Bei ihrer Arbeit braucht die Brixnerin viel Gespür, um Menschen aus der Reserve zu locken und sie auf den berühmten „Brettern“ richtig aufblühen zu lassen. <BR /><BR /><BR />Die Öffentlichkeit hat bisher kaum von Maria Thaler Neuwirth Notiz genommen, ja selbst in der Südtiroler Theaterlandschaft waren die Scheinwerfer so gut wie nie auf die 56-jährige Brixnerin gerichtet. <BR /><BR />Das mag mit der speziellen Sparte Seniorentheater zu tun haben, lässt sich aber sicherlich auch mit dem Naturell der wandelbaren Theaterpädagogin erklären: Sie kann zwar stundenlang über ihre Arbeitsmethoden und die spezifischen Anforderungen im Umgang mit Senioren philosophieren, aber zu sich selbst fällt ihr kaum was ein. Geht es um Fotos, auf denen auch sie mal zu sehen wäre, meint sie verdutzt: „Mah, ich wüsste jetzt nicht, ob es solche Fotos gibt.“ <BR /><BR /><b>Nicht gerne im Mittelpunkt</b><BR /><BR />Es ist ihr fast ein bisschen peinlich, selbst mal im Mittelpunkt zu stehen. Dabei kann ihre langjährige Arbeit mit Senioren kaum hoch genug eingeschätzt werden: Vor über 25 Jahren hat sie – damals noch in ihrem erlernten Beruf als Pflegerin im Hauspflegedienst Klausen – vorsichtig erste theatralische Schritte gewagt, 2001 begann sie als Mitarbeiterin des Südtiroler Theaterverbandes mit dem Aufbau einer Seniorentheaterszene, und seitdem hat sie mit Hunderten zumeist betagten Schauspielern Stücke erarbeitet und aufgeführt, eigene Theatergruppen aus der Taufe gehoben und zugleich ihre Erfahrungen als Referentin anderen Spielleitern weitergegeben. <BR /><BR />Maria Thaler Neuwirth darf in ihrem Metier getrost als Pionierin bezeichnet werden, sie hat zu Beginn ihres Wirkens noch völliges Neuland beackert. „Ich komme vom Pflegedienst und von der Betreuung, habe also immer wieder gesehen, was ältere Menschen bewegt und kann somit recht gut ihre Wünsche und Möglichkeiten einschätzen“, sagt sie. Dazu passt auch ihr Arbeitscredo, ein von Bertold Brecht überlieferter Leitspruch: Wer nicht beobachtet und das Beobachtete ins Spiel hineinbringt, ist es nicht wert, beobachtet zu werden. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="668678_image" /></div> So braucht es eben nicht nur viel Gespür für die Befindlichkeiten der alten Generation, sondern auch die richtige Art des Umgangs, um sie aus der Reserve zu locken, damit sie dann auf der Bühne aufblühen kann. Maria Thaler Neuwirth stellt dabei klar, dass sie den Beteiligten bei der Erarbeitung der Stücke und der Probenarbeit viel abverlangt, damit auch qualitätsvolle Inszenierungen gelingen können. „Das muss unser Anspruch sein, denn wir wollen mit unseren Darbietungen ernst genommen werden und uns auf Augenhöhe mit den anderen Generationen bewegen“, sagt sie. <BR /><BR />Dabei setzt sie vor allem auf Originalität, Ehrlichkeit und den nötigen Tiefgang. Damit dieser Dreiklang auch tatsächlich die Aufführungen belebt, braucht es die innere Einsatzbereitschaft jeden Akteurs, Commitment auf neudeutsch. Jeder persönliche Impuls bereichert das Stück und umgekehrt strahlt auch jede Aktion wieder auf den Akteur zurück. <BR /><BR />So entsteht in kleinteiliger Arbeit ein großes Ganzes, alte bruchstückhafte Erinnerungen werden zur Gegenwart und vor allem zu einem Gemeinschaftswerk. Erinnerungstheater nennt sie diese Form. „Wir lachen und weinen miteinander und unterstützen uns gegenseitig, wo immer es braucht“, meint sie. <BR /><BR /><embed id="dtext86-50113939_quote" /><BR /><BR /><BR />Nach dieser Machart begleitet sie die Seniorentheatergruppen „die Bartolomei's“ und „Überholspur“. Die Darsteller beider Gruppen kommen aus ganz Südtirol, beide Gruppen hat sie aus der Taufe gehoben, „die Bartolomei's“ vor nunmehr 24 Jahren. Beide Gruppen haben ihre Stücke in und außerhalb Südtirols gezeigt und durften sich über große Erfolge wie den deutschen Theaterpreis freuen. <BR /><BR />Trotz allem will Maria Thaler Neuwirth nicht die Kehrseite der Medaille verschweigen. „Irgendwann merkt man, dass der Höhepunkt überschritten ist und das natürliche Alter zuschlägt – und diese Tatsache gilt es zu akzeptieren“, sagt sie. Kein Wunder, wenn man bedenkt, dass beispielsweise die Beteiligten von „die Bartolomei's“ zwischen 70 und 92 Jahre alt sind, wobei längst nicht mehr alle von der ursprünglichen Formation dabei sind. Die beiden genannten Seniorentheatergruppen sind jedoch nur ein Teil des vielschichtigen Wirkens der überaus quirligen 3-fachen Mutter. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="668681_image" /></div> <BR /><BR />Sie betreut auch weitere Gruppen wie jene von Percha oder Tiers, hat im Auftrag des Theaterverbandes das Seniorentheaterfestival „EntFalten“ in Klausen aus der Taufe gehoben und es seither organisiert, viele Stücke in Pflege- und Altenheimen inszeniert, Beratungen für eine Vielzahl von Ensembles gegeben und themenbezogene Projekte durchgezogen. Mit unterschiedlichen Gruppen wurden typische Alltagsfragen von Senioren veranschaulicht: Sturzprävention („Hoppala, ein falscher Schritt“), Situationen beim Umsteigen in den Öffis oder heikle Themen wie Gewalt im Alter und Sexualität im Alter. <BR /><BR />„Wir wollen aber gezielt Publikum aus allen Altersgruppen ansprechen, hatten deshalb auch die Problematik der Müllverschmutzung oder im generationenübergreifenden Theater den Generationenkonflikt im Programm.“ So wirkt das Schaffen der heiteren Kreativen auch prophylaktisch und gesellschaftskritisch. An die Stelle von Vereinsamung und dem schleichenden Gefühl, nicht mehr gebraucht zu werden, rücken Dialog und Gemeinsamkeit, man wird wahrgenommen und erfährt neue Anerkennung. Theater ist geistige und auch körperliche Betätigung, beansprucht die Darsteller auf ganzer Linie. <BR /><BR /><b>„Coronakrise aufarbeiten“</b><BR /><BR />„Ich bin glücklich, dass mir der Theaterverband dieses Standbein ermöglicht hat und mich alle Mitarbeiter stets fest unterstützt haben“, blickt sie zurück. Langzeitpräsident Klaus Runer habe an das Seniorentheater geglaubt, der bekannte Südtiroler Sprecher Luis Benedikter habe sie zu den Ausbildungen bewogen, das Theater-Urgestein Otto Huber aus der Schweiz habe sie in ihrer Methodik geprägt. Jetzt gelte es, die Folgen der Coronakrise aufzuarbeiten. Die lange Zeit des Verharrens und die damit verbundenen Ängste haben vor allem in den gehobenen Altersgruppen tiefe Spuren hinterlassen. <BR /><BR />Die unermüdliche Theaterpionierin wird auch hier die geeigneten Wege finden. Schließlich ist sie überzeugt: „Die Unterschiede der Erfahrungen, der Meinungen, der Körperlichkeit und der Weltansicht müssen wahrgenommen und gegebenenfalls überbrückt werden. Wir müssen alle füreinander offen bleiben und den Unterschieden mit Wertschätzung begegnen.“ Eigentlich bezieht sich dieser Satz auf ihre Theaterarbeit, doch im Grunde sollte er von der Gesellschaft in ihrer Gesamtheit beherzigt werden. <BR /><BR />