Hugo von Hofmannsthals (reduziertes) Versepos „Jedermann“, schlicht eine Ikone in Salzburg, ist in der szenischen Ausformung unmissverständlich dem Untertitel verpflichtet, der auch folgerichtig – wie sonst nie – auch auf dem Programmheft steht: „Das Spiel vom Sterben des reichen Mannes!“Es ist ein Abgesang, ein irdisches Endspiel der Traurigkeit und Melancholie ausgefüllt mit darstellerischer Exzellenz. Wetterbedingt muss diese Neuinszenierung von Domplatz ins „Große Festspielhaus“ verlegt werden, wo gleich nach dem Hochfahren des Eisernen Vorhangs ein weißer Tüllschleier – Vorhang aufleuchtet.Wir hören eine elegische Musik von Matthias Rüegg bestens interpretiert von den Künstlern des Ensembles 013. In dieser magischen Sphäre, dieser musikalischen Endzeitstimmung, öffnet sich sachte der weiße Vorhang, dann hören wird zunächst elegische Trompetentöne die Jedermann Tobias Moretti höchstselbst auf einem Bett rücklings liegend spielt, während – ein sehr schönes Novum – die hervorragende Buhlschaft Stefanie Reinsperger im schwarzen Negligé aus der nächtlichen Intimität heraus einem Mann lauscht, den sie sich durchaus als Gemahl vorstellen kann. Buhlschaft und Jedermann am Beginn. - Foto: Matthias HornIm Morgenmantel spricht Moretti mit feinstabgeklärter Sprache zu den Ankommenden, jedoch als seine Mutter erscheint schlüpft er standesgemäß schnell ins Jackett. Edith Clever geht ihrem Sohn so gefühlvoll entgegen, sie streichelt ihn und sie spricht so liebevoll, so poetisch sinnlich geschenkt, wie nur sie es kann und ihr Sohn, dessen Vater wir nicht kennen, lauscht und lauscht in den Raum: „der den Zuschauer umschließt und zur Einheit zusammenfaßt“ so Hugo von Hofmannsthal, der über das Stück unmissverständlich sagte, dass sein eigentlicher Kern sich immer menschlich absolut „keiner bestimmten Zeit angehörig“ offenbart.Regisseur Michael Sturminger erzählt auf verständliche Weise, dass dieser scheinbare Reiche ein todgeweihter kranker Mensch ist.Unbestimmt, keiner Zeit angehörig? Nun Michael Sturminger holt den Jedermann in die gegenwärtige Zeitebene, weil er der Meinung ist, dass die Signifikanz des Todes für alle Menschen schwierig ist sich von der Welt zu trennen.Ausgehend von dieser jetztzeitlichen Prämisse gibt es Zweierlei, denn erstens werden die Verse in einer betörenden Natürlichkeit vorgetragen und vor – der im Festspielhaus naturgemäß „gebauten“ – Domkulisse erleben wir ein Spiel der Superlative, das aber auch durch Bühne und Kostüme von Renate Martin und Andreas Donhauser Bühne seine räumliche Vollendung findet.Dabei fällt natürlich auf, dass diese Inszenierung trotz guter Personenführung noch unfertig ist, wenn etwa bei den sogenannten Massenszenen eine gewisse Statik vorherrscht, weil, so der spontane Eindruck, die an sich fassungslosen Menschen die Handlungsströme mit Indifferenz verfolgen.Doch es ist an sich ja ein Wunder, dass Michael Sturminger und die Seinen erst vor drei Monaten wussten, dass sie eine komplette Neuinszenierung aufzustellen hatten, wobei ihnen sofort, ja augenblicklich klar wurde die historische Geschichte, also vor der Domfassade, dem Zeitgenössischen anzunähern und zwar ganz im Sinne, wie neue und alte Architektur zusammengehören. Wobei dieses archaische Stück mit der gegenwärtigen Gesellschaftsnorm seine Endbestimmung habe sollte. Das ist blendend ausformuliert mit hervorragenden Schauspielern rund um den fantastischen Jedermann Tobias Moretti als TodgeweihtemDie neue Schauspielchefin Bettina Hering, ja der neue Intendant Markus Hinterhäuser, beginnen mit vollstem Risiko und gewinnen. Ein absoluter Glücksfall!Für die resolute, intelligente Bettina Hering, die heuer fast sicher das tollste Schauspiel-Programm ever verantwortet, könnte es nicht besser beginnen.Gebannt, extrem aufmerksam blickt das Publikum auf die Bühne. Es ist alles anders und das ist gut so. Tobias Moretti spielt die Seele seines Lebens immer an der Grenze des Todes. Was für Darsteller, jeder Zoll Mensch, ein Mensch der großen Hoffnungen der Sehnsüchte. Foto: Matthias HornEr moduliert fast immer leise sprechend seine Wörter mit feinausgeklügelten Tönen, die sich in seinen Augen widerspiegeln. Ja er ist oft bei Beteiligten unbeteiligt, weil ihn sein Leid, seine Schmerzen quälen, etwa während der Tischgesellschaft, wenn er plötzlich konvulsiv, nahe an Epilepsie, zusammenzuckt. Moretti umkreist sinnlich rührend mit autonomer Gnade die ganze Gesellschaft, ja er bindet sich an sie und sie bindet sich an ihn. Wie wunderbar ist der Kuss der Mutter Edith Clever.Aber wie leise, wie sanft rieseln die Wörter der grandiosen Buhlschaft Stefanie Reinsperger aus ihrem wundersam molligen Körper. Sie, ganz Frau, hat nichts oberflächlich Verführerisches auch nicht, wenn sie später im opulenten (!) Kristall bestückten Rosakleid verkleidet nicht mehr wahrgenommen dasteht, wartet, auf ihre unmögliche Liebe.Mit der Wucht des Szenischen fallen Tische und Requisiten in den Abgrund.Moretti liegt hilflos verlassen barfuß auf der Schräge. Beängstigend sich ans Nichts klammernd. Umso mehr berühren die „Werke“ der kranken Mavie Hörbiger, die sich an Jedermann Achseln als rettender Anker klammert, oder die tolle Szene mit Mammon Christoph Franken, der mit seiner fast fraulich hellen Stimmen den Jedermann glatt erwürgen will.Es gibt viele, tolle Details, vieles ist noch unfertig, die Teufelsszene aber ist doch sehr konventionell in rotem Opern-Licht-Nebel, aber kurios genug, die Hölle scheint ausgerechnet unter dem Dom zu liegen.Was bleibt sind Ovationen über Ovationen, aber wenn die Regiesparte aufritt, dann passiert nix, zunächst! Dann gibt eine „kleine“ Ablehnung. Mit Tobias Moretti und seinen ephemeren Mitspielern ist und wird dieser „Neue“ Jedermann ein Kultsymbol der Festspiele. Wetten? Denn bitte, was steht da im Weg, wenn es so gut gemacht, was nicht besser zu haben ist?Von C. F. Pichler aus Salzburg