Josephus Mayr, eine Mütze auf dem kahlen Kopf und eine blaue Schürze um den Bauch, ist mein Chef an diesem Tag im November. Ich habe mich als freiwilliger Helfer bei der Olivenernte an seinem Unterganznerhof gemeldet. <BR /><BR />Der Hof in Kardaun befindet sich seit 1629 im Familienbesitz. Vielleicht muss man in solchen Zeitdimensionen denken, um hier einen Olivenhain anzulegen. Gäbe es das Wort, müsste man „Olivenberg“ sagen. Mehr Berg als im „Unterganzner Boden“, wo steile Porphyrfelsen über dem Eisackufer emporragen, geht eigentlich nicht. Wegen des günstigen Mikroklimas erntet Josephus Mayrs hier Oliven – sozusagen am Nordpol Italiens. <BR /><BR />In der Mitte des steingepflasterten Hofes breitet ein Maulbeerbaum seine majestätischen Äste aus. Rundherum gruppieren sich das herrschaftliche Bauernhaus mit Privatkapelle, kleinere Gebäude, wo Mitarbeiter wohnen, in Lager und Verkaufsräume umgewandelte Ställe sowie ein Stadel, auf dessen Boden bis Weihnachten Tausende Kilos Lagreintrauben in Kisten für die Süßweinherstellung trocknen.<BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="832460_image" /></div> <BR /> Aus dem Keller dringt Gärgeruch. Josephus Mayr wird von der italienischen Weinbibel Gambero Rosso regelmäßig mit Lobeshymnen überschüttet, was man dem bescheidenen Mann aber nicht anmerkt. <BR /><BR />Nebelschleier wabern über den Eisackfluss, als sich der Bauer um acht Uhr früh im Hof mit seinen Mitarbeitern zur Lagebesprechung trifft. Provianttaschen, Nylonnetze, Plastikeimer, batteriebetriebene Olivenrüttler, alles wird in einer großen grünen Kiste am Heckstapler des Traktors verstaut. Josephus Mayr hilft Michael, dem slowakischen Vorarbeiter, die Kiste am Stapler festzuzurren, dann fährt der Slowake mit dem Traktor voraus, seine Kollegen folgen im Auto. <h3> Der Klimawandel macht es möglich</h3>„Du spinnst!“ hätten die Freunde gespottet, als er Anfang der 1980er Jahre die ersten Olivenbäume pflanzte, erzählt der Bauer. Er ließ sich nicht entmutigen, heute erntet er etwa 2000 Kilo Oliven im Jahr, mit steigender Tendenz. „Der Klimawandel hat mir recht gegeben – im Vergleich zu früher verschob sich die Ernte um 10 bis 14 Tage nach vorne.“ Gemessen an den 60.000 bis 80.000 Weinflaschen, die Josephus Mayr pro Jahr verkauft, sind die Oliven natürlich nur ein Hobby. <BR /><BR />„Ich bin zufrieden, wenn wir damit nicht dunkelrote, sondern rosa Zahlen schreiben“, sagt der Bauer. Aber Wein und Olivenöl würden sich bestens ergänzen. Es gehe auch um die Befriedigung, sein eigenes Ding machen zu können. „Mir gefallen die immergrünen Bäume, sie heben sich im Winter von den kahlen Rebstöcken ab.“ <BR /><BR />Mit einem Plastikeimer in der Hand turne ich wenig später auf den Porphyrfelsen über dem Eisack herum, wo Mayrs Oliven wachsen. Ist der Eimer mit grünschwarzen Oliven gefüllt, balanciere ich damit herunter ins Flachgelände, wo vor Trockenmauern weitere Olivenbäume ihre Kronen in den Herbsthimmel recken. Hier haben die anderen Erntehelfer Netze ausgebreitet. Michael und ein weiterer Slowake halten Rüttelstäbe in die Zweige. Vierzinkige Gabeln auf den Stäben, die sich schnell hin und her bewegen, schlagen die Oliven vom Baum. Sie sollten nicht allzu reif sein, etwa zur Hälfte grün, zur Hälfte schwarz, damit man hervorragendes Öl herauspressen kann, hat vorhin Josephus Mayr gesagt. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="832463_image" /></div> <BR />Nachdem ein Baum leer gerüttelt ist, halten wir die Netze an den Enden empor. Anschließend reinigen wir die zu einem Haufen zusammen gekullerten Oliven von Blättern und kleinen Aststücken. Dann füllen wir sie in die Kiste auf dem Traktor. Entscheidend ist eine schnelle Verarbeitung: Bei der Ernte werden die Oliven zwangsläufig leicht beschädigt und beginnen sofort zu gären, wodurch der Gehalt an freien Fettsäuren ansteigt, die Qualität sinkt. <BR /><BR /> Im ebenen Gelände mit moderner Technik ist Olivenpflücken nicht so anstrengend wie vorhin an der Steilwand. Obendrein scheint mittlerweile die Sonne so warm, dass wir im T-Shirt schwitzen. An Rebstöcke gelehnt, verzehren wir unsere mitgebrachten Salamibrote, wenige Meter entfernt rauscht der Eisack vorbei. Zum Nachtisch pflücke ich eine der bei der Ernte übersehenen Trauben, die von Hummeln umschwirrt werden. Die Geräusche der Zivilisation sind hier am Unterganzner Boden in weite Ferne gerückt. Als Michael um die Mittagsstunde mit dem Traktor zum Unterganznerhof zurückfährt, ist die Kiste auf dem Gabelstapler etwa zur Hälfte mit grün-schwarzen Oliven gefüllt.<h3> Ein Rentner aus Kalabrien</h3>Am Nachmittag, während die anderen weiter Oliven pflücken, helfe ich Josephus Mayr an der Presse. Über einen Trichter lasse ich die Oliven in die Presse rutschen, wo sie zuerst mit Wasser gereinigt und dann gemahlen werden. Alles funktioniert automatisch, ich muss nur in gewissen Abständen einen Wasserhahn auf- und dann wieder zudrehen. Nach einer Weile würgt die Maschine über einen dicken Schlauch die Reste des Mahlvorganges hervor, eine zähe, nach grünem Gras duftende Paste. <BR /><BR />In seinem Dorf hätte man daraus früher Seife hergestellt, erklärt Francesco Cantalio. Der Rentner aus Kalabrien lebt seit Jahrzehnten im Bozner Stadtviertel Don Bosco, wo er im Garten vor der Pfarrkirche einige Olivenbäume pflegt, und nun die Früchte von Josephus Mayr zu Öl verarbeiten lässt: Wie andere Kleinproduzenten aus der Umgebung, die im Lauf des Nachmittags in Kisten ihre Oliven bringen - der Unterganznerbauer ist weit und breit der einzige mit eigener Presse.<BR /><BR /> Damit jeder garantiert sein Öl bekommt, hieven wir die Gefäße auf eine Waage, anschließend werden sie der Reihe nach vor der Mühle aufgestellt. Mayr hat Gewicht und Namen mit Kreide auf eine Tafel geschrieben. Stolz nimmt Francesco Cantalio zwei mit trübem Öl gefüllte Fünfliterflaschen in Empfang. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="832466_image" /></div> <BR />Nachdem er kurz verschwunden ist, kehrt der Bauer mit zwei Weißbrotstangen zurück. In Scheiben geschnitten, halten wir das Brot unter den Öl-Strahl, nachdem Josephus Mayr den Hahn an der Presse geöffnet hat. Sein frisches Olivenöl schmeckt scharf und etwas bitter am Gaumen. Genauso solle es sein, erklärt der Bauer: einige Zeit gelagert, schmecke es dann viel weicher. <BR /><BR />Der Rentner Cantalio hat eine selbstgemachte Wurst mitgebracht, die ihm sein Bruder aus Kalabrien schickt. Zum Vergleich holt Mayr nun aus dem Keller eine Gamswurst hervor. Natürlich ist sie hausgemacht, dazu gibt es einen Sankt Magdalener, der praktischerweise am Unterganzner Boden heranreift. Auf einer Holzbank unter dem Maulbeerbaum sitzen wir mampfend und trinkend zusammen.<BR /><BR /> Als es finster ist, verstaut Cantalio seine zwei gefüllten Flaschen im Auto und fährt davon. Mir schenkt der Unterganznerbauer ein Apothekerfläschchen mit frisch gepresstem Olivenöl. Selten war ich so stolz auf den Dreck unter meinen Fingernägeln, der sich daheim nur durch hartnäckiges Bürsten entfernen lässt. <BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><BR />