„Ich denke, es ist heute mehr denn je notwendig, die komplexe Weltlage mit künstlerischen Fragen zu beantworten. Wir besinnen uns in dieser Spielzeit auf große, durchaus auch politische Themen, auf die Urkraft des Theaters mit künstlerischen Übersetzungen, auf die großen Fragen der Menschheit. Und da passt 'König Lear' genau dazu“, meinte <b>Rudolf Frey</b>, Intendant der Vereinigten Bühnen Bozen gestern, als er noch einmal alle Stücke der neuen Spielzeit Revue passieren ließ.<BR /><BR />In dieselbe Kerbe schlug auch die Präsidentin <b>Judith Gögele</b>, als sie meinte: „Heute muss gerade das Theater den Finger in die Wunde stecken und daran erinnern, wie großartig die Demokratien in Europa sind. Die Produktionen der neuen Spielzeit halten uns diesbezüglich einen Spiegel vor. Ich erinnere mich an meine erste Pressekonferenz, die ich als Präsidentin der Vereinigten Bühnen Bozen abgehalten habe. Sie fand im Innenhof des Theaters statt, der aktuell eingezäunt ist. Nicht das, was wir uns vom Theater erwarten. Wir möchten öffnen und nicht ausschließen. Wir möchten Orte begehbar machen. Wir möchten in den Austausch kommen und nicht Mauern aufstellen.“ <BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1210062_image" /></div> <BR /><BR />Es sei auch extrem wichtig, dass es in Bozen ein eigen produzierendes Theater gebe. „Wir möchten auch für junge Menschen die Möglichkeit schaffen, besondere Arbeitsplätze zu finden. In diesem Zusammenhang möchte ich daran erinnern, dass wir heuer im Herbst die erste Bühnenmeisterin Südtirols am Theater engagieren.“ <BR /><BR />Was den „König Lear“ der Vereinigten Bühnen Bozen ausmacht, erklärt Rudolf Frey, der im Stück Regie führt, im Gespräch. Was dazu die Schauspielerin Gerti Drassl als Narr und Hauptdarsteller Alexander Ebeert als König Lear zu sagen haben, lesen Sie in den beigefügten Artikeln.<BR /><BR /><b>„König Lear“ ist neben „Richard III.“ eine der grausamsten Tragödien Shakespeares. „Das Drama entfaltet eine fatale Spirale der Gewalt, die das Geschehen unaufhaltsam auf den Abgrund zutreibt und so eine beklemmende Aktualität gewinnt“, sagen Sie selbst. Es heute zu zeigen, scheint der richtige Moment dazu. Warum haben Sie es zu Beginn der neuen VBB-Saison auf das Programm gesetzt? Eine Signalwirkung – auch für die kommende Saison? </b><BR />Rudolf Frey: Shakespeare verspricht großes Theater! In einer atemlosen Innen- und Außenschau wird augenscheinlich das zutiefst Menschliche verhandelt. In dieser Spielzeit verschreiben wir uns der Urkraft des Theaters: dem Durchspielen der Welt auf der Theaterbühne. Unser aktueller Claim „Alles nur Theater?“ verweist auf die beinahe unbegreifliche Weltlage. Wir alle spüren ein Klima der Zeitenwende, im Großen und im Kleinen – der Unsicherheit der Welt können wir im Theater mit sinnlicher, künstlerischer Übersetzung einen Raum zur gemeinsamen Reflexion und Unterhaltung geben. <BR /><BR /><b>„Ich habe mich dazu entschieden, das Stück selbst für Bozen zu inszenieren“, sagen Sie und erklären: „Unsere Aufführung folgt einer ästhetischen Reduktion: Die Essenz des Dramas tritt umso deutlicher hervor, weil Nebenschauplätze entfallen und der Fokus auf den existenziellen Konflikten der Figuren liegt.“ Was reizte Sie daran, den König Lear selbst zu inszenieren? Ein alter Traum? </b><BR />Frey: Das Stück begleitet mich bereits seit 2007, als ich bei einer „König Lear“ Inszenierung der mittlerweile verstorbenen Theaterikone Luc Bondy am Burgtheater Wien als Regieassistent mitarbeiten durfte. 18 Jahre später habe ich genügend notwendige Distanz für eine eigene zeitgenössische Lesart, und auch in Bozen habe ich bis dato nichts Vergleichbares inszeniert. Das Stück ist für jeden Theaterschaffenden ein Wagnis, aber ich bin täglich bei den Proben überrascht, in welche ungeahnten Welten es das achtköpfige Ensemble und mich führt. Übrigens gab es 2003 auch an den Vereinigten Bühnen Bozen eine wichtige Lear Aufführung im Stadttheater, an die sich mit Sicherheit einige im Publikum erinnern werden. <BR /><BR /><b>König Lear ist bereit für einen Generationenwechsel. Doch die Familien- und Generationengeschichte endet brutal. Sie sagen, Ihre zentralen Fragen bei der Inszenierung des Stückes waren: „Warum ist es so schwer, loszulassen? Was wollen wir weitergeben und wie sieht unser Morgen aus?“ Wie werden Sie diese auf der Bühne umsetzen? </b><BR />Frey: Das Stück schafft zu diesen Fragen zunächst eine wirkungsvolle Ausgangsszene: Lear befragt bei der Aufteilung seines Königreichs zu Lebzeiten seine Töchter: „Wer von euch liebt mich am meisten?“ – die wahrhaftige Antwort seiner Lieblingstochter Cordelia und seine impulsive Fehleinschätzung setzen das unaufhaltsame Geschehen in Gang. Der König hat seine Macht abgegeben, behält aber seinen Königstitel. Uns beschäftigt die universelle Frage, wie sehr Macht, Materielles und Status mit dem Menschsein zusammenhängt. Dieses Erbe ist tief in unserer Gesellschaft verankert. Ich glaube, eine Stärke des Textes ist es, die Verteilung des Erbes im familiären Setting mit einer weltpolitischen Skala zu verknüpfen – beide Ebenen sind brennend aktuell. <BR /><BR /><b>Trotz der tragisch grausamen Handlung des Stückes ist in König Lear auch Poetisches verpackt, das zeigt sich gerade auch in der Sprache, die zugleich brutal und tiefgründig ist...</b>Frey: Die Sprache von Shakespeare ist gewaltig! Es gibt unzählige Übersetzungen und die Wahl fällt nicht leicht – wir haben uns für die Übersetzung von <b>Kiki Miru Miroslava Svolikova</b> aus dem Jahr 2020 entschieden. Die Übersetzerin und Autorin folgt einerseits Shakespeares Sprachbildern, verankert die Sprache aber andererseits in einer griffigen, verständlichen Heutigkeit. <BR /><BR /><b>„The Fool“, der Narr ist eine wiederkehrende Figur in Shakespeares Stücken. Meist überführen sie auf ihre Weise Menschen der Dummheit. In Ihrem Stück übernimmt Gerti Drassl die Rolle des Narren, wie darf man sich das vorstellen? </b><BR />Frey: Anders als in anderen Shakespeare Stücken hat dieser Narr ein Bewusstsein über seine Rolle und er durchlebt die Geschichte, aber ohne mit dem Publikum direkt Kontakt aufzunehmen – diese Funktion hat erstaunlicherweise der Antagonist Edmund. Der Narr spricht – oftmals in Reimen und Rätseln – aus, was wir fühlen, und bietet Lear das Gegenüber zur künstlerischen Reflexion und Provokation. Mit dem Fortgang der Handlung schwindet diese Stimme der Vernunft, alle Figuren werden zu Verrückten und der „Berufsnarr“ löst sich auf. Dieser exzentrische und berührende Drahtseilakt ist eine perfekte Steilvorlage für Gerti Drassl und es ist ein Privileg, diese Figur mit ihr zusammen zu erarbeiten. <BR /><BR /><b>Die Rolle des König Lear ist extrem schwierig zu spielen, da sie eine komplexe, sich entwickelnde Figur darstellt, die einen tiefen psychologischen und emotionalen Absturz durchlebt. Sie belegen sie mit Alexander Ebeert, der bereits in der vergangenen Spielzeit in „Vor Sonnenaufgang“ zu sehen war. Nach welchen Kriterien haben Sie sich für Ebeert entscheiden? Fiel die Wahl auf den Schauspieler auch aufgrund des Vertrauensverhältnisses, das zu den Vereinigten Bühnen Bozen besteht? </b><BR />Frey: Die erste Zusammenarbeit mit Alexander Ebeert war bereits 2019 im Rahmen meiner Inszenierung von „Radetzkymarsch“ nach dem Roman von Joseph Roth an den VBB – diese inspirierende Begegnung hat sich in meinem künstlerischen Gedächtnis nachhaltig verankert und unmittelbar mit der Lear-Entscheidung zu tun, genauso wie seine Leistung in der Palmetshofer-Inszenierung im vergangenen Jahr von Sarantos Zervoulakos.<BR /><BR />PS: Auch das Teatro Stabile von Bozen wird im Dezember das Stück unter der Regie von Gabriele Lavia zeigen.<BR /><BR /> <a href="mailto:redaktion@stol.it" target="_blank" class="external-link-new-window" title="">Haben Sie einen Fehler entdeckt? 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