„Der heutige Europäer trägt eine dritte genetische Komponente in sich. Ötzi noch nicht“, sagt Archäogenetiker Johannes Krause. <BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><b>Herr Prof. Krause, was haben Sie als Archäogenetiker einem Archäologen voraus?</b><BR />Johannes Krause: Es ist nicht so, dass ich mehr zu bieten hätte als der Archäologe, sondern dass jeder mit seiner spezifischen Disziplin zu einem besseren Verständnis unserer Vergangenheit beiträgt. Als Archäogenetiker erstelle ich einen genetischen Bauplan von menschlichen Überresten. Daraus lassen sich Schlüsse über das Aussehen des Individuums ziehen, aber auch über dessen Herkunft und eventuelle Verwandtschaften mit damaligen und heutigen Populationen. Oftmals gelingt es uns auch, den genetischen Bauplan von Krankheitserregern – Bakterien oder Viren, die in so einem Individuum vorhanden waren – zu rekonstruieren. Dann erfahren wir auch mehr über die Krankheitsbilder aus der Vergangenheit. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="682745_image" /></div> <BR /><BR /><b>Archäologische Funde bezeugen, dass wir Europäer von den Afrikanern abstammen. Können Sie als Archäogenetiker diese Erkenntnis zeitlich nochmals besser einordnen?</b><BR />Krause: Ja. Mutationen in der DNA helfen, Stammbäume zu erstellen. Wir können also genau sagen, wann sich die genetische Linie der Afrikaner südlich der Sahara von den Menschen außerhalb Afrikas abgespalten hat. Vor rund 55.000 Jahren hat der moderne Mensch Europa und Asien von Ostafrika aus besiedelt. Diese Info liefert weder die Archäologie noch die Anthropologie. <BR /><BR /><b>2012 wurde Ötzis Genom entschlüsselt. Was verrät es über dessen Herkunft?</b><BR />Krause: Ötzi ist ein typisches Individuum der Kupferzeit. Eine genetische Mixtur aus 70 Prozent Ackerbauern, die vor rund 8000 Jahren aus Anatolien nach Europa eingewandert sind, und rund 30 Prozent Ureuropäern, das waren die Jäger und Sammler aus Afrika. Ein paar 100 Jahre, nachdem Ötzi gelebt hat, gab es eine weitere größere Völkerwanderung aus Osteuropa. Der heutige Europäer trägt auch diese dritte genetische Komponente in sich. Ötzi noch nicht. Ebenso wenig – und das ist kurios – die heutigen Sarden. <BR /><BR /><b>Sie haben auch das Pest-Bakterium aus unterschiedlichen Zeitepochen und Regionen sequenziert ...</b><BR />Krause: Das Pest-Bakterium kann im Zahnschmelz nachgewiesen werden. Es reichen also Schädelfunde. Bei der Rekonstruktion des Pesterreger-Genoms haben wir festgestellt, dass vor rund 5000 Jahren neue Gene hinzugekommen sind. Diese haben den Erreger besonders effizient gemacht. Plötzlich konnte er in Flöhen überleben, die von Ratten und Mäuse verbreitet wurden. Und das war der Auslöser der pandemischen Beulenpest vor 4000 Jahren. Auch heute gibt es noch kleinere regionale Ausbrüche von Beulenpest. Zuletzt etwa in Madagaskar und Indien. Dank Antibiotika bekommt man sie aber schnell in den Griff. <BR /><BR /><BR /><embed id="dtext86-50732145_quote" /><BR /><BR /><BR /><b>Welchen Nutzen hat die moderne Medizin von der Paläogenetik?</b><BR />Krause: Die Paläogenetik liefert mitunter Antworten auf die Fragen: Wie entstehen und entwickeln sich Krankheitserreger über längere Zeitspannen? Welche Mutationen im menschlichen Genom machen uns anfälliger für Krankheiten? Wie kann ein Erreger von einem Tier – einem Floh, einer Mücke, einer Fledermaus oder zuletzt einem Pangolin – auf den Menschen überspringen? Wie schnell mutiert er? Wir wissen beispielsweise, dass der Tuberkulose-Erreger 10 bis 20mal schneller mutiert als der verwandte Lepra-Erreger. Das heißt auch, dass bei Tuberkulose viel häufiger Antibiotikaresistenzen auftreten, was bei der Entwicklung von Medikamenten zu berücksichtigen ist. Archäogenetik hilft, die Biologie und Evolution von Krankheitserregern langfristig zu verstehen. <BR /><BR /><b>Welche Ziele stecken Sie sich für die nächsten 10 Jahre?</b><BR />Krause: Wir bauen gerade am Gerüst der genetischen Vielfalt aller weltweiten Populationen. Ich hoffe, dass wir im nächsten Jahrzehnt mit den exponentiell ansteigenden Datensätzen die Populationsgeschichte durch Raum und Zeit bis heute herauf nachzeichnen können. Dasselbe gilt für Krankheitserreger. <BR /><BR /><b>Und was haben Sie noch mit Ötzi vor?</b><BR />Krause: Wir haben am Ötzi letzthin viel gearbeitet, aber keine weiteren Hinweise auf Infektionskrankheiten gefunden. Man muss auch sagen, dass seine DNA nicht gut erhalten ist. Seit der Entschlüsselung vor 9 Jahren hat sich in der Sequenzier-Technologie viel getan. Wir arbeiten jetzt erst einmal daran, eine neue DNA-Sequenz von Ötzi zu erstellen. <BR /><BR /><BR /><BR />* ZUR PERSON<BR /><BR />Johannes Krause ist Direktor des Max-Planck-Instituts für Evolutionäre Anthropologie in Leipzig und Autor des Bestsellers „Die Reise unserer Gene“.<BR /><BR />