In dem Stück sind die eine Trilogie bildenden Dramolette „Claus Peymann verlässt Bochum und geht als Burgtheaterdirektor nach Wien“, „Claus Peymann kauft sich eine Hose und geht mit mir essen“ und „Claus Peymann und Hermann Beil auf der Sulzwiese“ zusammengefasst.Im Interview mit Südtirol Online erklärt Claus Peymann, warum er der „beste deutschsprachige Intendant der letzten dreißig vierzig Jahre“ ist und wieso Schauspieler Angst vor Regisseuren haben. Südtirol Online: Herr Peymann, geschah es öfter, dass Sie mit Thomas Bernhard eine Hose kaufen gingen?Claus Peymann: Den Hosenkauf hat es gegeben. Bevor ich Burgtheater-Direktor wurde, sagte er: „Sie können ja nicht mit diesen Jeans herumlaufen. Kaufen Sie sich mal ‘ne anständige Hose“. Da sind wir in Wien zu einem sehr vornehmen Herrenausstatter gegangen. Dort hat er mir dann eine schreckliche, braune Hose mit einem Glencheck-Muster (Karomuster, Anm.d.Red.) ausgesucht – was ich nie trage. Als Baby hatte ich schon schwarze Windeln – ich trage immer schwarz. Deshalb habe ich diese Hose auch nie getragen und sie dann irgendwann dem Fundus des Burgtheaters geschenkt. Einige Jahre später – ich war dann schon Burgtheater-Direktor – wollte ich diese Hose wieder haben, doch die gab‘s nicht mehr. Irgendjemand hat diese Hose geklaut, an Land gezogen, und jetzt rennt ein österreichischer, nichtsahnender Dieb mit dieser berühmten Bernhard-Hose durch die Gegend und weiß gar nicht, was er da für einen Wertgegenstand am Hintern hat – verstehen Sie? (lacht) Das hat‘s wirklich gegeben und war der Auslöser für eines dieser Dramolette: „Claus Peymann kauft sich eine Hose und geht mit mir essen“.STOL: Wie nahe sind die drei Dramolette an der Wahrheit?Peymann: Die Dramolette sind Farcen. Einerseits bin ich das. Mein Größenwahn, die Liebenswürdigkeit meiner Partner, inklusive Thomas Bernhard. Es sind kleine Meisterwerke, Miniaturen, tatsächlich aus meinem Leben. Aber ich bin‘s auch wiederum überhaupt nicht. Es gab mal einen italienischen Fernsehsehstar, der hat diese Dramoletten über hundertmal in ganz Italien gespielt. Der wurde dann gefragt: „Warum spielen Sie denn so ein Stück, das Peymann heißt?“ Und er: „Das ist doch nicht Peymann, der ist doch völlig uninteressant.“ Es geht also um einen Künstler, der auf der Suche nach der Vollendung wie Don Quijote gegen die Windmühlen rennt. Eine lustige, verrückte Parabel auf jemanden, der nie die Vollständigkeit seiner Arbeit erreicht und darüber immer verzweifelt. Das Stück ist auch ein theatralischer Scherz, aber es ist schon ein richtiger, echter Thomas Bernhard. Es hat diese ganze Wortmelodik, diese Manie des Sprechens, die er mir als Teil meiner Rolle eingibt. Ich kann auch ganz schön rumquatschen, nur bei Thomas Bernhard war ich immer stumm – der hat noch mehr gequatscht als ich (lacht). Man kann den ganzen Bernhard – wenn man ihn sucht und hören will – in diesen kleinen Stücken sehen. Übrigens hab ich mir diese Vorstellung dann mal angeschaut. Ich bin nach Florenz gefahren – inkognito. STOL: Inkognito?Peymann: Ich hab unter falschem Namen die Karten bestellt, bin mit meiner Freundin hingefahren. Aber dann hat sich das wohl doch rumgesprochen. Jedenfalls war in der Pause das italienische Fernsehen schon da. Der Schauspieler hat mir dann erzählt, er hätte nicht mehr gewusst was er da überhaupt spielen soll – es sei eine Pirandello-Situation, zwischen Traum und Realität. Er spielt den Peymann und der sitzt da unten –der war völlig fertig der Mann. Sehr lustig.STOL: Wie geht es Ihnen in der Rolle des Schauspielers?Peymann: Ich muss einschränken: Meine Möglichkeiten der Schauspielerei sind mit Vorsicht zu genießen. Ich würde mal sagen, es ist ein edles Laienspiel. Klitsche-nass, puderrot tobe ich da durch diese drei Stücke. Ich habe auch entsetzlich viel Text! Und der Hermann Beil, der viel charmanter ist und die etwas kleineren Rollen spielt, ist der große Absahner. Das heißt, er siegt, und mich erreicht dann das Mitleid der Zuschauer in Form von tosendem Applaus. Aber man darf nicht vergessen – wenn man schon überhaupt größenwahnsinnige Vergleiche zieht – Goethe hat ja auch seine ganzen Stücke selbst gespielt: Goethe war Torquato Tasso, Goethe war Orest, und hat dann mit der Fürstin von Weimar ein edles Laienspiel betrieben. Warum sollen wir das heute nicht auch tun? Wenn Goethe schon Tasso nicht spielen konnte, aber gespielt hat, warum soll ich nicht den Claus Peymann spielen, der ich bin und den ich nicht spielen kann, aber den ich trotzdem spiele. Das ist die Lage (lacht). Es macht mir Spaß.STOL: Auch auf kleinen Bühnen?Peymann: Es macht mir auch Spaß das in Bozen und in Meran zu machen. Anschließend gehen wir mit dem Stück nach Wien. Das ist auch so ein kleiner Jux, weil ja Wien in diesen Dramoletten eine Schlüsselrolle spielt. Das ist ja das Schlachtfeld, auf dem diese ganze Peymann-Schlacht tobt, eine Mischung zwischen hoher Kunst und Kabarett.STOL: Sie inszenieren das Stück seit ein paar Jahren selbst. Zuvor hat Martin Schwab Ihre Rolle gespielt. Wie war das für Sie?Peymann: Der war toll, der Martin Schwab. Er hat das noch in meiner Zeit am Burgtheater gespielt. Der Bernhard hatte ja nach seinem Tode verfügt, dass seine Stücke nicht mehr gespielt werden sollen in diesem von ihm gehassten Österreich. Als diese Boykott-Verabredung nach zehn Jahren fiel, war ich immer noch in Wien. Das Testament wurde in Frage gestellt, was eine glaube ich richtige Entscheidung war. Gleich nachdem wir wieder Thomas Bernhard spielen durften, hat Philip Tiedemann, ein junger Regisseur, das Stück inszeniert, Die unnachahmliche Kirsten Dene hat meine Sekretärin gespielt, Hermann Beil war Thomas Bernhard und Martin Schwab war Claus Peymann. Dazu muss man sagen, dass Schauspieler sehr sehr gerne Regisseure nachmachen. Viele können das unbeschreiblich. Es gibt da einige, die mich draufhaben, die sind besser als ich. Wenn Gert Voss Peymann spielt – ich hab das einmal gesehen – dann ist das so ähnlich wie wenn die Jäger den Löwen, den sie jagen wollen, vorher spielen um die Angst abzubauen. Theater ist ja auch Angstabbau: Man spielt die Könige, macht sie lächerlich um keine Angst mehr vor ihnen zu haben. Da haben Sie schon Shakespeare. Und so spielen die Schauspieler eben manchmal die Regisseure, damit sie keine Angst mehr vor denen haben. Und der Schwab gehört zu den Virtuosen des Peymann-Spielens. STOL: Haben die Schauspieler Angst vor Ihnen?Peymann: Die Schauspieler haben Angst vor den Regisseuren, die Regisseure haben Angst vor den Schauspielern, und alle beide haben Angst vor dem Dichter. Das ist ein Beruf, der ja „Mit-Haut-und-Haar-zur-Vefügung-stellen“ heißt. Die Schauspieler haben ihren Körper, ihre Stimme, ihren Flair, das ist es. Es ist nicht ein Buch, wie ein Schriftsteller, es ist kein Bild oder eine Partitur, sondern es ist das, was jetzt passiert, und dann ist es vorbei und dann ist es auch weg. Es bleibt nichts vorhanden. Die Schauspieler haben eine ständige Angst, nicht in Form zu sein: Bin ich jetzt gut, bin ich gut zu sehen, bin ich wirkungsvoll? Es ist eine Mischung aus Liebe und Angst, aus Vertrauen und Misstrauen. Und wir haben natürlich auch Angst: Schafft der Schauspieler das, was ich in einem Stück sehe, versteht er mich, oder weiß er gar besser als ich Bescheid? Natürlich hat der Regisseur das letzte Wort – aber am Abend ist er weg. Am Abend übernehmen dann diese Schauspieler, diese Kasperl, die manchmal blöd sind und borniert und eitel – die sind plötzlich die Könige. Das ist auch das, was ich dann insgeheim bewundere. Das ist dann wirklich der Mut, jetzt zu springen und zu fliegen und das kann manchmal ein richtiges Abenteuer sein. STOL: Wie muss man Sie spielen?Peymann: Sie sehen mich ja hier und jetzt gezähmt. Ich bin noch ein bisschen verschlafen, und gleich werde ich schön zu Mittag essen. Aber die Probe ist ein völlig anderer Erregungszustand. Das ist das Schlafzimmer – allerdings nicht eines für die Orgasmen. Diese Art von Hysterie oder Dynamik bietet sich natürlich zur Nachahmung an. Oder die Unsicherheit. Der Regisseur Adolf Dresen ist immer herumgerannt, der konnte überhaupt nicht still stehen. In der Oper in Brüssel haben die Beleuchter gezählt, wie viele Kilometer der gelaufen ist. Ich glaube es waren 364 Kilometer – während einer Produktion! STOL: Spielen Sie eines dieser drei Dramolette lieber? Peymann: Das Erste ist das Kürzeste und das Leichteste. Am schwersten fällt mir der Hosenkauf, das ist das Mittelstück. Das sind solche wahnsinnigen Textmengen und ich bin immer in Bewegung, man kann nicht sitzen. Ich habe Todesangst davor. Da gibt es eine Arie über die Österreicher als Theaterverrückte, also wenn das anfängt, denk ich mir immer: „Oh Gott, jetzt kommen acht Seiten! Wie soll ich da je hinkommen.“ Dann guck ich mir den Beil an, der guckt dann immer so geduldig freundschaftlich zu. Innerlich ist er froh, dass ich mich jetzt abstrample. Das ist sehr wirkungsvoll, aber es ist mit Herzblut. Und das dritte, das auf der Sulzwiese, das spiele ich vielleicht am liebsten oder am leichtesten. Da sitzen wir und essen Riesenschnitzel und trinken viel Wein (lacht). Es ist ruhiger und schön. STOL: Sie haben drei Schauspielhäuser auf ein theatergeschichtliches Niveau gehoben. Wie muss ein Intendant sein, um eine Bühne so erfolgreich zu machen?Peymann: Wie ich. (lacht) Ganz einfach, wie ich. Wahrscheinlich bin ich überhaupt der beste Intendant der letzten dreißig vierzig Jahre. STOL: Im deutschsprachigen Raum?Peymann: Ja, würde ich mal sagen. Ich weiß nicht, wer es sonst so lange durchhält. Ich war immer Champions League. Ich war nie dritte Liga, sondern immer oben dabei. Das hängt damit zusammen, dass ich über viele Jahre – wahrscheinlich heute auch noch – ein guter Regisseur bin. Ich war immer einer der besten Regisseure. Das sage ich jetzt ohne Eitelkeit, es war einfach so. Und ich habe immer die besten Schauspieler gehabt. Aber das ist nur eine Sache. Es gibt auch andere sehr gute Regisseure die ein Theater leiten. Die haben nur ein Problem: Sie können Konkurrenz nicht aushalten. Und das kann ich wirklich. Bei allen Regisseuren, die es jemals gab – ob es die DDR-Regisseure wie Heiner Müller und Dresen und Karge waren, oder die der letzten Jahre, also Born, Einar Schleef, Peter Zadek und Peter Stein – ich habe immer gewusst, dass der Erfolg der anderen mein Erfolg als Direktor ist. Und viele gute Regisseure können das nicht aushalten, dass jemand besser wird als sie. Ich wollte, dass die anderen mindestens genauso gut, hoffentlich auch besser sind. Berghaus und später Rudolph, die haben ja alle bei mir gearbeitet. Oft wurde ja gesagt: „Der Peter Zadek ist doch viel besser als der Peymann“. Hat mir Spaß gemacht. Denn das ist ja gut für mich und für das Ensemble, für die Schauspieler. Wenn sie lernen, wie Zadek arbeitet, habe ich mehr von einem Schauspieler. Weil er z.B. den Begriff von Freiheit von Zadek vermittelt bekommt. Oder Einar Schleef: Das ist ein wüster, wahnsinniger Anarchist, mutig, exzessiv, totalitär, ein schrecklicher Mensch, aber der hat entfesselt. War gut für mich – und andere haben gesagt: „Den Schleef, den kann man ja gar nicht beschäftigen.“ Hab ich alles immer gemacht. Das heißt, ich hab da einen unendlich breiten Pegel. Das ist wahrscheinlich das größte Geheimnis. Und ich hab ‘ne gute Nase für Stücke – also Handke, Bernhard, Turrini, Jelinek, Brasch, Botho Strauß – die haben wir alle entdeckt und gespielt und tun das bis heute. STOL: Nicht alle großen Mannschaften bleiben ewig in der Champions League. Peymann: Meine Schattenseiten sage ich jetzt nicht. Ich bin manchmal aggressiv, ungeduldig, großmaulig – das muss sein. Ich halte nichts von diesen Theaterdirektoren, die so im Hinterzimmer sitzen und sagen: „Nein, ich bin so vornehm“. Ich gehe auf den Markt, auf die Straße. Politisch, ästhetisch, auch privat. Also ich bin kein Hinterzimmer- oder Hinterstübchen-Bewohner oder ein Diskreter, ich bin immer indiskret. Ich hab keine Angst vor Politikern. Ich hab mich mit allen gestritten. Ich hab mich sogar mit Horst Köhler, dem deutschen Bundespräsidenten, angelegt, wegen Christian Klar (Ex-RAF-Terrorist, dem Peymann einen Praktikums-Platz angeboten hat, Anm.d.Red.). Ich sehe den gesellschaftlichen Status der Künstler hoch. Ich bin ein Einmischer, ich bin ein 68er. Ich glaube an die Verbesserung der Welt, und diesen Traum hab ich bis heute nicht aufgegeben. Auch wenn man sagt, der Kommunismus und der Sozialismus haben abgewirtschaftet, ich bin da völlig anderer Meinung. Die, die’s gemacht haben, haben’s falsch gemacht. Ich habe diese Utopie einer gerechteren Welt, einer friedlichen und krieglosen Welt. Es gibt nichts Schrecklicheres als diese Scheiß-Kriege in Jugoslawien und Afghanistan, im Irak usw. Diese ganze Globalisierung bedeutet nichts anderes, als das Monopol auf die ganze Welt auszubreiten. Heute erleben wir, dass die Politiker nur noch Marionetten sind. Ich finde, dass sich der Kapitalismus so aufführt, dass es geradezu nach einem neuen Sozialismus schreit. Man sollte diesen Leuten das Handwerk legen. Diesen Traum hab ich noch. Das ist natürlich nicht unbedingt angesagt im Augenblick, es ist ein bisschen unmodern. Aber das ist mir auch scheißegal. Wenn dieser große gesellschaftliche Versuch von den Spießern und Verbrechern in Moskau und vor allen Dingen von den Spießern in der DDR, Tschechoslowakei, Ungarn in den Sand gesetzt wurde, dann heißt das nicht, dass das System falsch ist. Das glaube ich einfach nicht. Und es ist ja absurd, dass jetzt in Deutschland die Banken verstaatlicht werden – mein Gott! Aber das überstrahlt jetzt vollständig Ihr Interview. Interview: Barbara Raich