von Sabine Peer<BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1133691_image" /></div> <BR />Angehörige ukrainischer Kriegsgefangener versammeln sich regelmäßig in Kiew: Sie fordern die Freilassung aus der Kriegsgefangenschaft. Doch die Informationen über den Verbleib ihrer Männer, Söhne, Väter oder Brüder sind spärlich. Die Ungewissheit lässt viele verzweifeln. Bei den Angehörigen der russischen Soldaten in ukrainischer Gefangenschaft ist es dieselbe Verzweiflung über das Schicksal der eigenen Männer, Söhne, Väter oder Brüder. Diese und ähnliche Berichterstattung erinnert augenblicklich an die Parallelen während und nach dem Zweiten Weltkrieg, als verzweifelte Familien mit der Ungewissheit über das Schicksal ihrer Männer, Väter, Brüder und Söhne zu kämpfen hatten. Besonders jener, die an der Ostfront stationiert und in die Hände der Roten Armee gefallen waren.<BR /><BR />Keine Gewahrsamsmacht hatte ihre Gefangenen nach dem Zweiten Weltkrieg so lange zurückbehalten wie die Sowjetunion. Mit der Begründung, dass die Kriegsverlierer aufbauen sollten, was sie während des Krieges auf russischem Territorium zerstört hatten, kam es die ersten Jahre nach Kriegsende mehr oder weniger nur vereinzelt zu Entlassungen.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1133694_image" /></div> <i><BR />„Wir haben nie gewusst, wie lange der Russe uns in der Gefangenschaft behalten wird. Sind es 5 Jahre? Oder 10 Jahre? Oder müssen wir überhaupt für immer hier bleiben? Wir hatten ja keine Zukunft. Ich hatte 2 Kollegen, die haben behauptet, dass 3 Monate nach Kriegsende alle Gefangenen nach Hause entlassen werden müssen. Als das nicht passierte, sind sie daran verzweifelt und gestorben. Denn der Verdruss hat mehr Leute zugrunde gerichtet als die Gefangenschaft selbst.“ </i><BR /><b>Peter Rabensteiner</b> (*1921– †2024) in russischer Gefangenschaft: 1944–1947.<BR /><BR />Die Sowjets waren nicht in Eile, ihr Gefangenenpotenzial zu entlassen, und behielten Zigtausende bis zu 10 oder 11 Jahren über das Kriegsende hinaus in ihren Lagern, um damit gleichzeitig ihre Arbeitskraft zu nutzen.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1133697_image" /></div> <i><BR />„Ich verbinde mit der russischen Gefangenschaft einen einzigen Zustand des Wartens. Wir haben unsere Zeit mit Arbeiten verbracht, wie es unsere oberste Pflicht war, und mit Warten. Warten auf die Heimreise.“</i><BR /><b>Hans Pichler</b> (*1924–†2016) in russischer Gefangenschaft: 1945–1950.<BR /><BR /><BR />Die Gewissheit oder Ungewissheit über das eigene Schicksal, ob man überhaupt jemals wieder seine Heimat sehen wird, das ständige Warten und Hoffen auf die Entlassung, die sich ohnehin nie zu bewahrheiten schien, daran sind Menschen zerbrochen, man verstarb an Heimweh.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1133700_image" /></div> <i><BR />„Viele haben die miserable Situation einfach moralisch nicht mehr vertragen. Die haben einfach die Hoffnung, jemals wieder nach Hause zu kommen, aufgegeben und sind daran gestorben. Inzwischen verstehe ich so manchen besser. Ich war noch sehr jung, 20, 22 Jahre, aber da waren viele mit 30, 35 Jahren, die verheiratet waren, die zu Hause Kinder hatten. Für die war die moralische Belastung weitaus höher als für uns Junge, Nichtverheiratete.“</i><BR /><b>Robert Edlinger</b> (*1923–†2019) in russischer Gefangenschaft: 1945–1948.<BR /><BR />Gewartet hat man auch in der Heimat. Oft wussten die Angehörigen der Gefangenen nicht einmal, ob ihre Männer, Väter, Brüder oder Söhne noch am Leben waren. Da Moskau beharrlich schwieg und keine Namen von Kriegsgefangenen bekannt gab, blieb die quälende Frage, wer, von denen, die in den sowjetischen Lagern schmachteten, noch am Leben war, stets offen.<BR /><i><BR />„Über Vater wurde immer gesprochen, die Mutter hat ständig von ihm erzählt. Wir hatten ja überhaupt nie Nachricht von ihm erhalten. Das Foto mit unserer gesamten Familie, das 1942 bei Vaters letzten Fronturlaub aufgenommen wurde, haben wir oft angesehen, und ich habe mich gefragt, wo Vater ist, wie es ihm wohl geht, was er macht, und natürlich haben wir gewartet, dass er wieder nach Hause kommt.“</i><BR /><b>Ernst Gasser,</b> Sohn eines Südtirolers in russischer Kriegsgefangenschaft. <h3> Häufig genug wartete man auch vergeblich</h3>Das nervenzehrende Warten auf eine Nachricht aus Russland hatte für die engsten Angehörigen in der Heimat zentrale Bedeutung. Man besaß meist nichts weiter als eine Vermisstenmeldung der Wehrmachtseinheit. Es begann ein jahrelanges Hoffen auf ein Lebenszeichen der als vermisst gemeldeten Soldaten. Häufig genug wartete man auch vergeblich.<BR /><i><BR />„Der Richard Pokiser aus Bozen, das war mein bester Freund. Mit ihm bin ich 1944 in Gefangenschaft geraten. Er war bereits verheiratet und hatte einen Sohn. Richard hat zu mir gesagt: 'Ich komm nicht mehr heim.' Er hat die Gefangenschaft einfach moralisch nicht mehr verkraftet. Irgendwann hat er sich dann aufgegeben. Zur Unterernährung erkrankte er dann auch an Fleckfieber und an Ruhr. Im Jänner 1945 ist er verstorben.“</i><b>Peter Rabensteiner</b><BR /><BR />Vor 1946 war es für die Gefangenen in der Sowjetunion aufgrund der nicht vorhandenen Schreibmöglichkeit undenkbar, ihren Angehörigen eine Nachricht zukommen zu lassen. Die langen Jahre der Ungewissheit über den Verbleib ihrer Männer, Väter und Söhne, nahmen vielen den Glauben an ihre Rückkehr. Für den im Jahre 1943 in Gefangenschaft geratenen Johann Brugger hatte man bereits den Sterbegottesdienst abgehalten. Zu unwahrscheinlich erschien das Hoffen auf seine Wiederkehr.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1133703_image" /></div> <i><BR />„Meine Leute zu Hause bekamen 1943 von meinem Kompaniechef einen Brief, mit dem Inhalt, dass ich vermisst wurde. Alle waren davon überzeugt, dass ich einen Volltreffer bekommen hatte und schon längst tot war. Zuhause hat man dann für mich schon den Sterbegottesdienst abgehalten.“</i><BR /><b>Johann Brugger</b> (*1915–†2014) in russischer Gefangenschaft: 1943–1948.<BR /><BR />Das Leben im Gefangenenlager war letztlich eine widerwillig ertragene Existenz auf Abruf, ein Dasein in einer Durchgangskultur, und zwar ohne zeitliche Begrenzung. Jene, die die Hoffnung auf eine Heimkehr noch nicht aufgegeben hatten, wurden von einem einzigen Gedanken gefesselt: Überleben, um nach Hause zu kommen. Und von der Hoffnung auf die baldige Heimreise, die ihnen die Russen gemacht haben: „Skoro domoj! – Bald geht’s nach Hause!“<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1133706_image" /></div> <i><BR />„Wie oft haben wir dieses 'skoro domoj' gehört? Wir haben schließlich nur mehr gesagt: 'Skoro domoj – eto kak rezina!', also das Versprechen auf die baldige Heimreise ist so elastisch wie ein Gummiband.“</i><BR /><b>Andreas Sachsalber</b> (*1927– †2018) in russischer Gefangenschaft: 1945–1950.<BR /><BR />Hatte man mitunter den Glauben an die Entlassung bereits verloren, zu unrealisierbar erschien der Wunsch nach der ersehnten Heimkehr, so rückte der Abschied aus den russischen Gefangenenlager, wenn auch äußerst zähflüssig, näher. Als Ende der 40er-Jahre die anderen Siegermächte ihre Kriegsgefangenenlager bereits wieder geleert hatten, wurde der Druck der Vereinten Nationen auf die Sowjetunion immer größer, sodass es schließlich doch vermehrt zu Entlassungen kam.<BR /><BR />Der Bahnhof in Wiener Neustadt war mit über 60.000 Ankömmlingen aus der Sowjetunion der größte Heimkehrerbahnhof Österreichs. Auch für die große Masse der Südtiroler Kriegsgefangenen, die zwischen 1948 und 1950 repatriiert wurden, erfolgte die Übergabe von sowjetischer in amerikanische Hand in Wiener Neustadt.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1133709_image" /></div> <BR />„Am 11. Februar 1950 kamen wir von Kiew in ein Entlassungslager. Von dort ging es weiter nach Wiener Neustadt, das unter russischer Besatzung war, und wieder in ein russisches Sammellager. Die Russen haben uns dann noch bis nach Wien begleitet. Auf dem Bahnhof in Wien hat man uns schließlich der amerikanischen Besatzung und dem italienischen Konsulat übergeben. Über Treviso gelangten wir nach Udine in die Militärkaserne. Am 25. Februar 1950 bin ich dann endlich zu Hause in Schleis angekommen.“<BR /><b>Franz Abart</b> (*1926–†2018) in russischer Gefangenschaft: 1945–1950.<h3>Buchtipp:</h3>„Südtiroler hinter Stalins Stacheldraht. Kriegsge- fangenschaft in Russland 1943–1954“ von Sabine Peer, Athesia, 3. Auflage 2018, 203 S. <BR /><BR />Bestellen: www.athesiabuch.it