„Mitten im COVID-19-Lockdown ist uns 'Relative Calm' eingefallen“, sagt der Theatermacher Wilson. Ab heute wird sein jüngstes Stück im Stadttheater von Bozen gezeigt. Der Meister selbst tritt in 2 Intermezzi des Tanztheaterstücks auf. Ein Gespräch.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="871100_image" /></div> <BR /><BR /><b>Auch in „Relative Calm“ kombinieren Sie Tanz, Musik, Licht und Bilder. Bleiben dabei alle 4 Elemente „gleichbe- rechtigt“?</b><BR />Robert Wilson: In all meinen Werken sind sämtliche Elemente gleichermaßen wichtig. Von Anfang werden sie als Ganzes gedacht. Was „Relative Calm“ angeht, so habe ich gleichzeitig an allen Elementen gearbeitet. Ich hörte Musik, zeichnete und sah mir Lucinda Childs’ Arbeit an. Es war eine echte Zusammenarbeit. Jedes Theaterstück ist für mich Tanz. Und große Elemente sind Teil eines Gesamtkonstrukts.<BR /><BR /><BR /><b>Lucinda Childs und Sie haben schon Mitte der 1970er Jahre zusammengearbeitet. Wie kam es zu dieser erneuten Kooperation?</b><BR />Wilson: Lucinda ist eine gute Freundin. Mit ihr arbeite ich sehr gerne zusammen, weil uns dieselbe Sensibilität, dasselbe Zeitgefühl, die gleiche visuelle Ästhetik und der gleiche architektonische Sinn verbindet. Ich kannte bereits ihre Arbeit, insbesondere ihre bahnbrechende Tätigkeit in den 1960-ern an der Judson Church. 1975 habe ich Lucinda dann zum ersten Mal getroffen. Da erzählte ich ihr von der Oper, die ich mit Philip Glass realisieren wollte. Sie war sofort mit von der Partie. So entstand unsere erste Zusammenarbeit. Lucinda hatte damals schon „A Letter for Queen Victoria“ und andere frühere Werke von mir gesehen, die ihr gefielen. Wir teilen den Sinn für Zeit und Askese.<BR /><BR /><BR /><b>In dieser Produktion arbeiten Sie zur Musik von John Adams und Jon Gibson sowie zu Strawinskys Pulcinella-Suite. Was fasziniert Sie an Strawinsky und dessen Musik? Wo finden Sie Schnittpunkte mit jener von Jon Gibson und John Adams?</b><BR />Wilson: Ich mag seine Denkart. Strawinskys Musik ist der Kernpunkt von „Relative Calm“ und wird von den Klängen von Jon Gibson und John Adams umrahmt. Er wirkt musikalisch und theatralisch gleichsam wie ein Wendepunkt zum Gütigen. Es ist so, als würden sich Gibson und Adams am Strawinskyschen Kern ranken. In meinem Kopf bilden die erste und letzte Hälfte visuell einen Kontrapunkt zu Strawinsky. Gibson und Adams sind hingegen unterschiedlich, aber alle sind „gleichdenkend“.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="871103_image" /></div> <BR /><BR /><b>Was zeichnet das „MP3 Dance Project“ und dessen 12 Tänzer und Tänzerinnen aus, dass sie für dieses Projekt ausgewählt wurden?</b><BR />Wilson: Das MP3 Dance Project betreibt eine Politik der Offenheit und ich freue mich, ein Teil davon zu sein.<BR /><BR /><BR /><b>So lässt sich „Relative Calm“ als eine Avantgardeproduktion bezeichnen...</b><BR />Wilson: Ja, ich glaube schon. Aber was bedeutet eigentlich Avantgarde? Nichts anderes als die Wiederentdeckung der Klassiker.<BR /><BR /><BR /><b>Was ist die Botschaft von „Relative Calm“? Mit welchem Gefühl soll ihr Publikum nach Hause gehen?</b><BR />Wilson: Ich versuche nicht, mit meiner Arbeit irgendeine Botschaft zu vermitteln. Du gehst hin und hörst und siehst. Je nach Zuschauer oder Zuschauerin wird sich die Botschaft unterschiedlich gestalten. Der Grund für meine Arbeit ist es, Fragen zu stellen und zu sagen: Was ist das? Und nicht zu sagen, was etwas ist.<BR /><BR /><BR /><b>Sie selbst werden, da Lucinda Childs aufgrund einer Unpässlichkeit nicht auftreten kann, 2-mal auf der Bühne zu sehen sein. Was werden die Zuschauer erleben?</b><BR />Wilson: Es fällt mir ziemlich schwer, meine Teilnahme an der Aufführung zu erkläre, da ich gerade dabei bin, mich und meinen Assistenten Aleksander Asparuhov zu inszenieren...<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="871106_image" /></div> <BR /><BR /><b>Bozen erwartet Sie mit Spannung. Waren Sie schon einmal hier bzw. in Südtirol?</b><BR />Wilson: Ja, ich war bereits in Bozen und Südtirol. Ich mag hier die Berge und das Licht. Alles ist so ruhig und unbeschwert. Schon als Student reiste ich nach Italien, wo ich von Süden bis Norden trampte. Es war Liebe auf den ersten Blick. Mein erstes bedeutendes Theaterwerk hieß „Deafman Glance“. Es wurde in Paris uraufgeführt und gleich danach in Rom inszeniert. Philip Glass’ Oper „Einstein on the Beach“ wurde sogar vom Teatro La Fenice koproduziert, und 1993 wurde ich auf der Biennale von Venedig mit dem Goldenen Löwen für Bildhauerei ausgezeichnet. Ich bin dankbar für die frühe und langjährige Unterstützung – es ist mehr als mein eigenes Land je für mich getan hat!<BR /><BR /><BR /><b>Termine</b>: 2.3., 20.30 Uhr; 3.3., 19 Uhr; 4.3., 20.30 Uhr; 5.3. 16 Uhr in der Spielzeit des Teatro Stabile, Stadttheater Bozen und am 7. 3. im Rahmen des Circui- to Danza des CSC-S. Chiara Trient.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="871109_image" /></div> <h3>Robert Wilson</h3>Der in Waco (Texas) geborene Robert Wilson gehört weltweit zu den führenden Theatermachern und bildenden Künstlern. Seine Werke vereinen auf unkonventionelle Weise eine Vielzahl künstlerischer Medien wie Tanz, Bewegung, Licht, Skulptur, Musik und Text. Seine Bilder sind ästhetisch beeindruckend und emotional aufgeladen. Seine Inszenierungen erhielten weltweit die Anerkennung des Publikums und der Kritik. Nach seinem Studium an der University of Texas und am Pratt Institute in Brooklyn gründete Wilson Mitte der 1960er Jahre in New York die „Byrd Hoffman School of Byrds„, mit der er seine frühen Werke entwickelte, darunter „Deafman Glance“ (1970) und „A Letter for Queen Victoria“ (1974-1975). Mit dem Komponisten Philip Glass schuf er die Oper „Einstein on the Beach“ (1976).<BR /><BR />Zu Wilsons künstlerischen Mitarbeiterinnen und Mitabeitern zählen zahlreiche Schriftstellerinnen und Schriftsteller sowie Musikerinnen und Musiker wie Heiner Müller, Tom Waits, Susan Sontag, Laurie Anderson, William Burroughs, Lou Reed, Jessye Norman und Anna Calvi. Er inszenierte Meisterwerke wie Becketts „Das letzte Band. Krapps’ last Tape“, Brecht/Weills „Dreigroschenoper“, Debussys „Pelléas et Melisande“, Goethes „Faust“, Homers „Odyssee“, Jean de la Fontaines Fabeln, Puccinis „Madama Butterfly“, Verdis „La Traviata“ und „Ödipus“ von Sophokles.<BR /><BR /><BR />Wilsons Zeichnungen, Gemälde und Skulpturen wurden weltweit in zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen präsentiert. Seine Werke befinden sich in Privatsammlungen und Museen auf der ganzen Welt. Wilson wurde mit zahlreichen Preisen für herausragende Leistungen ausgezeichnet und darunter befinden sich eine Nominierung für den Pulitzer-Preis, zwei Ubu-Preise, der Goldene Löwe der Biennale in Venedig und der Olivier Award. Er wurde zum Mitglied der American Academy of Arts and Letters und der Deutschen Akademie der Künste ernannt und erhielt acht Ehrendoktortitel. Frankreich ernannte ihn zum Kommandeur des Ordens der Künste und der Literatur (2003) sowie zum Offizier der Ehrenlegion (2014); Deutschland verlieh ihm das Bundesverdienstkreuz (2014).<BR /><h3> Lucinda Childs</h3><BR />Lucinda Childs begann ihre Karriere 1963 am Judson Dance Theatre, wo sie dreizehn Werke choreografierte und in Aufführungen von Yvonne Rainer, Steve Paxton und Robert Morris auftrat. Seit der Gründung ihrer eigenen Compagnie im Jahr 1973 hat sie sowohl als Solistin wie auch im Ensemble mehr als fünfzig Choreografien vorgelegt. 1976 arbeitete sie gemeinsam mit Robert Wilson und Philip Glass an der Oper „Einstein on the Beach“ und wurde dafür als Hauptdarstellerin und Choreografin mit dem Village Voice Obie Award ausgezeichnet.<BR />Childs hat in mehreren bedeutenden Inszenierungen von Robert Wilson mitgewirkt wie „Maladie de la Mort“ von Marguerite Duras, „I Was Sitting on my Patio This Guy Appeared I Thought I Was Hallucinating“, Heiner Müller's „Quartett“ und die Opern „White Raven“ (Musik: Philip Glass) und „Adam's Passion“ von Arvo Pärt. 2015 kooperierte sie mit Robert Wilson und Mikhail Baryshnikov bei der Produktion „Letter to a Man“. <BR /><BR />Ihre Choreografie „Dance“ (Musik: Philip Glass; Bühnenbild und Video: Sol Le Witt) wurde 1979 vom Museum Guggenheim in Auftrag gegeben. Seit 1981 hat sie über dreißig Werke für große Ballettcompagnien choreografiert, darunter das Ballett der Pariser Oper, Les Ballets de Monte Carlo und Baryshnikovs White Oak Dance Company. Sie arbeitete als Choreografin und in jüngerer Zeit auch als Choreografin und Regisseurin für sechzehn Opernproduktionen, darunter Mozarts „Zaide“ für La Monnaie in Brüssel, Strawinskys „Le Rossignol“ und „Oedipus Rex“, Vivaldis „La Farnace“ und Händels Musikdrama „Alessandro“, das von Mezzo-TV 2013 zur “Oper des Jahres„ gekürt wurde.<BR /><BR /><BR />2014 inszenierte sie die „Dr. Atomic“ von John Adams für die Opera du Rhin sowie Jean Baptiste Lullys „Atys“ und Glucks „Orpheus und Eurydike“ für die Oper in Kiel. 2001 wurde sie mit dem Bessie Award for Sustained Achievement ausgezeichnet. 2004 wurde sie zur Kommandeurin des französischen Ordens der Künste und Literatur ernannt und 2009 erhielt sie den NEA/NEFA American Masterpiece Award. 2017 erhielt sie den Goldenen Löwen der Biennale von Venedig und den Samuel H. Scripps/American Dance Festival Lifetime Achievement Award.<BR /><h3> MP3 Dance Project (Leitung: Michele Pogliani)</h3><BR />Michele Pogliani begann seine Tanzausbildung in Rom bei Elsa Piperno und übersiedelte 1984 nach New York, wo er in verschiedenen Tanzensembles arbeitete: Rosalind Newman and Dancers (1986-87), Laura Dean Dancers and Musicians (1988) und Lucinda Childs Dance Company (1989-1996). 1997 kehrte er nach Rom zurück und gründete seine eigene Compagnie CMP, mit der er seine ersten eigenen Arbeiten realisierte. Von 2004 bis 2009 war er unter der künstlerischen Leitung von Samuel Wuersten Koordinator und Dozent an der Hochschule der Künste Codarts \ University of the Arts in Rotterdam, für die er heute als Talent Scout in Italien arbeitet. 2015 entwickelt er das MP3 Dance Project. Dieses zwischen professioneller Ausbildung und experimentellem Ansatz angesiedelte Format mit jungen Tänzerinnen und Tänzern entwickelte 2021 ein interdisziplinäres Ausbildungsangebot und beteiligt sich an der Produktion „Relative Calm“ von Lucinda Childs und Robert Wilson.<BR /><BR /><BR /><BR />