Südtirol Online: Professor Mangott, am Morgen hat das Kabinett Merkel den geplanten Einsatz der Bundeswehr gegen den IS beschlossen. Kritiker sagen, das sei genau das, was der IS wolle: Den Westen in einen Krieg zwingen, den er nicht gewinnen könne. Ist das nun das sichere Ende?Gerhard Mangott, Professor für Internationale Beziehungen an der Universität Innsbruck: Ich teile die These, dass dieser Krieg nicht zu gewinnen ist, nicht. Es stimmt zweifellos, dass man den IS nicht ausschließlich militärisch bekämpfen kann. Daneben braucht es schärfere Überwachung, bessere soziale Integration, höhere Bildungschancen, Chancen und Lebensperspektiven für junge Migranten. Aber, dass der IS auch militärisch besiegbar ist, zeigen die kurdischen Kämpfer, die in den letzten Monaten auf dem Gebiet Syriens deutliche Gewinne gegenüber dem Islamischen Staat erringen konnten – mit Luftunterstützung der Vereinigten Staaten. Das könnten europäische und amerikanische Bodentruppen erst recht erreichen. Nur ist es eben so, dass leider kein Staat der westlichen Welt – aber auch nicht Russland – Bodentruppen einsetzen möchte. Alle beschränken sich darauf, aus der Luft anzugreifen. Doch mit den kurdischen Truppen am Boden allein wird es nicht gehen.STOL: Der Weg führt an Bodentruppen nicht vorbei?Mangott: Meines Erachtens nach führt er nicht daran vorbei. Es ist nicht anzunehmen, dass die Kurden bereit sind, arabisch besiedelte Gebiete vom IS zu befreien. Das ist nicht ihr Ziel. Wenn man also den IS in Syrien und im Irak zurückdrängen will, dann müssen es wohl westliche Bodentruppen sein. Die Frage ist nur: Sind westliche Staaten bereit, das Sterben ihrer Soldaten hinzunehmen? Oder ist die Angst vor Verlusten an der Front so groß, dass westliche Armeen nur noch aus der Luft angreifen?STOL: Der Erfolg der kurdischen Truppen wird vor allem ihren gezielten Angriffen auf Stützpunkte des IS zugeschrieben. Westliche Luftschläge auf Ar-Raqqa würden hingegen nicht viel bringen, da die IS-Spitze über das gesamte Kalifat verteilt sei, meinen Kritiker.Mangott: Das ist wohl zweifellos richtig, durch die Angriffe auf Ar-Raqqa haben sich einige Führer des IS abgesetzt. Aber so wie die Kurden es gemacht haben, könnten auch westliche Truppen sich darauf beschränken, bestimmte Städte aus der Hand des IS zu befreien. Ihn von den Erdölressourcen abzuschneiden. Verbindungsrouten zwischen den IS-Zentren zu durchbrechen. Die technische Überlegenheit westlicher Bodentruppen gegenüber dem IS ist sehr, sehr viel größer als die kurdische. Was die Kurden können, können westliche Bodentruppen schneller – und viel besser.STOL: In Syrien wird nun die Bekämpfung des IS primär behandelt, die Lösung des Bürgerkriegs muss weiter warten. Dabei konnte sich der IS vielfach erst aufgrund des Konflikts, der Not, der instabilen Verhältnisse in Irak und Syrien etablieren. Packen USA, Frankreich, Deutschland das Problem am Scheitel statt an der Wurzel?Mangott: Das Regime Baschar al-Assad hat zweifellos zum Wachstum des IS beigetragen hat. Zudem hat es den IS auch kaum bekämpft – weil der IS eben auch gegen Oppositionsgruppen vorgeht, die al-Assad stürzen wollen. Insofern kann eine Lösung des Problems mit dem IS nicht erfolgen, solange nicht auch das Syrien-Problem gelöst wird. Doch die großen Staaten, die in Syrien aktiv sind, sind sich nicht darüber einig, was nun Priorität hat. Russland sagt: zuerst IS auslöschen, dann politische Lösung in Syrien suchen. Deutschland und USA sagen: Wir werden den IS nicht besiegen können, wenn wir uns nicht gleichzeitig um die Lösung des syrischen Bürgerkriegs bemühen. Hier muss ein Konsens gefunden werden. Denn ohne ein gemeinsames Vorgehen ist der Syrien-Konflikt schlichtweg nicht zu lösen.STOL: Der IS wurde im Irak geboren. War der Irak-Krieg 2003 und das Alleinlassen der irakischen Bevölkerung danach der größte Fehler, den die USA begehen konnten?Mangott: Man kann sagen, dass die Vereinigten Staaten durch ihre militärische Intervention im Irak wesentlich dazu beigetragen haben, dass der Islamische Staat, dass dieser sunnitische Terrorismus entstanden ist. Die Vereinigten Staaten haben diese Intervention begonnen, ohne wirklich einen politischen Plan zu haben, wie es danach im Irak weitergehen soll. Weil die Vereinigten Staaten nichts getan haben, um sicherzustellen, dass auch die Sunniten im Irak gleichberechtigt sind, hat sich der sunnitische Widerstand formiert. Ein großes Versäumnis. Es gibt eine große historische Verpflichtung der Vereinigten Staaten, gegen den IS vorzugehen – eben wegen dieser Fehler.STOL: Diese Fehler liegen nun über 10 Jahre, teils sogar noch länger, zurück. Inzwischen ist eine ganze Generation mit Hass auf den Westen herangewachsen. Sind diese Fehler heute überhaupt noch auszubügeln?Mangott: Es ist sicherlich ungleich schwieriger als es damals gewesen wäre. Aber es wäre schon ein erster Schritt, wenn die Vereinigten Staaten ausreichend Druck auf die irakische Führung ausüben könnten, Sunniten gleichberechtigt an der Macht teilhaben zu lassen. Solange das nicht geschieht, werden die arabischen Sunniten im Irak immer eine gewisse Sympathie für den IS hegen.STOL: Wird in Syrien bombardiert, sind sogenannte Kollateralschäden – zivile Opfer – vorprogrammiert. Welche Botschaft wird damit an die gebeutelten Muslime der Gegend gesendet, wenn der Westen, sozusagen zum wiederholten Male, den Islam in die Mangel nimmt? Sind wir des IS‘ bester Werbeträger?Mangott: Das ist sicherlich ein Dilemma jeder westlichen Intervention. Deshalb sollte es eben nicht nur eine westliche Intervention sein, sondern die Intervention sollte mit den arabischen Staaten und mit Russland abgestimmt werden. Die Kollateralschäden amerikanischer Luftangriffe sind beherrschbar. Anders als Russland arbeiten sie mit Präzisionswaffen. Aber natürlich gibt es auch so zivile Opfer. Nur darf man sich das nicht so vorstellen, dass die Zivilisten im Islamischen Staat zufrieden sind dort zu leben. Da gibt’s durchaus Verständnis dafür, wenn es Bemühungen gibt, sich von dem Terror des IS zu befreien.STOL: Wie angesprochen, haben sich die großen Mächte noch auf keine gemeinsame Gangart geeinigt. Kann der Kampf gegen den IS überhaupt gewonnen werden, wenn Russland an Assad festhält und eigentlich niemand so ganz genau weiß, auf welcher Seite nun die Türkei und Saudi-Arabien stehen?Mangott: Ich denke, dass es letztlich auch für den Westen alleine möglich wäre, den IS soweit zu bekämpfen, dass er über kein zusammenhängendes Territorium mehr verfügt. Der Umstand, dass der IS ein eigenes Territorium hat, dort ein Kalifat ausgerufen hat, macht auch einen Teil seiner Anziehungskraft aus. Aber ich will noch einmal betonen: Den Kampf gegen den IS kann man nicht allein militärisch gewinnen. Wenn der IS am Boden zerstört ist, wird sich eine neue Gruppe mit ähnlicher Ideologie bilden. Deshalb muss man die Köpfe junger Muslime in der Region und in Europa gewinnen. Indem man sie teilhaben lässt und für unsere Werte gewinnt.STOL: Steigt nun die Gefahr auf Terroranschläge in all jenen Ländern, die dem IS nun zu Leibe rücken?Mangott: Davon ist auszugehen. Das ist das große Risiko. Aber letztlich kann sich kein Staat in Europa sicher sein, vom Terror nicht betroffen zu sein.STOL: Ein Blick in die Zukunft: Wer wird am Ende in Syrien aktiv – einzelne Staaten, die NATO oder gibt’s am Ende ein UN-Mandat?Mangott: Einen NATO-Feldzug schließe ich aus. Ein UN-Mandat wird es nur dann geben, wenn für Russland sichergestellt ist, dass dies nicht auch zu einem militärischen Vorgehen gegen al-Assad ermächtigt. Ich muss aus meiner Sicht leider sagen, dass wir es in nächster Zeit mit einer westlichen Bodenoffensive zu tun haben werden. Diesen Schritt wird kein westlicher Staat setzen.STOL: Gesetzt dem Fall, der IS wird irgendwann besiegt: Hat man denn heute das, was in den vergangenen Jahren so schmerzlich fehlte: einen politischen Plan für den Tag danach?Mangott: Ich glaube, dass so ein Plan immer noch nicht vorliegt. Der Westen sagt: Al-Assad muss gehen. Aber wenn man ihn fragt, wer denn an seine Stelle treten soll, dann herrscht ziemliches Schweigen. Es ist das eine, eine Regierung stürzen zu wollen. Aber es ist etwas anderes, eine neue an ihre Stelle zu setzen. Und hier hat der Westen, noch immer, überhaupt nichts zu bieten.Interview: Petra Gasslitter___________________________________________________________________________Am Dienstagabend findet an der SOWI in Innsbruck eine Podiumsdiskussion zum Thema "Europa und der Transnationale Terrorismus" statt, an der auch Professor Gerhard Mangott teilnimmt. Interessierte können die Veranstaltung über Livestream verfolgen und auf Facebook und Twitter Fragen stellen.