Ein menschliches Ungeheuer präsentiert sich dem Publikum der Uraufführung des Schauspiels „Rothermunds Bilder“ von Horst Saller im Studio des Stadttheaters Bozen. Jeder ist Täter, jeder ist Opfer auf dem Altar der absoluten Freiheit Über sein Talent zur Freiheit philosophiert Rothermund zynisch. Am ganzen Körper gelähmt, benutzt er seinen Sohn als ausführenden Arm für seine Kunst, knechtet ihn mit seiner Lieblosigkeit und stellt diesem „Insekt“ die Strahlkraft seiner Schwester Mara gegenüber. Mara, die Allgeliebte, seine Schöpfung, wird sich schließlich gegen ihn wenden, wird versuchen den Kreislauf der Grausamkeit zu durchbrechen, an dem auch sie nun unwiderruflich Teil hat. Jeder ist Täter, jeder ist Opfer auf dem Altar der absoluten Freiheit, die keine Grenzen kennt.Macht und Machtmissbrauch, Liebe, Inzest, Schuld und Sühne, Künstler und Nazis hat der Südtiroler Dramatiker Saller in sein Schauspiel gepackt. Der Regisseur Carsten Bodinus nimmt sich den gewichtigen Themen des Siegerstücks der Bozner Autorentage 2009 mit respektvoller Vorsicht an. Mit wenigen Zeitblenden inszeniert er in präzis bemessenen Schritten die etwas überladene Geschichte dieser klar, manchmal überdeutlich gezeichneten Figuren, gefangen in ihrem Leben, das nie selbstbestimmt, nie frei ist, so sehr sie sich auch darum bemühen. In das schöne Bild der weißen Drehbühne von Achim Römer, auf der leere Leinwände die Szenen voneinander trennen, lässt Bodinus die einzelnen Leben ineinander fließen, fremd bestimmt begrenzt jeder den anderen und verstrickt sich immer wieder in Abhängigkeiten. Eine mit Schuld belastete Freiheit Der Auftritt des machiavellischen „deus ex machina“, des Galeristen Ascher setzt einen Kreislauf gegenseitiger Bedingtheit in Bewegung, dem niemand entkommen kann. Der ehemalige Nazikommandant hat dem Juden Rothermund die Freiheit geschenkt, das Künstlergenie Rothermund erschaffen und den Menschen Rothermund für immer schuldig gemacht. Genauso symbolträchtig wie das Stück selbst, aber durchaus differenzierter hat Bodinus seine Figuren angelegt und dabei ein harmonisches Ensemble geschaffen, in dem die Energien des Einzelnen immer wieder verletzbaren Raum in den Grenzen seines Gegenüber finden. Gift und Galle speit Gottfried Herbe als ätzender alter Rothermund, leidet unter seinem Körper, windet sich unter dessen Knechtschaft genauso wie Peter Schorn als Axel unter den Demütigungen seines Vaters. Und doch wird Rothermund es sein, der sich am Ende unter der späten und gnadenlosen Rache seiner geliebt-geschändeten Tochter Mara quält. Christine Lasta leuchtet die verletzte Bestimmtheit ihrer Mara sehr subtil aus, ist genauso glaubhaft in ihrer Rolle als Überlebende wie Peter Hladik als „zufälliger“ Nazikommandant, der sich die Freiheit nimmt, über das Leben anderer zu verfügen im absoluten Bewusstsein seiner eigenen Schuld. Auch Hans Marini als alter, Geige spielender KZ Häftling überzeugt als ausführendes Glied dieser grauenvollen Maschinerie der Macht und Ohnmacht.Eine durchaus gelungene, sehenswerte Uraufführung, eine sehr gute schauspielerische Ensembleleistung, die Sallers mutigen Stoff mit Behutsamkeit umsetzt und ihm so etwas von seiner allzu plakativen Kausalität nimmt. Jutta Telser