<b>STOL: Frau Dr. Meraner, werden Drogen in Südtirol zunehmend zum Problem?</b><BR />Dr. Bettina Meraner: Es hängt stark davon ab, wie viel die Behörden kontrollieren. Durch die Funde von Drogen allein lässt sich nicht sagen, wie groß die Menge von Drogen ist, die auf dem Territorium im Umlauf ist. Was Aufschluss gibt, ist die Konzentration von Substanzen im Abwasser. Diese Untersuchung wird regelmäßig durchgeführt. In Bozen lässt sich durch diese Untersuchung nachweisen, dass der Kokainwert konstant hoch ist. Er ist höher als in Innsbruck und höher als in vielen italienischen Städten. Der Wert ist ähnlich hoch wie in Mailand, wo extrem viel Kokain im Umlauf ist. <a href="https://www.stol.it/artikel/chronik/bozen-fuehrt-beim-kokain-konsum" target="_blank" class="external-link-new-window" title="">(STOL hat berichtet.)</a></TD><TD><BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="829763_image" /></div> <BR /><BR /><BR /><b>STOL: Spiegelt sich dieser Wert auch in den Aufenthalten der Suchtkliniken in Südtirol wider? Gibt es mehr Süchtige?</b><BR />Meraner: Um eine Suchterkrankung zu entwickeln, müssen viele Faktoren zusammenspielen. Die persönliche Veranlagung, Umweltfaktoren und die psychologische Verfassung einer Person spielen eine Rolle. Allein der Konsum spiegelt sich noch nicht in den Aufenthalten der Suchtklinik wider. Bei Personen, die bis jetzt eher unauffällig und kontrolliert Substanzen konsumiert haben, hat sich der Konsum in den vergangenen 3 Jahren erhöht. Das ist vor allem auf die schwierige Zeit, sprich die Pandemie und die unsichere Wirtschaftslage zurückzuführen. Diese Leute konsumieren, um Probleme und Sorgen zu vergessen. Oft handelt es sich aber um einen kontrollierten Konsum, also um einen Konsum, der sich nicht verschlimmert und nur mit manchen Gewohnheiten wie dem Ausgehen verbunden ist.<BR /><BR /><i>Bevor Sie weiterlesen, stimmen Sie ab!</i><BR /><BR /> <div class="embed-box"><div data-pinpoll-id="220505" data-mode="poll"></div></div> <BR /><BR /><b>STOL: Sind Jugendliche besonders stark vom Drogenkonsum betroffen?</b><BR />Meraner: Das kann man nicht direkt sagen. Die Jugendlichen haben oft beim Ausgehen Drogen konsumiert. Durch den Lockdown haben sich die Routinen der Jugendlichen verändert und es hat versteckte Treffen gegeben. Bei Jugendlichen, die in dieser Zeit zusätzlich Schwierigkeiten bekommen haben, wie Probleme mit dem Fernunterricht, hat sich der Drogenkonsum verstärkt. Sie haben oft eine Substanzkonsumstörung entwickelt. Wir haben sehr viel Zulauf von Jugendlichen, die ein Problem mit einer Subtanz haben. Das muss aber nicht heißen, dass der Drogenkonsum gestiegen ist. Es ist möglich, dass es sich herumgesprochen hat, dass man bei uns unkompliziert Hilfe bekommt und sich deswegen viele melden. <BR /><BR /><BR /><embed id="dtext86-56852913_quote" /><BR /><BR /><BR /><b>STOL: Welche Substanzen werden vor allem von Jugendlichen konsumiert?</b><BR />Meraner: Die Jugendlichen, die sich an uns wenden, haben ein Heroinproblem. Viele konsumieren neben Heroin auch noch andere Substanzen wie zum Beispiel Kokain, Cannabis oder Medikamente und Beruhigungsmittel, die sie auf dem Schwarzmarkt bekommen. Auch LSD und Alkohol werden nebenbei konsumiert. <BR /><BR /><b>STOL: Wie viele Jugendliche sind davon betroffen?</b><BR />Meraner: Insgesamt gehen wir davon aus, dass 2 bis 3 Prozent der Bevölkerung Kontakt mit solchen Substanzen haben. Die Tatsache, dass Jugendliche konsumieren, macht einen sehr betroffen. Positiv ist aber, dass die Jugendlichen heutzutage schneller Hilfe suchen. Dadurch kann man das Problem besser lösen und vermeiden, dass sie dieses ins Erwachsenenalter mitnehmen. Je früher man Hilfe sucht, desto weniger Folgeerscheinungen gibt es. <BR /><BR /><b>STOL: Ist die Zahl der drogenabhängigen Südtiroler Jugendlichen auch so hoch?</b><BR />Meraner: Ja, Südtiroler Jugendliche sind genauso vom Problem betroffen. In Bozen gibt es rund 100 Jugendliche unter 25 Jahren, die in Behandlung sind – nur Bozen und Umgebung. Die Zahl der Jugendlichen, die Kontakt mit Drogen haben, ist aber viel höher. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="829766_image" /></div> <BR /><BR /><BR /><b>STOL: Wie komme ich in die Abhängigkeit von so starken Drogen wie Heroin?</b><BR />Meraner: Viele kommen in die Abhängigkeit, weil sie mit Jugendlichen befreundet sind, die schon ein Problem haben. Jugendliche sind experimentierfreudig und wollen immer was Neues probieren. Bei den Drogen gibt es oft einen, der was Neues hat und die anderen Jugendlichen wollen die Substanz auch mal probiert haben. Wenn ihnen der Effekt gefällt, suchen sie das nochmal. Irgendwann wird der Effekt abnehmen und die Jugendlichen spüren, dass es ihnen ohne positiven Effekt nicht mehr so gut geht. Sie müssen deswegen die Substanz immer wieder suchen und zu sich nehmen. So beginnt eine Negativspirale.<BR /><BR /><b>STOL: Gibt es schlimmere und weniger schlimme Substanzen?</b><BR />Meraner: Nein, das kann man nicht sagen bzw. nicht mehr. Heroin ist zum Beispiel eine Substanz, die man mit Medikamenten relativ gut behandeln kann. Man muss überlegen, was schlimm heißt. Wenn man an das Suchtpotenzial denkt, ist Nikotin eine der gefährlichsten Substanzen. Aber auch Kokain hat hohes Suchtpotenzial. Hier kommt es aber darauf an, in welcher Form man die Droge zu sich nimmt. Schlimm können aber auch die Folgen einer Droge sein. Zum Beispiel kann es passieren, dass man durch Alkohol oder Kokain aggressiv wird. Auch bei Cannabis muss man vorsichtig sein: Cannabis ist nicht gleich Cannabis, es hängt von der Konzentration der Wirkstoffe ab und wie es verschnitten ist. Es hängt auch von einem persönlich ab: Wenn man ein Mensch ist, der dazu neigt, Psychosen zu bekommen, kann Cannabis hundertmal schlimmer sein als Heroin. <BR /><BR /><BR /><embed id="dtext86-56852919_quote" /><BR /><BR /><BR /><b>STOL: Wo bekommt man Hilfe, wenn man selber ein Drogenproblem hat?</b><BR />Meraner: Am besten wendet man sich an die Dienste für Abhängigkeitserkrankungen. Wir können gut einschätzen, wie schwerwiegend der Konsum ist und wir haben die Mittel und das Personal, um zu helfen. Einen ersten Kontakt kann ich knüpfen, indem ich beim zuständigen Dienst für Abhängigkeitserkrankungen anrufe oder persönlich hingehe. Wir geben die Daten an niemanden weiter – auch nicht an den Sanitätsbetrieb. Außerdem kann man sich auch anonym an uns wenden und anonym behandelt werden. Es scheint dann kein Name auf, sondern nur ein Kürzel. <BR /><BR /><b>STOL: Was kann man tun, um das Drogenproblem in Südtirol zu lösen? Oft heißt es, die Legalisierung bestimmter leichter Drogen wäre ein Weg?</b><BR />Meraner: Die Legalisierung ist ein Trugschluss und keine Lösung. Das kann man bei den Staaten beobachten, die Cannabis bereits legalisiert haben. Der Schwarzmarkt bleibt weiterhin bestehen. Den Konsum sollte man aber entkriminalisieren, das heißt, dass die Konsumenten keine Straftat begehen, wenn sie konsumieren. Die Angst, rechtliche Konsequenzen zu spüren, ist bei vielen auch ein Grund, wieso sie nicht Hilfe suchen. Wichtig ist es vor allem eine offene Debatte zu führen. Unter den Jugendlichen, mit denen ich in Kontakte komme, herrschen viele Mythen, die sie im Internet gelesen haben, aber nicht stimmen. Sie sind sehr einseitig informiert und sind dann überrascht, wenn es anders kommt. Informationskampagnen sind deswegen wichtig und die Kinder- und Hausärzte sollten keine Angst haben, das Thema anzusprechen.