Alles und alle, Figuren, Licht, die Stoffbahnen des Bühnenraums, befinden sich in dieser Aufführung in ständiger, oft gegenläufiger Bewegung. Visuell und akustisch überbordend durchquert sie Jahrhunderte und Kontinente. Auf einem Schiff greifen die Passagiere bei hohem Seegang nach Möglichkeiten, sich irgendwo anzuhalten. Bei hohem Seegang im Theater braucht das Publikum ebenfalls Haltegriffe. Also müssen wir sie suchen. <BR /><BR />Da wäre der Plot: Die Geschichte spielt in unruhigen Zeiten. Im 16. Jahrhundert in London und in der Gegenwart gehen Menschen aus Angst vor dem Fremden auf die Straße, sind zur Flucht aus politischen und religiösen Gründen gezwungen. Die Ereignisse in London, die Revolten aus Angst vor den flandrischen und französischen Einwanderern, sind aus einem unbekannten Shakespeare-Text in die Aufführung eingeflossen. Die Ereignisse in der Gegenwart entstammen der politischen Situation in Afghanistan seit der Herrschaft der Taliban, im Spezifischen die Unterdrückung und Rechtlosigkeit der Frauen. Den Anker zwischen den Jahrhunderten, zwischen England und Afghanistan, wirft eine Liebesgeschichte zwischen einem englischen Handwerksgesellen und einer jungen Afghanin aus. Dieser Anker trifft auf sandigen Grund. „Die Liebe scheint den Liebenden ein Halt“, wie es bei Brecht heißt. Das Publikum muss sich mit bewegten, unsicheren Gefilden abfinden. Ein Schiff mit Auswanderern spielt auf die Kolonialgeschichte an. <BR /><BR />Da wäre eine großartige humanitäre Geste: Regisseur <b>Robert Schuster</b> bezieht 5 afghanische Schauspielerinnen per Videoschalte direkt in das Spiel ein. Aus Sicherheitsgründen spielen Azar, Mahuba Barat, Zahra Barat, Fariba Baqeri, Tahera Rezaie unter veränderten Namen. Ihr Theater, das Simorgh Theater in Herat, existiert dort nicht mehr. Woher sie, die „Underground Birds“, die der Aufführung den Titel geben, ihre Kraft zum Durchhalten beziehen? Der Blick in die Gesichter, von denen in der Aufführung oft nur die Augen zu sehen sind, lässt Antworten höchsten vermuten.<BR /><BR />Da wären die Figuren und ihr Text: Der Text wurde von den Schauspielern der <b>KULA-Compagnie,</b> eines transnationalen, mehrsprachigen Theaterlabors, des <b>Halogaland Teater Tromsø</b> und der <b>VBB</b> in gemeinsamer Probenarbeit entwickelt und dürfte aus vielen unterschiedlichen Einfällen geboren sein. Die Spieler bewegen sich souverän zwischen den Sprachen, spielen sich geschickt die (Text)Bälle zu, oft nur verständlich durch die professionell platzierten Übertitel. <BR /><BR /> <a href="https://www.youtube.com/watch?v=6nhfrI4c42k" target="_blank" class="external-link-new-window" title="">Hier geht's zum Trailer.</a><BR /><BR />Wer gerade welche Figur spiel, wo gerade im Stück sich diese befindet, ist beim erstmaligen Sehen nicht leicht auszumachen. Wo verbirgt sich Rover (<b>Jonas Schlagowsky</b>) gerade? Wo verwischt sein Geselle Randall (<b>Sindre Arder Skildheim</b>) gerade seine Spuren? <b>Alexandre Ruby</b> gibt mal den französischen Touristen, mal den britischer Corporal. Die Funktion der pragmatischen Aveline (<b>Hadar Dimand</b>) entzieht sich zwischendurch der eigenen Konzentration; nur der dominante weiße Mann, der vorwiegend die Sprache der Kolonialherren spricht (<b>Peter Schorn</b>) bleibt sich über die Jahrhunderte gleich. Es treten noch auf: ein Zeppelin und Zugvögel, dazwischen amüsiert ein Streit über nationale Grenzlinien. Bewegung allerorten, selbst für das Publikum. <b>Ingrid Mikalsen Deinboll</b> schlüpft von der Rolle der Zuschauerin kurz in jene der Animateurin. <BR /><BR />Es mischen sich höchst unterschiedliche Stil- und Sprachebenen, alltägliche verschwimmen mit poetischen, metaphorischen Sequenzen, verschwimmen ineinander wie die Begrifflichkeiten und die Bilder. Was ist die Moderne, was die Wahrheit? Eine schillernde Allegorie der Moderne liefert <b>Pasquale de Filippo</b>, ebenso <b>Celine Martin-Sisteron</b> als Allegorie der Wahrheit, ein Zerrspiegel, von dem jeder nur eine Scherbe in der Hand hält. Lichtkegel aus <b>Sarah Merlers</b> Kamera tanzen über die Szenerie, auch viele andere Requisiten setzen kurze Lichtpunkte. <BR /><BR />Da wäre die Musik: Sie ist die verlässlichste Begleiterin auf den schaukelnden Wellen. <b>Max Bauer</b> beschwört am Mischpult wie ein Magier sagenhafte Feuer- Wasser-, Luft- und Erdgeister, trommelt zudem auf einem ungewöhnlichen Rhythmusinstrument zur ungewöhnlichen Szenerie dieses experimentierfreudigen, unruhigen Theaters in unruhigen Zeiten.<BR /><BR /> <a href="https://www.theater-bozen.it/de/premieren/pro/view/underground-birds-1.html" target="_blank" class="external-link-new-window" title="">Weitere Infos gibt es hier.</a><BR /><BR />