Eine dieser Wirklichkeiten ist der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine. Das Festival hat mit der Einladung sowohl von russischen als auch von ukrainischen Künstlern auf die Ungeheuerlichkeit geantwortet. Eine Rezension von Margit Oberhammer.<h3> The Past Ripens in the Future. Cycle 5</h3>Für die Performance des russischen Künstlers <b>Kirill Savchenkov</b> öffnete ein ungewöhnliches und normalerweise unzugängliches Areal für einige wenige Stunden. Die Mercanti Kaserne dürfte außer den Bewohnern von Eppan nur wenigen Menschen bekannt sein. In ihren Mauern ist eine wechselvolle Geschichte gespeichert. <BR />Ursprünglich zu landwirtschaftlichen Zwecken errichtet, diente das Gebäude während des Krieges als Gefangenenlager und später als Carabinieri-Kaserne. Kirill Savchenkov verwandelte das Gebäude in eine Mischung aus Gefängnis und Wandelhalle und hat gemeinsam mit den Performerinnen einen Ort beklemmender Wiederholung des Immergleichen geschaffen. <BR /><BR />Der Künstler hätte seinen Auftritt im russischen Pavillon auf der diesjährigen Biennale in Venedig haben sollen, diesen jedoch aus Protest gegen Putins Politik leer gelassen. Für Transart hat er in die Arbeit für die Biennale Elemente einer für 2019 in Kiew geplanten Ausstellung eingefügt. Jedenfalls dürfte die Wirkung der Performance in der aufgelassenen Eppaner Kaserne eindringlicher geworden sein als im russischen Zuckerbäckerbau in den Giardini.<BR /><BR />Kleine Scheinwerfer beleuchten die Spinnweben zwischen den Pilastern, Efeuzweige und Herbstlaub bilden rechteckige Zellen auf dem Boden. Dazwischen kauern in spärlicher Beleuchtung völlig erschöpfte Performerinnen in Kleidern, die an die Zeit der russischen Revolten gegen das Zarenreich gemahnen. <BR />Eine Performerin gibt von Zeit zu Zeit schwache Klopfgeräusche von sich; sie ahmen, so wird uns erklärt, den tatsächlich überlieferten Geheimcode einer russischen Revolutionärin nach, deren einzige Möglichkeit, im Gefängnis zu kommunizieren. Eine andere Performerin wiederholt in Endlosschleife in unendlich sanftem Singsang eine Zahlenreihe – die Vorwahl der Ukraine. Antwort erhält sie keine. <h3> Cantata. Dedicated to Valentin Silvestrov</h3>Musikalische Antworten gibt das Abschlusskonzert. <b>Viktoriia Vitrenko</b> hat es ukrainischen Komponisten gewidmet und dirigiert das <b>Haydn Orchester</b> mit viel körperlichem und emotionalem Einsatz. Die Kranhalle im NOI Techpark wurde akustisch aufgerüstet. Sie umfängt den melodischen Reichtum von <b>Valentin Silvestrovs</b> Streicherserenade und bietet einen erstaunlichen Resonanzraum für dessen Kantate Nr. 8. <BR />Der 85-jährige Komponist, der von Transart auch mit einem Film geehrt wurde, hat im März Kiew verlassen und sich in Berlin in Sicherheit gebracht. Seine Chorkantate hat er während der Pandemie für Solostimme umgearbeitet; die russische Sopranistin <b>Natalia Pschenitschnikova</b> bezaubert das Publikum mit ihrer warmen Stimme, verwandelt das Weite und Grenzen sprengende dieser Musik in große Nähe zu den Menschen. <BR /><BR />Begonnen hat der Abend mit Espenlaub des ukrainischen Komponisten <b>Maxim Kolomiiets</b>. <b>Paul Celans</b> Gedicht über die im Konzentrationslager ermordete Mutter hat Kolomiiet zu seiner Komposition inspiriert; in der Fassung für Symphonieorchester changiert sie heftig und brüchig zwischen Aufschrei und Elegie. Der Komponist ist anwesend und bringt als DJ mit Innerlicht nach dem Konzert Zuhörerschaft und Ausführende noch einmal zusammen. Auch das ist Transart: das Publikum zum Verweilen einladen, zum Weiterreden und Weiterdenken. <h3> Overseas</h3>Im Hof des NOI Techpark zeigt sich ein ungewohntes Bild. Im knöcheltief mit Wasser gefüllten Schwimmbad stehen ein paar Menschen in Gummistiefeln. Sie starren konzentriert auf das Tablet in ihren Händen. Treppen in gelber Signalfarbe führen ins Wasser, in der Mitte des Beckens sind gelbe Bänke positioniert. Auf dem Boden QR-Codes. <BR /><BR />Forscher eines der technisch-naturwissenschaftlichen Institute des NOI werden es nicht sein, dafür wirkt die Schwimmbadchoreografie samt Container zu theatermäßig. Die für die Filminstallation zuständigen Künstler <b>Martina Mahlknecht</b> und <b>Martin Prinoth</b> erzählen, dass sie tatsächlich für das Theater arbeiten. Sie sind an wichtigen deutschen Bühnen tätig, Martina Mahlknecht gestaltet Bühnenräume, Martin Prinoth macht Filme und arbeitet als Kameramann. Sie kommen aus Südtirol und leben in Hamburg. Unter dem Künstlernamen <b>TÒ SU</b> arbeiten die beiden an Dokumentationen über Arbeitsbedingungen auf Hoher See. Sie interessieren sich für die Welt des Hafens, früher ein Ort der Weltoffenheit, heute verschlossen und abgeriegelt. <BR /><BR />Pandemiebedingt sind die Arbeitspläne von Martina Mahlknecht und Martin Prinoth durcheinandergeraten. Genauso wie jene der Seeleute aus ihrer aus 6 Filmen bestehenden Installation OVERSEAS. Die sechs Seeleute kommen aus der Südseeinsel Kiribati und saßen wegen Covid 19 Monate lang in Hamburg fest. Sie seien dankbar, dass sie wenigstens einander hätten, sagen sie in einem der Filme, nicht auszudenken, müssten sie allein in einem Hamburger Hotel sitzen. <BR />In Gummistiefeln durch das Wasser watend, die jeweiligen QR-Codes scannend, kann man die Aufmerksamkeit fokussiert auf die Großaufnahmen jedes Einzelnen der Seeleute richten. So wie die Künstlerfilme jedem Einzelnen Raum und Zeit widmen. Die anfänglich wortkargen Seeleute blühen unter der Aufmerksamkeit auf, geben ihre Gefühle preis. In den Gesichtern spiegelt sich der Kampf gegen die Eintönigkeit eines schweren Arbeitslebens, der Schmerz über die Trennung von zuhause, Heimweh. <BR /><BR />Sie erzählen berührende Geschichten aus einer unbekannten Welt. Man weiß vage, dass der Großteil der Waren auf Frachtschiffen rund um den Globus transportiert wird und dass laut Weltklima-Prognosen die Korallenatolle Kiribati in einer Generation untergegangen sein werden. Aber eines ist ein vages Wissen und etwas anderes, es von Menschen zu erfahren, die diese Realitäten leben. Ohne zu bewerten, zeigen die Filme die Ambivalenz zwischen der Absurdität des globalisierten Warentransports und dem Stolz der Seeleute auf ihren Beruf, die Dankbarkeit, mit ihm ihre Familien ernähren zu können. Alles würden sie transportieren, erzählt ein Seemann lachend, Autos und Ananas, Bananen und Kleider, auch jene, die sie selbst tragen. <BR /><BR />Sie erzählen davon, wie bei jedem Heimkommen nach Kiribati durch den steigenden Meeresspiegel ein Stück Strand weggeschwemmt war oder der Grund für den geplanten Bau eines Hauses. Trotz Angeboten aus Australien oder Neuseeland möchte jedoch keiner von den Seeleuten auswandern. Der Gott des Regenbogens habe versprochen, dass ihre Heimat nicht untergehen werde. <BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><BR />