<b>von Marian Wilhelm aus Venedig</b><BR /><BR />Heuer dürfte das Schaulaufen am Roten Teppich vor dem Palazzo del Cinema aber durchaus zu einer Herausforderung werden angesichts der Dichte an Stars, die sich zu den Weltpremieren ihrer Filme angekündigt haben. <BR /><BR />Darunter sind auch einige Stars bzw. Filme mit Südtirol-Bezug. Zuvorderst die Vorjahres-Gewinnerin des Großen Jurypreises <b>Maura Delpero</b> („Vermiglio“), die heuer viel Arbeit hat als Mitglied der Hauptjury unter dem Vorsitz des US-Regisseurs <b>Alexander Payne</b>. Sie und ihre Kolleginnen und Kollegen haben die Auswahl aus insgesamt 21 Filmen, darunter 6 Filme von Regisseurinnen und 15 von Regisseuren – ein Ungleichgewicht von 29 Prozent zu 71 Prozent. <h3> Südtirol und Österreich</h3>Einer davon – „Elisa“ von <b>Leonardo Di Costanzo</b> – wurde u.a. in Südtirol mit Unterstützung der IDM gedreht. Internationale Konkurrenz bekommt er von <b>Guillermo del Toros</b>„Frankenstein“ mit einem hochkarätigen Star-Ensemble u.a. mit dem deutsch-österreichischen Hollywood-Export <b>Christoph Waltz</b> und dem jungen Burgschauspieler <b>Felix Kammerer</b>, dessen Familie Südtiroler Wurzeln hat. <BR /><BR />Als einziger österreichischer Film ist heuer „The Souffleur“ des argentinischen Viennale-Stammgastes Gastón Solnicki im Programm. Kein Geringerer als Willem Dafoe stand dafür im Wiener Hotel Intercontinental vor der Kamera. Nur in der Virtual-Reality-Sektion Venice Immersive rittert mit „Out of Nowhere“ von Kris Hofmann und Andreas Wuthe noch ein österreichischer Beitrag um einen Preis. <BR /><BR />Die unabhängig kuratierte Sektion Giornate degli Autori zeigt außerdem den Film „Toni, Mio Padre“ über den berühmten politischen Philosophen Antonio Negri, gedreht von seiner Tochter Anna Negri. Produziert wurde der Film u.a. von der in Südtirol ansässigen <b>Traudi Messini.</b><h3> Proteste gegen Kriege</h3>Politisch herausfordernd im hier und jetzt wird es auch für das Festival und einige Stars. Kurz vor der Eröffnung reagierte die Biennale auf einen Boykottaufruf von 1500 pro-palästinischen Kulturschaffenden aus Italien gegen <i>„Künstler, die öffentlich und aktiv das militärische Vorgehen Israels unterstützen.“</i> Direktor Barbera stellte klar, man werde definitiv niemanden ausladen, das Festival sei ein Ort des Dialogs.<BR /><BR /> Adressiert waren namentlich die israelische Wonder-Woman-Darstellerin <b>Gal Gadot</b> und <b>Gerard Butler</b>, die aktuellen Meldungen zufolge ihren Besuch in Venedig absagten, anderen Meldungen in der italienischen Presse nach aber gar nicht geplant hatten zu kommen. Unter den Unterzeichnern findet sich neben italienischen Filmgrößen wie <b>Alba und Alice Rohrwacher,</b><b>Matteo Garrone</b>, dem Wahl-Römer <b>Abel Ferrara</b> und <b>Marco Bellocchio</b>, der heuer seine Serie „Portobello“ beim Festival präsentiert. <BR /><BR />Die politische Debatte dürfte ihren Höhepunkt erreichen rund um die Premieren des außer Konkurrenz gezeigten Julian-Schnabel-Films „In the Hand of Dante“ mit Gadot und Butler und dem Wettbewerbsfilm „The Voice of Hind Rajab“ von Kaouther ben Hania über ein Kind inmitten des Gaza-Krieges. <BR /><BR />Auch die Österreicherin Julia Windischbauer, die die Hauptrolle in der israelischen Serie „Etty“ von Hagai Levi spielt, könnte ins Kreuzfeuer geraten. Dagegen rückt der Ukraine-Krieg fast in den Hintergrund, der heuer mit dem satirisch-kritischen Putin-Biopic „The Wizard of the Kremlin“ des Franko-Auteurs Olivier Assayas filmisch präsent ist. <h3> Genrekino</h3>Anmutig geht es 2025 also auch auf der Leinwand nicht zu. Neben politischen Spannungen scheint diese überdurchschnittlich starke 82. Festivalausgabe nämlich das Jahr des spannenden Genrekinos zu werden. Von „Frankenstein“-Horror über den Raketen-Thriller „A House of Dynamite“ von Kathryn Bigelow bis zu Luca Guadagninos Psychodrama „After The Hunt“ mit Julia Roberts. Was diese drei Highlights gemeinsam haben: Sie wurden alle von Streaming-Studios produziert. <BR /><BR />Während Guadagninos Amazon-MGM-Produktion auf eigenen Wunsch außer Konkurrenz läuft, schickt Netflix die ersten beiden Werke, zusammen mit Noah Baumbachs Drama „Jay Kelly“, in den Wettbewerb auf die Jagd nach dem Goldenen Löwen. Damit kehrt auch eine Streaming-Debatte nach Venedig zurück, die das Festival schon länger begleitet. Bisherigen Informationen zufolge sollen die drei Netflix-Filme in Österreich, anders als in Deutschland, nicht einmal einen limitierten Kinostart bekommen. Anders als Cannes hatte Venedig noch nie Berührungsängste mit Streaming-Konzernen und lässt es an Solidarität mit den Kinos mangeln. <h3> Streamingplattformen </h3>Verantwortlich für das Programm ist der Piemonteser <b>Alberto Barbera,</b> der dem Festival seit vielen Jahren vorsteht. Er feierte heuer seinen 75. Geburtstag und wurde vergangenes Jahr erneut bis 2026 verlängert. Zu den drei Netflix-Filmen in seiner Wettbewerbsauswahl sagte er dem Branchenmedium Variety: „Ich erwarte, dass jemand sagt, wir seien zu großzügig mit der Streaming-Plattform umgegangen. Das glaube ich nicht.“ <BR /><BR />Streaming-Plattformen würden die Autorenfilme produzieren, die sich die großen Studios nicht mehr leisten können. „Alle amerikanischen Filme, die in Venedig gezeigt werden, stammen entweder aus dem Independent-Bereich oder von Streaming-Anbietern, insbesondere Netflix und Amazon. Diese Polarisierung ist derzeit im amerikanischen Kino zu beobachten.“ <BR /><BR />Doch der Erfolg des Festivals und die Qualität der Filme gibt Barbera nicht nur in Sachen Streaming recht. Venedig behauptete sich gegen Primus Cannes und amerikanische Festivals und entwickelte sich zum Auftakt der Oscar-Saison. Abseits der angloamerikanischen Filmwelt präsentieren sich aber auch europäische Arthousefilme und das Weltkino gerne in der Sonne des Lido di Venezia. <h3> Eröffnungsfilm</h3>Begonnen hat die Mostra d'Arte Cinematografica indessen ganz italienisch, mit einer Tricolore in den Himmel gemalt von einer Flugstaffel. Nicht am echten Himmel über dem Lido di Venezia, sondern drinnen in der Sala Grande im Palazzo del Cinema, genauer am Leinwandhimmel des Eröffnungsfilms „La Grazia“ von <b>Paolo Sorrentino.</b> Doch Festivaldirektor Alberto Barbera ist ein cleverer Diplomat. Wie schon im Ersatz-Eröffnungsfilm 2023, dem Uboot-Weltkriegsdrama „Comandante“ über Seenotrettung, führt er die rechte Fraktion der geladenen Gäste mit seiner Wahl auf eine falsche patriotische Fährte.<BR /><BR /> Denn neben der Flagge lässt der Film nämlich den Verfassungsartikel über die Rechte und Pflichten des italienischen Staatspräsidenten erscheinen. In der realen Politik außerhalb des Kinos plant Regierungschefin Giorgia Meloni mittels eines Verfassungsreferendums eine Entmachtung des Staatspräsidenten zu Gunsten ihres Amtes.<BR /><BR /> Der fiktionale Präsident, der die diesjährige Film-Biennale eröffnet, ist dagegen ein allseits beliebter Ausgleich zu Extremismus und der Inbegriff gemäßigter Verantwortung, vom aktuellen und vorigen Präsidenten inspiriert. Zugleich wirkt dieser müde Demokrat wie aus besseren Zeiten. Verkörpert wird er von <b>Toni Servillo</b> mit sympathischer Altherren-Aura, am Ende seiner Amtszeit im Quirinalspalast und mit der Raucherentwöhnung kämpfend wie sein reales österreichisches Pendant. Ein Euthanasie-Gesetz liegt am Schreibtisch des katholischen Juristen bereit zu Unterzeichnung – der afrikanische Papst mit Rasta-Frisur will ihn davon abbringen – ebenso zwei Gnadengesuche von Mördern.<BR /><BR /> Die titelgebende „Grazia“ ist einerseits die potentielle Begnadigung. Andererseits ist damit auch Aurora, die Frau des Präsidenten, gemeint, der er Jahre nach ihrem Tod noch nachtrauert, während ihn auch nach 40 Jahren noch ein Seitensprung von ihr in seiner fragilen Männer-Ehre kränkt. Er weiß außerdem nicht, was er mit der anstehenden Freiheit seiner späten Pension noch anfangen soll, schaut zurück und gibt zu: <i>„Ich bin nie ein mutiger Mann gewesen.“ </i><BR /><BR />Servillo und sein Regisseur sind hier weit weg von ihrem intensiven Meisterwerk „La Grande Bellezza“, das den Exzess und die Schönheit der Gegenwart feierte. Stattdessen ist nun Anmut und Wehmut angesagt. Sorrentino, selbst erst 55 Jahre, legt mit „La Grazia“ ein mildes Alterswerk vor und eine durchaus witzige Verbeugung vor den demokratischen Ritualen, begleitet von gewohnt starkem Musikeinsatz und starker Kameraarbeit von Daria D'Antonio. <i>„Es ist der Film, der den Stil vorgibt,“</i> sagt Sorrentino dazu. „La Grazia“ ist ein ruhiger italienischer Eröffnungsfilm für ein Festival, das im Kreuzfeuer der Weltpolitik diese Erinnerung an Mäßigung und Gewissenszweifel gut brauchen kann. <h3> Ehrung</h3>Und noch zwei alte Herren hatten gleich bei der Eröffnung ihren Auftritt. Der deutsche Weltregisseur <b>Werner Herzog</b> bekommt – neben Vertigo-Star <b>Kim Novak</b> – den Leone d’Oro alla Carriera, kein geringerer als <b>Francis Ford Coppola</b> hielt die Laudatio. Herzog bringt eine neue Doku namens „Ghost Elefant“ als Gastgeschenk mit ans Lido. <BR /><BR />„Wie viele meiner Filme ist auch dieser eine Erkundung von Träumen und Fantasie – im Gegensatz zur Realität. Der Film führte mich an einen Ort, den die lokalen Stammesangehörigen das Land am Ende der Welt nennen.“ Auch das ist ein gutes Motto für das Festival, von einem exzentrischen Kinorebellen, der einst während eines Interviews angeschossen wurde und schon mal seinen Schuh verspeiste.