Wo Südtirols Kriechtier-Experte Ivan Plasinger als Schlange leben würde, warum er seine Freizeit für diese Tiere opfert und was er empfiehlt, um überraschende Begegnungen mit ihnen zu vermeiden. <BR /><BR /><BR /><BR />Vor einigen Tagen war mir im Weinacker eine Schlange über den Weg gekrochen, gut einen Meter lang, dunkelgrau, mit hellen, gelblichen Flecken hinter den Augen. Lautlos schlich das Tier eine Trockensteinmauer herab und verschwand dann, sich seitlich vorwärts windend, in einem mit Laub bedeckten Steinhaufen am Rand des Weinbergs. Eine Ringelnatter, wie die Überprüfung im Internet ergab. <BR /><BR />Von so einer sei er gebissen worden, erklärte der alte Mann, der dort seinen Gemüsegarten bestellt, und streckte mir wie zum Beweis seine<BR />Rechte entgegen, als ich ihm von der Schlange erzählte: „Hier war die Bissstelle, sie schwoll gleich an!“ Sobald er eine Schlange entdecke, fügte der Alte grimmig hinzu, „erschlage ich sie mit der Schaufel!“ <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="661304_image" /></div> <BR /><BR />Symbol des Bösen, die Schlange verführt Adam und Eva, Vertreibung aus dem Paradies. In Kirchen sieht man eine Marienstatue, ihr Haupt umkränzt von 12 Sternen, wie sie die Schlange zertritt. Die Furcht vor dem Kriechtier, eine Erbschaft christlicher Erziehung, ist tief in unserem Bewusstsein verwurzelt. <BR /><BR />Der Alte, den die Schlange gebissen hatte, hörte sich meine Argumente über die Harmlosigkeit von Ringelnattern zwar an, ich merkte jedoch gleich, dass er das nächste Mal wieder zur Schaufel greifen würde. <BR /><BR />„An eine Urangst glaube ich nicht“, erklärte hingegen Ivan Plasinger. Ich rief den Präsidenten des Vereins Herpeton, der zum Schutz einheimischer Reptilien und Amphibien gegründet wurde, an, um mehr über Schlangen in Südtirol zu erfahren. Seine Mutter, erzählte der Mittvierziger, habe einen unüberwindbaren Ekel vor allen Kriechtieren gehabt. „Und mich faszinieren sie!“ Mit 9 oder 10 Jahren habe er einmal Erdkröten, „ich weiß noch genau: es waren 13“, in einem mit Erde und Laub gefüllten Korb im Schubfach unter seinem Bett verstaut, sagte Plasinger. „Als vor dem Schlafengehen die Mutter ins Zimmer kam, ertönte ein dumpfes Quaken - leider mussten die Kröten weichen.“<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="661307_image" /></div> <BR /> Ich fragte den Vereinspräsidenten, ob er einen Ort mit vielen Schlangen kenne, und ob er mich dorthin begleiten würde. Am nächsten Tag nach der Arbeit trafen wir uns an der Staatsstraße Auer-Fleimstal, wo Tafeln über die Flora und Fauna im Biotop Castelfeder informieren. Sonnenexponiert, mit runden Porphyrfelsen und schilfbewachsenen<BR />Tümpeln sowie etlichen Spuren uralter Besiedlung, bildet Castelfeder ein schönes Ausflugsziel. Über 100 Hektar umfasst hier die geschützte Zone.<BR /><BR />„Castelfeder gehört zu den wichtigsten Biotopen der Region“, sagte<BR />Plasinger, der bereits den Kofferraum seines Wagens geöffnet und eine rote Plastikkiste hervorgeholt hatte, als ich aus dem Auto stieg. In der Box transportiert Plasinger ein mit Alkohol gefülltes Glas, in dem eine tote Karbonnatter schwimmt, eine Wärmepistole zum Messen der Bodentemperatur (liegt sie zwischen 20 und 30 Grad, bewegen sich die wechselwarmen Schlangen), Lederhandschuhe, die bis zu den Ellbogen reichen, einen braunen Kartoffelsack sowie einen Jutebeutel, den er sich vorsichtig um die Schulter hängte: Dinge, die als Anschauungsmaterial bei Fortbildungsveranstaltungen und Exkursionen, oft mit Schulklassen, dienen. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="661310_image" /></div> <BR /><BR />Er sei kein Freund gestellter Szenen, entgegnete der Guide auf meinen Vorschlag, in die Handschuhe zu schlüpfen und den großen Sack für ein Foto emporzurecken. Kein Foto also. Sattdessen erzählte Plasinger, dass die Karbonnatter überfahren worden war, und zeigte den Schwanzzipfel einer Eidechse, welche die Karbonnatter Sekunden vor ihrem Tod verschluckt hatte, er lugte noch aus ihrem Maul hervor. Beim Losgehen nahm der Guide nur den Beutel auf seiner Schulter mit. <BR /><BR />Wir kamen an einem schilfumrahmten Tümpel vorbei, Lebensraum der Ringelnatter und des Grünfroschs, während Ivan Plasinger erzählte, dass sich bisher 700 Personen an der Sammlung von über 10.000 Daten zum Vorkommen von Amphibien und Reptilien in Südtirol beteiligt hätten. „Unser Ziel ist die Erstellung eines Verbreitungsatlasses“. Ein Erhebungsprotokoll müsse schnell verfasst sein, meinte Plasinger, und zeigte den Link auf seinem Handy, wo Interessierte ihre Beobachtungen festhalten können. <BR /><BR />Bevor er vor 11 Jahren den Verein Herpeton gründete, habe er sich an das Naturmuseum in Bozen gewandt, um Schlangensichtungen zu melden. „Außer 17 Zetteln, die ich für jede Beobachtung ausfüllen musste, hatten sie kein Material über Schlangen“.<BR /><BR />Plasinger beschloss, die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Auf Castelfeder, diesem magischen Ort hoch über dem Etschtal mit Resten von Kirchen und Befestigungsanlagen aus vorchristlicher Zeit, kommt neben der Ringelnatter die Schling-, Äskulap- und Karbonnatter vor. An den Porphyrhängen hier im Unterland überschnitten sich die Lebensräume dreier giftiger Schlangenarten, der Kreuzotter, der Aspis- und Hornviper, nirgends sonst in Europa, erfuhr ich von Ivan Plasinger.<BR /><BR /><b>Mit dem Stock auf den Boden klopfen?</b><BR /><BR /> „Als Schlange wäre ich hier“, erklärte er, nachdem wir, einem Schild mit aufgemalter Eidechse folgend (weil hier die seltene grün-bläulich schillernde Smaragdeidechse ihre Lebensbedingungen findet), zu einer Felswand mit Gebüsch und verstreuten Gesteinsbrocken gelangten. Schlangen würden sich selten auf glatten exponierten Felsen oder mitten im Weg aufhalten, sagte Plasinger: „Da ist Verstecken schwierig. Greifvögel, Fuchs, Dachs und Marder, ihre Feinde, hätten eine leichte Beute“. <BR /><BR />Mit den Füßen stampfen, mit einem Stock auf den Boden klopfen - von gängigen Methoden, unerwünschte Schlangenbegegnungen zu vermeiden, hält Ivan Plasinger wenig. „Schlangen hören nicht, sie spüren die Erschütterung. Ist der Boden jedoch schottrig, geröllig, werden die Vibrationen gedämpft“, sagte er. Außerdem legten Schlangen ihren Kopf mit dem vibrationsempfindlichen Organ beim Ruhen meist zusammengeringelt auf ihren Körper - sozusagen eine Antivibrationsmatte. Am besten, meinte Plasinger, sei es, sich sehr langsam zu bewegen und dabei konzentriert mit den Augen das Gelände abzutasten. <BR /><BR />Warum er die Freizeit opfert, um mit Wildfremden sein Wissen über<BR />Kriechtiere zu teilen? Den eigenen Kindern, einem Mädchen mit 14, einem Buben mit 10 Jahren, sage er immer, „eine bunte Welt ist schöner als eine Einkaufswüste und Geld kann man nicht essen“, erklärte Plasinger.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="661313_image" /></div> <BR /><BR /> Was Letzteres betrifft, scheint der Kriechtier-Kenner, der das Naturparkhaus Trudner Horn leitet, Erfahrungen gesammelt zu haben. Mit der Formulierung „ich arbeite nicht, bin beim Land“, umriss Plasinger, was er beruflich so mache. Er nahm an den Protesten gegen die geplante Erweiterung des Bozner Flughafens teil – Lebensraum der Wechselkröte, die europaweit streng geschützt ist. „Als mir von höherer Stelle der subtile Wink erteilt wurde, mich als Landesangestellter in dieser Angelegenheit zurückzuhalten, verwies ich auf meine zahlreichen Kontakte zur albanischen Mafia“, sagte Plasinger, dabei grinste er von einem Ohr bis zum anderen. <BR /><BR />Am idealen Schlangenplatz ließ Ivan Plasinger auch den Inhalt der kleinen Umhängetasche frei: Eine Schlingnatter, die er in einem Garten gefangen hatte. „Die Besitzerin traute sich nicht mehr vor´s Haus“. Dabei strich ich dem etwa 60 Zentimeter langen Reptil mit zwei Fingern über den Rücken, die Haut fühlte sich ledrig an, meine Finger rochen dann nach vermoderndem Laub. Ihren Namen hat die Schlingnatter, deren Bestand auch in Südtirol als gefährdet gilt, weil sie Beutetiere, Eidechsen, junge Mäuse und Vögel vor dem Verschlucken erwürgt.<BR /><BR /><b>„Es geht um andere Kröten“</b><BR /><BR /> Die Schlange aus der Jutetasche, die sich gleich um einen dürren Ast ringelte und dort mit ihrem graubraunen, gefleckten Rücken perfekt getarnt war, blieb das einzige lebende Reptil, das ich in Castelfeder zu Gesicht bekam. <BR /><BR />Es war mir egal. So einen wie Ivan Plasinger, mit dem ich noch bis zum<BR />Dunkelwerden herum kletterte, trifft man auch nicht alle Tage. „Am Bozner Flughafen geht es um ganz andere Kröten“, meinte er zu den schlechten Aussichten für die Wechselkröte dort. Als mein Begleiter vom Werteverlust sprach und beklagte, dass alles dem Profit untergeordnet werde, nickte ich; etwas anderes fiel mir nicht ein.<BR /><BR /> Vielleicht hätte ich sagen sollen, dass ich mir um die Natur eigentlich keine großen Sorgen mache, sie braucht uns nicht. Hingegen brauche unsere ausrotterische Gattung Leute wie ihn - diesen kämpferischen, stets zu einem Witz aufgelegten Naturschützer. Seine angeblichen Mafiabekanntschaften - wer weiß, vielleicht könnten sie noch nützlich werden. <BR /><BR /><BR /><BR />* <b>Helmut Luther, Jahrgang 1961,hat in Innsbruck Philosophie und Geschichte studiert, unterrichtet seit über 30 Jahren an einer Oberschule in Meran. Zum Schreiben fand er über den Umweg der Landwirtschaft. Nachdem er mehrere Weinberge gepflanzt hatte, reifte in ihm die Erkenntnis, lieber zu beobachten, was dort kreucht und fleucht, als - damit die Rechnung aufgeht - mit viel Technik dagegen anzukämpfen. Im Oktober erscheint bei Athesia sein Buch Mary de Rachewiltz, meinem Vater Ezra Pound verpflichtet.</b><BR />