Es gibt nur noch wenige Zeitzeugen, die die Stauung des Reschensees und die Zerstörung des Dorfes Graun erlebt haben. Bei Paul Warger (88) hat sich der Verlust seiner Heimat tief in die Erinnerung eingebrannt.<BR /><BR /><i>von Notburga Pardatscher</i><BR /><BR />Die Familie Warger lebte in Arlund, einem Weiler bei Graun, die Eltern und 13 Kinder. Paul Warger erinnert sich noch genau an die Vorkommnisse anlässlich der Seestauung. „Das war eine traurige Sache.“<BR /><BR />In den 1940er Jahren war bekannt geworden, dass im Oberland ein großer Stausee für die Produktion von elektrischer Energie errichtet werden sollte. Bei St. Valentin sollte ein Staudamm entstehen, Wiesen und Äcker zwischen Reschen und Hoad sollten geflutet und Grauner und Rescher ausgesiedelt werden.<BR /><BR /><b>„Niemand wollte glauben, dass es so weit kommt“</b><BR /><BR />„Die Leute haben nicht geglaubt, dass es wirklich so weit kommt. Mein Vater auch nicht“, erinnert sich Paul Warger. Sein Vater habe immer gesagt: „Bevor ich nicht gezwungen bin zu gehen, gehe ich nicht.“ Das habe er auch bei der Option so gehalten. Doch dieses Mal kam es anders.<BR /><BR />Der Staudamm wurde gebaut. Arbeiter aus dem Süden wurden eingestellt. „Auch einige Einheimische haben hier gearbeitet.“ Damals habe große Armut geherrscht und man habe den Erwerb dringend gebraucht. Diese Einheimischen seien drangsaliert worden, weiß Paul Warger. <BR /><BR />1949 kam es zu den ersten Probestauungen. „Wir jungen Leute haben das nicht so tragisch genommen“, erzählt Paul Warger. „Wir haben ein Floß gebaut und sind damit herum gefahren.“ Das Wasser ging wieder zurück und das Leben im Oberland wieder seinen gewohnten Gang. Doch im Sommer1950 wurde der Stausee endgültig gefüllt. „Als das Wasser sich den Wiesen näherte, wurde noch schnell das Heu eingebracht und die letzten Erdäpfel aus dem Acker geholt.“<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="597818_image" /></div> <BR />Zu diesem Zeitpunkt war die Familie Warger nicht mehr auf Arlund. Der Vater von Paul Warger hatte schweren Herzen zur Kenntnis nehmen müssen, dass es im Oberland keine Zukunft für ihn und seine Familie gab. <BR /><BR /><b>Die meisten Grauner und Rescher ziehen weg</b><BR /><BR />„Die meisten Grauner und Rescher, die von der Seestauung betroffen waren, sind fortgegangen“, stellt Paul Warger fest. Sie hätten keine Existenzmöglichkeiten mehr gehabt, ohne Wiesen und Äcker. Sein Vater hatte einen Hof zur Pacht gesucht und war so nach Schlinig gekommen. Paul Warger erinnert sich noch genau an die Übersiedelung nach Schlinig am 1. Mai 1050. Er besuchte damals das Gymnasium im Kloster Marienberg. „Der Pater Schaffer hat zu mir gesagt, ich soll auf die Straße hinunter schauen. Dort fährt meine Familie mit der ‚Plünderfuhr‘ Richtung Schlinig.“ <BR /><BR />Er selbst folgte seiner Familie erst Wochen später nach Schlinig, wo er bisher noch nie gewesen war. Dort habe er empfunden, dass er mit der Seestauung seine Heimat verloren habe. „Heimat, das sind die Leute, das Dorf, die Landschaft.“ Inzwischen ist Taufers für Paul Warger zur zweiten Heimat geworden. Dort lebt der pensionierte Lehrer seit mehr als 5 Jahrzehnten und ist ein wichtiger Teil des Dorfes.<BR /><BR /><b>Die Heimat im Oberland nie vergessen</b><BR /><BR />Doch seine eigentliche Heimat hat er nie vergessen. „Früher bin ich 2 bis 3 Mal in der Woche nach Graun und nach Reschen gefahren“, berichtet der 88-Jährige. „Manchmal habe ich mich bei einem Spaziergang auf eine Bank gesetzt und geweint.“ Der Reschensee ist zu einem beliebten Ausflugsziel geworden, mit dem Ausflugsschiff Hubertus als Attraktion. „Ich bin noch nie mitgefahren“, sagt Paul Warger. „Ich müsste immer daran denken, dass wir jetzt über unser Haus, über unsere Äcker fahren.“<BR /><BR />Daran denkt der 88-Jährige auch, wenn manche sagen, dass das der Reschensee sei. „Das kann nur jemand sagen, der die Landschaft vorher nicht gekannt hat.“ Im Winter erinnert ihn der Blick über den See an seine verlorene Heimat. „Dann ist alles eine Ebene und alles weiß, wie früher.“ <BR /><div class="img-embed"><embed id="597821_image" /></div> Das Graun von heute ist nicht das Graun aus seiner Kindheit. „Vom alten Dorf steht kein Haus und das was heute ist, gab es früher nicht.“ <BR />Sein Haus in Taufers ist voll von Erinnerungen an die verlorene Heimat. Immer wieder betrachtet er die Fotos, die mit vielen Erinnerungen verbunden sind und blättert in den Büchern, die an eine längst vergangenen Zeit im Oberland erinnern.