Im letzten Stück der laufenden Spielzeit gibt sich das Südtiroler Kulturinstitut gewohnt amüsant und musikalisch. In „Das Wunder von Schweden“ besingen die Möbel den wundersamen Aufstieg von Ingvar Kamprad, dem heute 85-jährigen Gründer von Ikea.Verkörpert wird Kamprad von Andreas Grötzinger, selbst Schwede und bekennender Ex-Liebhaber von Ikea Möbeln. Südtirol Online: Ein Stück über Ikea. Das ist ja etwas recht Ungewöhnliches …Andreas Grötzinger: … oder eben etwas sehr Naheliegendes. Alle sind mit Ikea aufgewachsen und unsere Wohnungen sind damit möbliert – mal freiwillig, mal unfreiwillig. Was gibt es Naheliegenderes, als gerade darüber zu sprechen! Ungewöhnlich ist sicherlich die Form: Ein Oratorium über das Leben eines Möbelhändlers hat es glaube ich noch nicht gegeben. STOL: Sie sind selbst Schwede. Wie wichtig ist den Schweden Ikea?Grötzinger: Ikea hat eine riesige Bedeutung. Es ist ein Teil des Nationalverständnisses geworden. Ingvar Kamprad ist schon sehr präsent. Und natürlich viel mehr als hier auf dem Kontinent auch als Person. In Schweden kennt man ihn, hat seine Höhen und Tiefen verfolgt.STOL: War ein Stück über Ikea also bereits überfällig?Grötzinger: (lacht) Sagen wir es mal so: Es gab Reaktionen von anderen Theatern im deutschsprachigen Raum, die in die Richtung von: „Mensch, natürlich, wieso bin ich da nicht selber drauf gekommen!“ gingen.STOL: Sind Sie ein Ikea-Liebhaber?Grötzinger: Als ich angefangenen habe, meine Wohnung mich einzurichten, ja. Da wohnte ich aber auch in der Nähe eines Ikea-Möbelhauses. Für Exil-Schweden (wie Grötzinger einer ist, Anm.d.Red.) ist Ikea wichtig, da es da viele Esswaren gibt, die man sonst nicht bekommt. Ich freue mich aber inzwischen über jedes Möbelstück bei mir zu Hause, das nicht mehr von nicht Ikea ist. STOL: Sie spielen in dem Stück die Hauptrolle. Wie würden Sie Ingvar Kamprad beschreiben?Grötzinger: Das ist jetzt eine zwiespältige Frage. Die Rolle, die ich spiele, ist nämlich die eines Börsenhändlers, der in diesem Stück in die Rolle einer Vorstellung von Ingvar Kamprad schlüpft. Was ich spiele, hat mit dem eigentlichen Ingvar Kamprad nicht so viel zu tun als vielmehr mit dem Bild von Ingvar Kamprad, das dieser Börsenhändler hat. Er hat wahnsinnig viel Geld verloren und ist völlig am Ende. Dieser Börsenhändler denkt sich in jemanden hinein, der nicht an die Börse gegangen ist und sich sein ganzes Vermögen - unter teilweise sehr obskuren Umständen – verdient hat; der sich nicht an den Märkten bedient und sich das alles mit alten Tugenden wie Redlichkeit, Sparsamkeit und Fleiß erarbeitet hat und somit auch nicht davon betroffen ist, wenn die Märkte baden gehen. STOL: Wie nahe bewegt sich das Stück also am tatsächlichen Leben des Unternehmers?Grötzinger: Sehr nahe. Regisseur, Komponist und Autor haben sich an einer Biografie von Ingvar Kamprad von Bertil Torekull, die mit feiner Ironie und mit leicht biblischen Anklängen geschrieben ist, orientiert. Die Regisseure haben den Gedanken zu Ende gedacht: In was für einer Situation würden Menschen auf die Idee kommen, das Werk Ingvar Kamprads als Evangelium aufführen zu wollen? Das ist auch die Inspiration für die Musik im Stück, die teilweise sehr sakral ist. „Das Wunder von Schweden“ ist keine Biografie. Dennoch sind alle Stationen von Kamprads Lebens richtig beschrieben, bis auf das Bild am Schluss, wo er stirbt. Das ist metaphorisch. STOL: Wie viel Ironie und schwarzer Humor stecken in dem Stück?Grötzinger: Ganz viel natürlich. Wenn etwas so heilig daher kommt, dann kann man sich ein Grinsen nicht verkneifen. Das Publikum ist oft in den ersten zwanzig Minuten sehr verwirrt, bis ihm dann klar wird, dass man Lachen darf. STOL: Die Musik spielt eine tragende Rolle in „Das Wunder von Schweden“, es gibt keine gesprochenen Dialoge. Kann man von einem Musical sprechen? Grötzinger: Es ist musikalisches Theater. Letztlich ist es ein Oratorium, ein Weihespiel. Allerdings mit einer Rahmenhandlung. Ein Passionsspiel könnte man es nennen. Man bedient sich anderer Bilder, eines anderen Vokabulars – musikalisch wie szenisch – als beim Musical. Das Ganze natürlich mit sehr viel Augenzwinkern. STOL: Auf welche Art von Musik darf sich das Publikum gefasst machen? Grötzinger: Es ist zum einen schwedische Volksmusik, zum anderen ist es sakrale Musik im Geiste Bachs.STOL: Ikea klingt also nordisch und nach Bach?Grötzinger: Das könnte man so sagen.STOL: In dem Stück wird die Frage nach einem „guten Kapitalismus“ aufgeworfen. Gibt es am Ende eine Antwort darauf?Grötzinger: Die Frage wird nicht beantwortet, sie wird differenziert, aufgearbeitet, mit ungewöhnlichen Mitteln immer wieder neu gestellt. Wenn man über Ingvar Kamprad liest, ist man hin- und hergerissen: Er ist einerseits ein fürchterlich patriarchalischer Eigentümer, gleichzeitig hat er eine fantastische soziale Ader. Man weiß nicht, wie man ihn finden soll – er ist einfach ungewöhnlich. Die Frage, ob das nun gut oder schlecht ist: Das auf einer Bühne zu beantworten, wäre sehr billig. Die Frage stellen, das tun wir gut und unterhaltsam.Interview: Barbara RaichDas Deutsche Schauspielhaus Hamburg zeigt „Das Wunder von Schweden“ am 4. und 5. Mai, in einer Koproduktion mit den Ruhrfestspielen Recklinghausen, im Bozner Waltherhaus.