Die neue Spielzeit von Rudolf Frey verspricht viel, darüber spricht er im folgenden Interview...<BR /><BR /><BR /><b>„Unsere Welt befindet sich in einer sogenannten Multikrise“, haben Sie gesagt. Diese sich wechselseitig beeinflussende krisenhafte Weltlage zwingt Kultur- und Theaterschaffende sich dieser Realität zu stellen: Inwiefern?</b><BR />Rudolf Frey: Wir sind mehr denn je gefordert, Haltung zu zeigen: mit der Urkraft des Theaters, der künstlerischen Übersetzung der Welt auf der Bühne. Das Durch- und Weiterspielen der Realität im kollektiven Denkraum des Theaters ist unsere Kernkompetenz.<BR /><BR /><BR /><b>Auf der Broschüre und auf den VBB-Plakaten steht: „Wir brauchen großes Theater.“ Kann Theater heute unserer ach so gemarterten Gesellschaft Trost spenden – und wie?</b><BR />Frey: Wir müssen die großen menschlichen Welt-Themen sinnlich verhandeln, genauso dem Individuum Sichtbarkeit gewähren: ohne erhobenen Zeigefinger, vielperspektivisch und vor allem gemeinsam. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1175322_image" /></div> <BR /><BR /><b>Vielleicht auch, wie Sie treffend erklären, indem wir in eine andere Welt – in den Kaninchenbau – eintauchen, die wiederum ein Spiegelbild der realen Welt sein kann?</b><BR />Frey: Unser diesjähriges Familienstück „Alice im Wunderland“ (Premiere: 22.11.) verhilft uns zu diesem treffenden Motiv – diese Mischung aus einem Zufluchtsort und der künstlerischen Antwort des Theaters auf unsere immer absurder scheinende Gegenwart.<BR /><BR /><BR /><b>Wenn wir nun auf die neue Spielzeit im Einzelnen eingehen, so gibt es zum Auftakt das Stück „L’Addition“ (14.9.) vom weltweit agierenden Künstler und Autor Tim Etchells in englischer Sprache – eine erneute Zusammenarbeit mit TRANSART. Das Zusammenspiel zwischen VBB und dem Festival Zeitgenössischer Kultur scheint sich mittlerweile bewährt zu haben…</b><BR />Frey: Wir bieten auf diesem Wege internationalen Produktionen jenseits der gängigen Theater- und Formensprache eine Plattform und wollten auch in diesem Jahr wieder andere Orte in Südtirol theatral bespielen (Zirkuszelt, Talferwiesen und Stanglerhof Völs). Unsere mit Begeisterung aufgenommene Eröffnungsproduktion „Die 7 Tage von Mariahaim“ aus der vergangenen Saison hat das eindrucksvoll bewiesen. Jede Aufführung war restlos ausverkauft!<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1175325_image" /></div> <BR /><BR /><b>Gibt es auch Berührungspunkte mit anderen Städtetheatern wie dem Theater in der Altstadt in Meran, der Carambolage in Bozen, der Dekadenz in Brixen oder dem Stadttheater Bruneck?</b><BR />Frey: Mit diesen Theatern verbindet uns aktuell vor allem eine strategische Zusammenarbeit zur Weiterentwicklung der Südtiroler Kulturlandschaft. Für Überlegungen bezüglich möglicher Zusammenarbeiten in der Zukunft auf vielfältigen Ebenen stehe ich gerne zur Verfügung. <BR /><BR /><BR /><b>...und dem Südtiroler Kulturinstitut?</b><BR />Frey: Bei der Produktion „Im weißen Rössl“ gibt es auch in diesem Jahr wieder das Angebot einer Sonderaktion für die Abonnenten des SKI ihr Abo, um diese Musiktheaterproduktion an unserem Haus zu einem Sonderpreis zu erweitern. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1175328_image" /></div> <BR /><BR /><b>Eröffnet wird die VBB-Saison im Stadttheater Bozen dann mit „König Lear“ (Premiere: 27.9.) in der Übersetzung von Kiki Miru Miroslava aus dem Jahr 2020, wobei die Theaterautorin Shakespeares Drama ins Heute übersetzt. Was reizt Sie an diesem Stück so sehr, dass Sie dafür die Regie übernommen haben?</b><BR />Frey: Es ist eines der geheimnisvollsten Stücke der Theaterliteratur und beinhaltet beinahe alle großen Themen der Gegenwart: die Fragen der Übergabe an die nächste Generation, die vielfältigen Gefahren von Machtstrukturen, Familie und Identität. Das ambivalente Spiel zwischen Wahn und Realität könnte nicht brennender sein als in unserer heutigen Welt. <BR /><BR /><BR /><b>Mit dabei sind drei Südtiroler Schauspielerinnen: Gerti Drassl, Jasmin Mairhofer, Patrizia Pfeifer…</b><BR />Frey: In vielen Produktionen versuchen wir, bekannte Südtiroler Künstlerinnen und Künstler mit Menschen aus deutschsprachigem und internationalem Raum miteinander zu verknüpfen, der gemeinsame Raum ist für beide Seiten extrem befruchtend. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1175331_image" /></div> <BR /><BR /><b>Auch ihr italienischer Partner im Haus, das Teatro Stabile zeigt den „König Lear“ aber in einer eher klassischen Version…</b><BR />Frey: Das Stück wird seit über 400 Jahren immer weiter und neu aufgegriffen, jede Auslegung erhält andere Facetten und Schwerpunkte – ich bin sehr gespannt auf diese Arbeit. <BR /><BR /><BR /><b>Michael Gaismair ist 2025 auch ein Thema bei den VBB: Doch wird nicht der Kämpfer für soziale Gerechtigkeit eine Rolle spielen, sondern Frauen, die damals im Hintergrund agierten. „Im Kampf für Freiheit und Gleichheit und Brüderlichkeit bleibt für die Frauen oft nur – die Wäsche“, sagen Sie ironisch. Die Regisseurin Michaela Senn und ihr Team entwickeln für die VBB ein Stück über die Leerstellen in der Geschichtsschreibung. Worauf darf das Publikum in „Magdalena, ma dai“ gespannt sein?</b><BR />Frey: Wir beschäftigen uns ausgehend von Magdalena Gaismair neuerlich mit dem Thema der Care-Arbeit, aus der historischen Perspektive und mit einer Brücke ins Heute. Die Produktion entsteht in Zusammenarbeit mit dem Stadt- und Multschermuseum Sterzing und dem Vigil Raber Kuratorium und wird sowohl im Stadttheater Sterzing (Premiere: 22.11.) (Geburtsort von Michael Gaismair), als auch in Bozen (ab 13.12.) gezeigt. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1175334_image" /></div> <BR /><BR /><b>Kim de l'Horizon hat 2022 den Deutschen Buchpreis für den Roman „Blutbuch“ erhalten. Nach der wunderbar gelungenen Theaterfassung von „Ein Hund kam in die Küche“ von Sepp Mall dramatisieren die VBB nun wieder einen Roman…</b><BR />Frey: Wenige aktuelle Stoffe haben es geschafft, die Themen von Identität und Traumata der Vergangenheit so faszinierend umzusetzen. Kim’s packende Sprachbilder sind eine Steilvorlage für eine sinnliche, poetische, aber auch aufrüttelnde Übersetzung für die Bühne. Der Kosmos des Romans „Blutbuch“ (Premiere: 17.1.) ist auch ein im aktuellen politischen Klima wichtiges Statement zur greifbaren Auseinandersetzung mit einer diversen und vielfältigen Gesellschaft. <BR /><BR /><BR /><b>Sarantos Georgios Zervoulakos hat mit der Palmetshofer Überschreibung „Vor Sonnenaufgang“ nach Gerhart Hauptmann in der Spielzeit 2024/25 an den VBB als Regisseur debütiert, indem er die Handlung in eine Sauna verfrachtete. Was hat der Regisseur diesmal mit „Fabian oder der Gang vor die Hunde“ (Premiere: 21.2.) – Erich Kästners politisch brisantem Roman – vor?</b><BR />Frey: Die zeitliche Analogie des Textes von 1930 zur aktuellen Weltlage ist der Ausgangspunkt für diese mulitdisziplinäre Aufführung: ein irrer Trip durch ein Berlin von gestern und heute und gleichzeitig eine erschreckende Warnung vor der drohenden Gefahr politischer Umbrüche. Ich kann mir vorstellen, dass diese Arbeit auch bei jungem Publikum und Schulen auf großes Interesse stoßen wird. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1175337_image" /></div> <BR /><BR /><b>Voraussichtlich im März ist Tobias Moretti in „Vanya“ von Simon Stephens nach Anton Tschechows „Onkel Wanja“ alleine auf der VBB-Bühne zu sehen. Wie konnten Sie den viel beschäftigten Tiroler Schauspieler für Bozen gewinnen?</b><BR />Frey: Mit diesem Stück! Die geniale Überschreibung ist eine gewaltige Vorlage für einen einzigen Schauspieler auf der Bühne, der alle Figuren der Geschichte zugleich verkörpert. Gemeinsam mit Regisseurin Anna Bergmann haben wir Tobias Moretti diese Steilvorlage vorgeschlagen und er hat mit großem Interesse zugesagt, diese Arbeit hier zu realisieren und auch mit weiteren Partnern im Ausland (Telfs) weiterzuverfolgen. Leider sind wir brandaktuell mit einer notwendigen Verschiebung des Projektes aus terminlichen Gründen des Darstellers konfrontiert, weshalb der genaue Premierentermin noch mitgeteilt wird. <BR /><BR /><BR /><b>Im April gibt es eine Koproduktion mit dem Südtiroler Theaterverband bei der Uraufführung von „Möglichkeitsmenschen“ (Premiere 11.4.). Sie fordern dafür alle, die Theater lieben, auf, mitzumachen. Was wird da auf der Bühne der VBB passieren?</b><BR />Frey: Im Jubiläumsjahr des STV schaffen wir auf unserer Bühne einen offenen, künstlerischen Begegnungsraum für alle theaterbegeisterten Menschen in Südtirol, die sich mit dem Thema des Rollenwechsels auf der Bühne und in der Gesellschaft beschäftigen. Diese Uraufführung wird Regisseur und Autor Peter Lorenz zusammen mit den Spielerinnen und Schauspielern entwickeln. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1175340_image" /></div> <BR /><BR /><b>Als letzte Produktion gibt es Theater und Musik: Diesmal steht „Im weißen Rössl“ auf dem Programm, eine Koproduktion mit dem Haydn Orchester und der Bürgerkapelle Gries…</b><BR />Frey: ...und dem Tiroler Landestheater, mit dem wir zusammen mit dem renommierten Regieteam um Ruth Brauer-Kvam diese Inszenierung für beide Häuser entwickeln. Dieses Singspiel vereint klassische Operette, Jazz, volkstümliche Musik, Popkultur, Theater, Kabarett und große Revue zu einem genialen Ganzen. Das vielseitige Ensemble bestendend aus den Bereichen klassisches Musiktheater, Musical, Tanz und Schauspiel beschert unserem Publikum auch ein Wiedersehen mit Künstlern wie Lukas Lobis, Thomas Hochkofler, Johann Nikolussi und Erwin Belakowitsch etwa. Das Theater als beschwingter Resonanzraum für Liebe, Poesie und Humor steht als kraftvolle Botschaft am Ende dieser Saison. <BR /><BR /><BR /><BR /><b>Apropos Ende – seit der Saison 2023/2024 sind Sie nun Intendant der VBB. In diesen Jahren konnten Sie sich ein Bild der Südtiroler Theaterszene machen. Wie erlebten Sie diese bisher?</b><BR />Frey: Ich schätze die Vielfältigkeit, wenngleich es für die theaterinteressierte Menschen möglicherweise schwierig ist, das Profil der einzelnen Player zu greifen. Meine Vision ist, dass Südtirol die bestehende Kraft als Chance zur Weiterentwicklung nutzt. Die in wenigen Jahren lebendig gewachsenen Strukturen könnten in der kommenden Zeit die Gelegenheit ergreifen, die individuellen Stärken durch Synergien kraftvoll weiterzuentwickeln.<BR /><BR /><BR />Kinder- und Jugendtheater<BR /><BR /><BR /><b>„Dschabber“</b> von Marcus Youssef, Regie Verena Holztrattner – Mobiles Klassenzimmerstück für alle ab 12 Jahren – ab November<BR /><BR /><BR /><b>„Krake“</b>, eine interaktive Performance über<BR />die Tiefsee, Tentakel und Comunità für alle ab 7 Jahren, Koproduktion mit Transart25, Kids Culture Club, Familienvorstellungen, NOI Open Air Bühne ab 19. September <BR /><BR /><BR /><b>„Alice im Wunderland“,</b> Theaterfassung von Peter Siefert nach Lewis Carroll, <BR />Familienstück für alle ab 8 Jahren, Premiere, Studio, <BR />22. November <BR /><h3> Zahlen</h3><BR />Rund 16.000 Besucherinnen und Besucher hatten die VBB in der vergangenen Spielzeit. „Das sind 28 Prozent mehr als zu Beginn meiner ersten“, so Rudolf Frey. 280 Abonnentinnen und Abonnenten zählen die VBB. 25 Prozent der Besucherinnen und Besuchern sind unter 35 Jahre alt.<BR /><BR /><BR /><b>Infos:</b> www.theater-bozen.it<BR /><Fett>Anmeldung für „Möglichkeitsmenschen</Fett> bis 10.10. <BR />judith.schwienbacher@theater-bozen.it