es passiert also noch zu wenig auf politischer Ebene?</b><BR />Schorn: Ich sag's mal so: Wir sind schon auf einem guten Weg, aber die Mühlen mahlen oft langsam. Bereits im vergangenen Frühjahr haben wir den Vorschlag für einen umfassenden Fairness Prozess ins Spiel gebracht und Landesrat Achammer hat den Ball zu unserer Freude bereitwillig aufgenommen. Innerhalb weniger Wochen haben wir bei PERFAS daraufhin zusammen mit dem Südtiroler Künstlerbund und der Südtiroler Autorinnenvereinigung einen detaillierten Themenkatalog ausgearbeitet, in dem wir alle Anliegen und Problemfelder gesammelt haben, die uns Kulturschaffende aktuell umtreiben - samt ersten Vorschlägen für mögliche Maßnahmen. Eigentlich sind wir startklar, um diese Themen gemeinsam mit der Kulturverwaltung anzugehen. Derzeit warten wir aber noch auf den Startschuss der Politik. Positiv ist dabei, dass wir in wenigen Tagen zu Gesprächen eingeladen sind, in denen es um die dringend notwendigen Budgetanpassungen im deutschsprachigen Theaterbereich gehen soll. Solch eine Budgeterhöhung ist die längst überfällige Voraussetzung dafür, dass Gagen angepasst werden können, die seit 10 bis 15 Jahren gleich geblieben sind und schon damals viel zu niedrig waren. Allerdings laufen diese Gespräche erst an und decken nur einen sehr kleinen Teil der Problemfelder ab. So wichtig solche punktuellen Maßnahmen auch sind: Damit sie nicht aktionistisch verpuffen, ist es aus unserer Sicht wichtig, sie in einen strukturierten und partnerschaftlichen, gut durchdachten Prozess einzubetten. Nur so können wir die Kultur langfristig auf eine solide Basis stellen.<BR /><BR /><embed id="dtext86-57967048_quote" /><BR /><BR /><b>STOL: Was sind zentrale Ziele und Projekte, die PERFAS 2023 verfolgt?</b><BR />Schorn: Wir haben eine gut gefüllte To-do-Liste für das neue Jahr. Ein wichtiges Projekt betrifft die neue Arbeitsgruppe „Young Talents“, die sich um den Bereich Nachwuchsförderung und Mentoring kümmert. Außerdem arbeiten wir an einer neuen Website, auf der wir alle unsere Mitglieder und ihre angebotenen Leistungen in einem „kleinen Schaufenster“ präsentieren wollen. Dort soll es dann auch eine Filterfunktion geben, durch die die Künstler für Auftritte oder Projekte angefragt werden können. Wir bewerben uns derzeit bei einem EU-Projekt, bei dem es darum geht, Kalkulationstools mit Daten zu füttern, um Fairpay-Standards für Tourneen und Produktionen und deren ökologischen Fußabdruck zu berechnen. Im Bereich soziale Absicherung für Künstler arbeiten wir daran, Informationen zu bündeln, um Künstlern einen umfassenden Überblick zu diesem Thema zu gewähren. Ein wichtiges Thema, mit dem wir uns aktuell befassen, ist die Künstlerförderung: Wir arbeiten Vorschläge für neue Konzepte zur Karriereförderung von Musikschaffenden aus, die es in Südtirol so bisher noch nicht gibt. Wenn wir gezielt Karrieren in Südtirol fördern, sind Künstler in Zukunft nicht mehr gezwungen abzuwandern, weil es für sie keine Möglichkeit gibt, in Südtirol ihren Beruf auszuüben. Insgesamt geht es also immer um dasselbe Prinzip: Den „kulturellen Humus“ im Land nicht verdörren zu lassen, sondern so zu fördern, dass auf ihm eine blühende und offene Gesellschaft wachsen kann.<BR />