Irina Lino begegnet einem Vater, der seiner kleinen Tochter etwas Großes schenkt, das im Garten des Herzens Früchte tragen wird.<BR /><BR /><BR /><BR />Es regnet nicht, es schüttet! Keinen Hund würde man bei so einem Wetter vor die Türe jagen. Warum ich also ausgerechnet bei dieser Sintflut zur Mülldeponie gefahren bin? Ich weiß es nicht! <BR /><BR />Dass sich seit Wochen Zeitungen, Kartons und Verpackungsmaterial in der Garage zu Gebirgen türmen, daran kann es nicht liegen. Derlei belastet mich rein ordnungstechnisch wenig – solange mein Autozwerg noch Platz hat und alles außer Haus ist. Frei nach dem Motto: Aus dem Auge, aus dem Sinn! <BR /><BR />Jetzt, nachdem ich mittelschwer durchnässt, aber von veritablen Abfallbergen befreit, wieder zu Hause bin und im Trockenen sitze, kann ich nur „Mülle grazie“ sagen und dankbar sein: Für eine unverhoffte, wunderbare, um nicht zu sagen himmlische Begegnung mit einem Vater, seiner Tochter und einem gefallenen Schutzengel. <BR /><BR />Besagter ist ganz offensichtlich in die Gestalt einer Taube geschlüpft (dass es sich um den Heiligen Geist handelt, schließe ich einmal aus), die jämmerlich am Straßenrand hockt, während Fahrzeuge viel zu knapp an ihr vorbeidonnern, bis ein beherzter Mann neben das unglückliche Tier tritt und mit seinem Körper Abstand einfordert. <BR /><BR />„Ist sie euch ins Auto geflogen“, frage ich das Mädchen, das wartend auf der gegenüberliegenden Straßenseite steht. „Nein, wir haben sie so gefunden, und Papa will sie zu jemanden bringen, der ihr hilft“, sagt die Kleine. „Weißt du, das ist kein Vogel, sondern ein Schutzengel. Und wenn er wieder fliegen kann, passt er auf uns auf“, ist sie überzeugt.<BR /><BR /> Wie etwas unendlich Kostbares hält der Mann den zerzausten Schutzengel in der Hand, der sich als klägliche Taube tarnt. Er hat sie vorsichtig hochgehoben und in seine Jacke gewickelt. Dass sie sündteuer gewesen sein muss, verrät das Logo. Dass es Dinge gibt, die man mit Geld nicht kaufen kann, das Gesicht seine Tochter. „Komm, wir bringen sie zum Tierarzt. Er wird sich um sie kümmern“, sagt der Vater. <BR /><BR />Während sie gehen, erhasche ich noch einen Blick aus strahlenden Kinderaugen, die zu ihm hochblicken. Er hat seiner kleinen Tochter etwas Großes geschenkt, das im Garten des Herzens Früchte tragen wird: Mitgefühl!<BR /><BR /><BR /><BR />ZUR PERSON<BR /><BR />In einer wöchentlichen Kolumne schreibt Irina Lino auf s+ über aktuelle Themen verschiedenster Art. Irina Lino ist 1967 in Klagenfurt geboren und seit 1987 Kulturjournalistin. Zahlreiche Beiträge in Büchern und Katalogen zu Kulturthemen; seit 2009 Kultur-Ressortleiterin der „Kronen Zeitung“ Kärnten sowie Kolumnistin. + von Irina Lino