<b>von Waltraud Brugger</b><BR /><BR /> 1250 Meter hoch am Innichberg und an der Fraktionsgrenze zu Vierschach liegt der Unterpappinghof: ein idyllischer, ruhiger Platz inmitten der Natur mit einer Aussicht wie auf schönen Postkarten. Vom Süden grüßen der Haunold, die Dreischusterspitze, der Sarlkofel und weitere Dolomitengipfel. <BR /><BR />Hier ist Peter Patzleiner zu Hause – und das seit 100 Jahren. Am stattlichen Hof wohnen zudem sein Sohn Toni, Schwiegertochter Michaela und die beiden Enkelkinder. Beim Besuch am Hof spricht er über sein Leben, die Geheimnisse des Alters, über Liebe auf den ersten Blick und ... über sein Nutellafrühstück. <BR /><BR />Mit 100 hat er viel erlebt: viele persönliche Geschichten, den Faschismus, die Zeit der Option, den Zweiten Weltkrieg, großen Fortschritt und Wandel, unzählige Herausforderungen. Die wohl faszinierendste Geschichte, die er immer wieder erzählt und die seine Augen zum Leuchten bringen, ist die Geschichte, als er seine Frau kennengelernt hat.<BR /><BR />„Es war Liebe auf den ersten Blick“, sagt Peter Patzleiner. „Eigentlich wollte ich gar nicht heiraten, denn ich hatte wegen einer Kriegsverletzung ständige Schmerzen. Aber zwei meiner Brüder waren im Krieg gefallen, so war ich der Bauer zu Unterpapping. Mein Nachbar hat mir ins Gewissen geredet, dass ich mich nach einer Frau umsehen solle. Wie gut, dass ich auf ihn gehört habe! Als ich Maria (Fuchs; Anm. der Red.) zum ersten Mal gesehen habe, wusste ich: Das ist sie! Ich saß bei einer Kapelle in Sexten, als sie aus dem Haus kam. Maria wollte, so wie ich, eigentlich auch nicht heiraten. Sie wollte Widumhäuserin bei ihrem Bruder sein. Dieser aber riet ihr zu heiraten. Im Jahre 1963 haben wir uns in Sexten das Jawort gegeben. Die Hochzeitsreise führte uns am nächsten Tag nach Maria Weißenstein. Meine Schwestern haben an diesem Tag das Vieh zu Hause im Stall versorgt. Der schönste, der allerschönste Tag in meinem ganzen Leben war, als Maria bei der Haustür herauskam und wir uns trafen.“<BR /><BR /><b>Wie schön, wenn Sie diese Begegnung auch noch mit 100 Jahren als Ihr schönstes Erlebnis beschreiben! Erklären Sie uns auch, was es mit dem Nutellafrühstück auf sich hat?</b><BR />Peter Patzleiner: Na ja, Marmelade auf dem Brot tut mir nicht gut, die ist schlecht für mich. Mit einem Nutellabrot zum Frühstück fühle ich mich den ganzen Tag viel wohler.<BR /><BR />*<BR /><BR /><i>Überhaupt habe er einen guten Appetit, ab und zu etwas Süßes müsse schon sein, erzählt seine Schwiegertochter, die beim Interview dabei ist. Der Schwiegervater sei meistens ein recht humorvoller Mensch und mache gern auch Witze. Aber natürlich gebe es auch „andere“ Tage. Tage, an denen sein Rücken und die Gelenke schmerzten. Da bliebe er dann am liebsten den ganzen Tag auf seinem Lieblingsplatz, in der Stube hinterm warmen Bauernofen. Seit seine Frau im Jahr 2022 gestorben ist, habe er in jeder Hinsicht etwas abgebaut. Bis dahin sei es ihm so gut gegangen, dass er sogar seiner Frau über die Treppen helfen konnte.</i><BR /><BR />*<BR /><BR /><b>Herr Patzleiner, erzählen Sie uns aus Ihrem Leben?</b><BR />Patzleiner: Ich habe fünf brave und gesunde Kinder, elf Enkelkinder und ein Urenkelkind, das zweite ist auf dem Weg. Alle sind beschäftigt und arbeiten, das ist wichtig. Das freut mich! Ich hatte eine sehr gute Frau. Als wir uns kennengelernt hatten, haben wir nicht lang gezögert und noch im selben Jahr geheiratet. Das würde ich wieder so machen. Ich bin zufrieden. Heute ist ein guter Tag, heute tut mir nichts weh. Aber die Kraft fehlt mir schon, manchmal fühle ich mich ziemlich schwach. Bei Schönwetter gehe ich mit dem Rollator ein kleines Stück spazieren. Meine Schwiegertochter hilft mir. Ich sitze dann eine Weile draußen auf der Bank, schaue den Rehen zu oder meinem Sohn, wenn er mit dem Heuschieber auf dem Feld arbeitet. Den Heuschieber haben wir voriges Jahr gekauft, das ist eine gute Erfindung. Da bräuchte es viele Leute, dieselbe Arbeit zu verrichten.<BR /><BR /><b>Diese Hilfsgeräte gab es früher nicht. Sie mussten alle Arbeit mit der Hand verrichten.</b><BR />Patzleiner: Ja, so war es! Die Zeit war damals ganz anders. Die Milch habe ich jeden Tag in Milchkannen auf dem Rücken mit dem Fahrrad bis nach Innichen hinuntergefahren. Im Winter habe ich die ganze Woche Holz gearbeitet, dafür konnte man sich ein Paar Schuhe leisten. Viermal am Tag bin ich mit dem Holzschlitten hinauf in den Wald, obwohl mir oft alles weh getan hat. Es war eine schwierige Zeit. Aber ich hatte ein Ross! Der Rossstall und das Futterhaus waren ein Teil des Wohnhauses. Leute und Tiere hatten denselben Hofeingang. Erst 1971 wurde unser Hof mit einer Zufahrtsstraße erschlossen. 1975 haben wir den Hof umgebaut. Danach ging es bergauf. Wir haben neben den Einnahmen von der Milch noch etwas durch die Zimmervermietung an Touristen verdient. So konnten wir uns mit der Zeit auch einige Arbeitsgeräte leisten. 1977 habe ich den Führerschein gemacht, in den 1980er-Jahren kam das Telefon auf den Unterpappinghof. Strom hatten wir immer, weil wir seit 1920 am E-Werk Vierschach beteiligt sind.<BR /><BR /><b>Welche Erinnerungen haben Sie an die Zeit der Option?</b><BR />Patzleiner: Diese Zeit habe ich gut in Erinnerung. Viele sind damals ausgewandert. Ich kann mich noch gut an ein Gespräch zwischen meinem Vater und seinem Freund erinnern, der über die Option meinte: „Leichter ist es, zu Hause das Schlimme auszuhalten als in der Fremde.“<BR /><BR /><b>Sie waren auch im Krieg und leiden seitdem an einer Kriegsverletzung. Können Sie uns darüber erzählen?</b><BR />Patzleiner: Ich musste 1944 einrücken. In Polen wurde ich zweimal ernstlich verwundet. Die erste Verletzung war ein Schuss in die Rippen. 14 Tage war ich danach in einem Lazarett. Seither habe ich immer wieder Schmerzen. Die zweite Verwundung war ein Armschuss. Ich hatte mehrere Splitter in Arm und Hals, diese Wunden waren viel schlimmer. Diesmal kam ich für vier Wochen ins Lazarett. Dann wurde es dort zu gefährlich. Wir schliefen im Keller, um halbwegs sicher zu sein. Tags darauf versteckten wir uns in einem Zug. Der wurde angegriffen. Viele Kameraden flohen in die Felder. Ein Vinschger und ich haben überlebt, weil wir bis in die Nacht im Zug blieben. Dann machten wir uns auf den Heimweg. Erst nach dem Krieg wurden mir im Innichner Spital die meisten Splitter entfernt.<BR /><BR /><b>Und nach dem Krieg?</b><BR />Patzleiner: Nach dem Krieg haben es unsere Politiker gut gemacht. Wo stünde sonst Südtirol heute? Damals hatte keiner mehr etwas, das Land wurde wieder aufgebaut. Magnago gab den Menschen Vertrauen und konnte die Leute überzeugen. Heute geht es uns gut. Wir haben schöne Häuser und sollten dankbar dafür sein.<BR /><BR /><b>Zuletzt noch die Frage: Was kann man tun, um 100 Jahre alt zu werden? Haben Sie ein Geheimnis? Ist es das legendäre tägliche Glasl Wein oder gar ein Schnäpschen vor dem Schlafengehen, wie manche meinen?</b><BR />Patzleiner: (<i>lacht</i>) Nein, nein, nein! Ob man alt wird oder nicht, hat niemand selbst ganz in der Hand. Das ist Glück, das bestimmt eine höhere Macht. So ist das nun einmal.<BR /><BR />*<BR /><BR /><i>Mit einem leisen und müden Lächeln lehnt er sich zur Ofenbank zurück. </i>