Im Interview blickt sie mit uns auf 11 Jahre Theater zurück. <BR /><BR /><b>Ihre letzte Spielzeit an den Vereinigten Bühnen Bozen stand unter dem Motto: „Don’t dream it, be it“. Vielleicht könnte man Ihre 11 Jahre an den VBB ebenso beschreiben…</b><BR />Irene Girkinger: Ja, ich konnte vieles, von dem ich geträumt habe, verwirklichen – wie z.B.mit tollen Schauspielern und und Künstlerinnen zu arbeiten, dokumentarische Theaterproduktionen zur Zeitgeschichte sowie internationale Theaterprojekte auf die Bühne zu bringen. Es war zu Beginn nicht leicht, das Publikum musste auch erst Vertrauen fassen, aber es freut mich sehr, dass unser Angebot - auch von zeitgenössischen oder unbekannten Stücken – so gut ankommt.<BR /><BR /><b>Und doch, was waren Ihre Träume, die Sie in Bozen verwirklichen wollten?</b><BR />Girkinger: Ich wollte auch immer in einem Theater arbeiten, wo hinter den Kulissen gute, wertschätzende Arbeitsbedingungen herrschen, wo das Ermöglichen im Vordergrund steht und alle an einem Strang ziehen. Das habe ich hier bei den VBB mit dem tollen Team vorgefunden. Das strahlt auf alle aus und spornt insgesamt zu Höchstleistungen an. Und ich wollte die VBB noch stärker an den deutschsprachigen Theaterraum anbinden und ihren guten Ruf weiter ausbauen. Es wissen jetzt wirklich viele Menschen im aber auch außerhalb des Landes, dass hier Theater auf top Niveau gezeigt wird.<BR /><BR /><b>Was ist Ihnen gelungen?</b><BR />Girkinger: Ich glaube, es ist uns gelungen, Theater als etwas Lebendiges, Relevantes und Kreatives in den Köpfen der Südtiroler und Südtirolerinnen zu verankern, vor dem man nicht „Angst“ haben muss, dass es zu „abgehoben“ ist. Und man auch richtig gut unterhalten werden kann. Aber auch zum Nachdenken angeregt wird. Und dass es einen Wert hat, selber vor Ort Theater zu produzieren, also Theater zu zeigen, das für hier gedacht wurde und hier gemacht wird.<BR /><BR /><b>Sie haben am Theater historische Stoffe, die die Südtiroler immer noch sehr aufwühlen, bearbeitet und auf die Bühne gebracht, wie die Bombenjahre oder die Option. Welches waren die größten Schwierigkeiten, bei der Realisierung dieser Projekte?</b><BR />Girkinger: Zuerst natürlich die Skepsis überwinden, ob es schon gut und richtig ist, sich diesen Themen mit den Mitteln des Theaters zu stellen. Dann überhaupt Menschen zu finden, die über die Begebenheiten von damals erzählen können und sich auf eine Theaterbühne stellen wollen. Weiters die verschiedenen Blickwinkel gleichberechtigt abzubilden und darzustellen. Theater hat die Aufgabe, aufzurütteln, zum Hinterfragen anzuregen, aber jeder muss sich seine eigene Meinung bilden. Theater darf nicht politisch tendenziös sein, es ist politisch, indem es Fragen zum Menschsein und Zusammenleben stellt. Es mussten auch die richtigen theatralen Formen gefunden werden, beide Produktionen waren ja sehr unterschiedlich, verbindendes Element war die Musicbanda Franui, die durch die Musik immer wieder einen wichtigen Ausglich dargestellt hat. <BR /><BR /><b>Die Pandemie hat viele gesellschaftliche Entwicklungen, die es schon vorher gab, verschärft oder einfach nur sichtbarer gemacht. So eben auch die Tendenz des Theater-Publikums zu „verschwinden“. Denn auch die gab es schon vorher, ebenso wie die Sorge der Theater um das alte Abo-Publikum und die Sehnsucht nach einem neuen, diverseren, samt dem damit einher- gehenden programmatischen Spagat zwischen Kanon und Diskursformat. Wie sehen Sie die Entwicklung, bzw. was haben Sie hier in Südtirol beobachtet?</b><BR />Girkinger: Theater ist ein lebendiger Prozess, der unmittelbar mit der Gesellschaft zu tun hat. Unsere Sehgewohnheiten und Freizeitgestaltung unterliegen einem großen Wandel, nicht zuletzt durch Corona. Das Freizeitverhalten hat sich mehr in den privaten Bereich verlegt, es ist bequemer und günstiger zuhause Serien zu schauen. Und die jüngere Generation hat ganz andere Denk- und Lebensansätze und lehnt ein klassisches Kanondenken ab. Sie haben andere wichtige Themen wie Klimawandel, Diversität, Partizipation und sie wollen und müssen Zukunft neu denken. Wir haben gemerkt, dass Produktionen, die nicht dem klassischen Kanon angehören aber aktuelle Themen behandeln und auch diskursivere Formen beinhalten wie z.B. „Anthropos, Tyrann (Ödipus)“ nach Sophokles oder „Die Schutzbefohlenen“ von Elfriede Jelinek vor allem auch beim jungen Publikum sehr gut ankommen. Auch das Festival Transart z.B. bietet seit Jahren ein breites Angebot an innovativen Kunstformen und -formaten, die sehr gut besucht sind. Es gibt in Südtirol noch viel Potential beim Publikum. <BR /><BR /><b>Das Theater-Abo, das lange Zeit einen Grundstock an Publikum garantierte, ist schon lange auf dem absteigenden Ast. Über welche neue Angebote muss der Theaterbetrieb nachdenken, um das Publikum ins Haus zu holen?</b><BR />Girkinger: Das Publikum entscheidet sich kurzfristiger für einen Theaterbesuch und möchte sich nicht mehr so fix binden. Es möchte flexibler sein. Daher sind neue Abo-Formate wie ein flexibles oder Wahl-Abo die Zukunft. Und die jungen Menschen kaufen überhaupt eher selten ein Abo. Sie kann man vielleicht eher durch eine „Rabatt-Card“ oder günstige Last-Minute-Angebote ins Theater locken. Neben der Mundpropaganda ist die Kommunikation und Werbung über Social Media immer wichtiger. <BR /><BR /><b>Jüngeres Publikum anzuziehen mit einem höheren Anteil an unberechenbaren Spontan-Besuchern oder Besucherinnen, das ist die große Herausforderung. Was haben Sie dafür in Bozen unternommen und was wollen Sie in Innsbruck tun?</b><BR />Girkinger: Die Social-Media-Kanäle sind extrem wichtig, um bei jungen Menschen aufs Theater aufmerksam zu machen und um Studenten über Kooperationen und Angebote z.B. zum Semesterbeginn zu erreichen. Wir müssen auf unsere Arbeit neugierig machen, in der Kommunikation genauso wie auf der Bühne. Wir werden in Innsbruck auch mit einigen Musikeren arbeiten, die die jungen Menschen aus der Szene kennen, wie z.B. die Ötztaler Sängerin Nenda, die in London lebt oder die renommierte österreichische Musikerin Gustav. <BR /><BR /><b>International spricht man von einem „Überangebot“ im Kulturbetrieb. Sowohl Besucher oder Besucherinnen wie Sponsoren oder die öffentliche Hand sehen vor lauter Wald die Bäume nicht mehr… Was sagen Sie dazu, bzw. wie könnten künftige Kooperationsmodelle aussehen?</b><BR />Girkinger: Ich denke, es braucht eine generelle Standortbestimmung und Strategie der Kulturpolitik. Wo soll die Reise hingehen? Für mich steht fest, dass alles, was direkt im Land selber produziert wird und nicht von Außen eingekauft wird, von größtem Wert ist. Die regionale und auch überregionale Vernetzung der Theater und Institutionen ist sehr wichtig. Gemeinsame Produktionen sind für alle Beteiligten auf und hinter der Bühne ein Mehrwert, weil man Neues kennenlernt, sie sparen einen Teil der Kosten und können die Spielpläne von 2 Institutionen bereichern. Auch die Kooperationen in Südtirol und innerhalb der Euregio müssen ausgebaut werden, ich werde mich von Innsbruck aus sicher weiter um gemeinsame Projekte mit den VBB, dem TSB oder auch der Stiftung Haydn und mit Kollegen aus dem Trentino bemühen, ein erstes gemeinsames Projekt am Plan ist ein Euregio-Autoren-Förderprojekt. <BR /><BR /><b>Mit dem Publikum kommunizieren: Darüber zerbrechen sich Intendanten ihre Köpfe. Programmvorschauen, Plakataktionen, Werbung digital und nicht, Testimonials, Theaterkritiken… helfen dabei, oder? Was sind Ihre Erfahrungswerte?</b>Girkinger: Klassische Kommunikationsmittel wie Plakate oder Inserate funktionieren leider nicht mehr so gut. Es geht viel über Social Media bzw. die digitalen Medien. Und immer noch über Mundpropaganda. Wenn jemand die Empfehlung bekommt bzw. hört, dass eine Produktion gut sein soll, dann kommen die Menschen eher ins Theater. <BR /><BR /><b>Vor Kurzem haben Sie Ihr Programm am Tiroler Landestheater, das Sie nun leiten werden, vorgestellt. Sie sprachen von neuen Formen, Internationalität, Kooperationen und haben über all dem die wichtige Rolle aller Theatermacher im Haus gestellt. Das war auch in Bozen Ihr Credo, Hierarchien so flach wie möglich zu halten…</b><BR />Girkinger: Ja, ich begreife Theater wirklich als kollektiven Prozess, in dem alle ihre Verantwortung tragen – auf und hinter der Bühne. Und diese beinhaltet, dass sie wichtiger Teil des großen Ganzen sind. Aber natürlich muss es in einem Theaterbetrieb auch Leiterinnen der einzelnen Bereiche geben, die Budgets verwalten und Entscheidungen treffen. Und für die Schauspieler und Schauspielerinnen sowie Regieteams müssen wir die besten Bedingungen für ihre künstlerische Arbeit stellen. Alle tragen eine große Verantwortung, dass das, was man auf der Bühne sieht, das Publikum begeistert und mitreißt. <BR /><BR /><b>Schon seit einem Jahr „begleitet“ Sie der neue Intendant der VBB Rudolf Frey, in wenigen Tagen stellt er sein Programm vor. Was wünschen Sie ihm?</b><BR />Girkinger: Die Übergabe läuft wie in jedem Theater seit über einem Jahr, das ist normal, es gibt am Theater lange Vorlaufzeiten in der Planung. Ich wünsche Rudolf Frey, dass er mit guten und kreativen Ideen und sicherer Hand sowie Leidenschaft die VBB zukunftsorientiert weiterentwickelt. Ich wünsche ihm eine ebenso gute Zeit mit dem VBB-Team, den Künstlern und dem Publikum hier, wie ich sie hatte. Und Ausdauer und eine dicke Haut!<BR /><BR /><b>Und was wünschen Sie sich noch zum Abschied?</b><BR />Girkinger: Ich habe das schönste Abschiedsgeschenk bereits bekommen – unsere Produktion „Richard O'Briens The Rocky Horror Show“, die am Samstag die letzte Vorstellung gefeiert hat. Wir haben das Stück, das 50 Jahre alt, aber immer noch brandaktuell ist, in die Gegenwart geholt mit einem diversen Cast, viel Querness, einer tollen Ausstattung und Band mit top Gesang, Tanz und Spiel. Die Stimmung im Saal war wie bei einem Pop-Konzert. Einen schöneren Abschied als mit dieser großen Party und der Botschaft für eine offene, diverse und lebendige Gesellschaft kann es nicht geben! <h3> Und dann hat Irene Girkinger für uns noch einige Sätze vervollständigt...</h3><b>Irren schmerzte, als…</b><BR />ich erkennen musste, dass wir den falschen Titel für eine ganz wichtige und aufwändige Theaterproduktion zu Autonomie- und Minderheitenfragen mit Gästen aus ganz Europa gewählt haben. „Wir. Heute. Morgen. Europa – Minderheiten und Autonomien im europäischen Kontext“ – das klang wohl eher nach Seminararbeit als nach Theater. <BR /><BR /><b>Reüssieren konnten Sie mit…</b><BR />Theaterprojekten, die den geschichtlichen und gesellschaftspolitischen Hintergrund der Region beleuchten oder in Kooperation mit anderen lokalen Kulturinstitutionen wie etwa der Bürgerkapelle Gries. Dadurch wurden z.B. wieder Dialoge zwischen Menschen möglich, die lange undenkbar waren und es kamen auch Menschen zu uns ins Theater, die uns sonst vielleicht nicht besuchen.<BR /><BR /><b>Einmal hätten Sie gerne an den VBB…</b><BR />einen Theatermarathon mit antiken Stücken oder Shakespeare-Dramen gemacht. Oder eine neue Version des „Jedermann“ von Ferdinand Schmalz am Platz vor dem Bozner Dom aufgeführt. <BR /><BR /><b>Nächtelang haben Sie…</b><BR />Premieren gefeiert. Das waren immer so tolle Feste!<BR /><BR /><b>Ewig in Erinnerung bleibt Ihnen…</b><BR />die Standing Ovations und Begeisterungsstürme, die die Zeitzeugen und Zeuginnen beim Theaterprojekt zur Option bei jeder Vorstellung vom Publikum bekommen haben, insbesondere auch von jungen Men- schen in den Schulvorstellungen und beim Gastspiel am Tiroler Landestheater. <BR /><BR /><b>Gutes Theater muss…</b><BR />Herz und Verstand erreichen. <BR /><BR /><b>In Bozen an den VBB hinterlassen Sie…</b><BR />ein motiviertes, professionelles und liebevolles Team an Theaternärrinnen und -narren.<BR /><BR /><b>Ratlos machte Sie der/die Künstler/in…</b><BR />Giorgio Moroder, der ein absoluter Weltstar ist und trotzdem so bodenständig und nahbar geblieben ist. Wir saßen oft im Laurin, und er erzählte von seinen Zusammenarbeiten mit großen Stars der Musikwelt oder den Oscarverleihungen und meinte gleichzeitig, sein Leben sei überhaupt nicht interessant oder etwas Besonderes… Die Begegnung mit ihm war für unsere Band, die Musical-Darsteller und Darstellerinnen, das gesamte VBB-Team und vor allem auch für mich ein absolutes Highlight!<BR /><BR /><b>Komödie, Drama oder Musical…</b><BR />alles gerne, wenn es gut gemacht ist!<BR /><BR /><b>Immer wieder zusammenarbeiten möchten Sie mit…</b> anderen Theatern in Europa. <BR /><BR /><b>Nach Innsbruck nehmen Sie von Ihren Erfahrungen mit...</b> dass es für Veränderungen viel Geduld und eine gewisse Hartnäckigkeit braucht. <BR /><BR /><b>Gelernt haben Sie…</b><BR />dass Humor nie fehlen darf!<BR /><BR /><b>Es ist nun Zeit für…</b><BR />Abschiednehmen und Veränderung. <BR /><BR /><b>Ruhen werden Sie erst, wenn…</b> ich befürchte, ich werde erst ruhen, wenn es wirklich nicht mehr anders geht.<Rechte_Copyright></Rechte_Copyright><BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><BR />