Die Details liefert Marian Wilhelm aus Venedig.<BR /><BR /><i>„Du musst akzeptieren, dass Deine Eltern Revolutionäre waren.“</i> Der Vater, der das zu seiner Tochter sagt, ist nicht irgendwer, sondern der Philosoph <b>Antonio Negri.</b> Aber für seine Tochter <b>Anna Negri</b> ist er vor allem ein Vater, der seit ihrem Teenageralter abwesend war. Jahrzehnte später hat sie nun einen Film gedreht, um ihm noch einmal näher zu kommen, bevor es endgültig zu spät ist. „Toni, mio padre“ heißt er und wurde von der Südtirolerin <b>Traudi Messini</b> mitproduziert. <BR /><BR /><embed id="dtext86-71296889_listbox" /><BR /><BR />Sie lernte Anna Negri schon vor einigen Jahren im Zuge eines anderen Filmprojekts kennen, aus dem nichts wurde. Schon damals war sie fasziniert vom autobiografischen Buch <i>„Con un piede impigliato nella storia“,</i> das Anna Negri über ihre Generation und die Bleierne Zeit in Italien geschrieben hatte. Sie empfahl ihr, „du musst daraus einen Film machen!“ Doch Anna Negri fühlte sich noch nicht bereit. Dann, als ihr Ende 80-jähriger Vater bereits krank war, mit Sauerstoffbrille und im Rollstuhl, sah sie die letzte Chance, mit ihm zu sprechen. Sie verbrachte noch einmal Zeit mit ihm in Venedig, wo der Film diese Woche seine Weltpremiere im Rahmen der „Giornate degli Autori“ feierte. <BR /><BR />Es ist ein sehr persönliches Dokument einer letzten Begegnung zwischen einer Ikone der Arbeiterbewegung und seiner Filmemacher-Tochter. Toni Negri sollte ein halbes Jahr nach den letzten Aufnahmen sterben. Anna versucht darin, dem Trauma ihres Lebens die Bitterkeit zu nehmen. Die Abwesenheit Toni Negris im Leben seiner Tochter ist keine gewöhnliche private Geschichte. Der Grund ist seine Inhaftierung durch den italienischen Staat. Inmitten der Kommunisten-Hetze der 70er Jahre zerstören die konservativen Autoritäten ausgerechnet das, was sie moralisch hoch halten: eine Familie. Mehrere Jahre lang wird eine der wichtigsten Stimmen der italienischen Linken beschuldigt, der geheime Anführer der Roten Brigaden zu sein und die Entführung und Ermordung von Aldo Moro gesteuert zu haben. <BR /><BR />Nach kurzer Freiheit auf Grund seiner Wahl ins Parlament flüchtete Negri nach Frankreich und ließ seine Familie zurück. Die Jahre im Hochsicherheitsgefängnis machen den wortgewaltigen Negri hart, wie er im Film selbst sagt, während er sich für die Distanz zu seiner Tochter bei ihr entschuldigt. <BR /><BR />Die große Abwesende beim Treffen von Anna und ihrem Padre Toni ist Mutter Paola. Ein eigenes Porträt von ihr wäre ebenfalls spannend. Denn auch sie ist eine überzeugte Linke und Revolutionärin gewesen. Schon die Hochzeits-„Reise“ führte das Ehepaar Negri zum Streik in einer petrochemischen Fabrik. Toni war bald ein gefeierter Professor, Paola Teil der feministischen Bewegung der 1960er und 70er. Doch die Repression der staatlichen Autoritäten gegen die Linke unter dem Vorwand des Kampfes gegen ihre terroristischen Auswüchse änderte für die Negris alles. <BR /><BR />Die Gespräche werden immer wieder zum Streit zwischen Vater und Tochter, wenn sich die private und die politische Sprache überlagern. Doch gerade bei der Familie Toni Negris wird deutlich, dass das Diktum der 68er stimmt: das Private ist politsch. Annas Trauma ist die verstärkte Version eines Traumas einer ganzen Generation von Post-68ern. Der Backlash konservativer Kräfte in den 80ern macht ein Trauma aus dem linken Traum, den die Kinder nicht mehr mitträumen können. <BR /><BR />Produzentin Traudi Messini sieht in den Themen der Doku hier trotz aller Unterschiede auch Parallelen zwischen Deutschland und Italien. Ihre Arbeit an „Toni, mio padre“ sollte eigentlich ihre letzte Produktion sein. Doch nach der Premiere in Venedig steht bereits ein weiterer Kurzfilm bevor, bei dem die erfahrene Produzentin eine junge Südtiroler Filmemacherin unterstützt. Gerade solche kleinen Projekte seien trotz der florierenden Filmwirtschaft der großen internationalen Produktionen in Südtirol schwierig zu finanzieren. Kurzfilme und kleine Projekte wie „Toni, mio padre“ gingen bei den Fördermillionen oft leer aus, erzählt Messini bei ihrem Festivalbesuch am Lido. <h3>Lange Rekonstruktion</h3>Dort wurde indessen am Donnerstag eine größere Produktion mit Südtiroler Förderbeteiligung im Wettbewerb der Filmfestspiele gezeigt. „Elisa“ von <b>Leonardo Di Costanzo</b> ist eine italienisch-schweizerische Koproduktion. Die Geschichte – frei inspiriert vom Essay der Kriminologen <b>Adolfo Ceretti</b> und <b>Lorenzo Natali</b><i>„Io volevo ucciderla“</i> – dreht sich um eine Gefängnisinsassin, die im Gespräch mit einem forensischen Psychologen den Mord an ihrer Schwester rekonstruiert. <BR /><BR />Die liberale Haftanstalt liegt inmitten der Natur, was für einige stimmungsvolle Bilder sorgt, die teilweise auch in Südtirol gedreht wurden. Leider verliert sich der Film komplett in einem Dialog-Rückblick, der streckenweise nur mehr wie ein illustriertes Hörbuch wirkt und nichts Filmisches an sich hat. Auch im Hauptwettbewerb eines der wichtigsten Festivals der Welt sind also Filme zu sehen, denen ein Gefühl dafür mangelt, dass Film vor allem von Bildern und Rhythmus lebt.