<b>Herr Joos, welche Erinnerung haben Sie an Ihren ersten Schultag?</b><BR />Reinhard Joos: Das war 1950 genau während des Umzugs von Altreschen nach Neureschen. Die alte Kirche war schon unter Wasser und die neue noch nicht fertig. Das Schulhaus aber schon und so hat die Schulmesse in einer Klasse stattgefunden. An mehr erinnere ich mich nicht. <BR /><BR /><b>Eine Anekdote aus Ihrer Volksschulzeit?</b><BR />Joos: Bei der Italienischlehrerin hatten alle Kinder einen italienischen Namen. Ich hieß Rinaldo, dann gab es den Giuseppe, den Luigi, Francesco und wie wir alle genannt worden sind. Für uns Kinder war das ganz normal, für die Eltern nicht.<BR /><BR /><b>Wie haben die Eltern reagiert?</b><BR />Joos: Die Eltern hat es gestört. Aber lassen sie mich etwas sehr Positives über diese Lehrerin erzählen. Ich hatte Italienisch-Nachprüfung in der zweiten oder dritten Volksschulklasse. Damals gab es auch in der Volksschule Nachprüfungen. Der Bauer, bei dem ich gehütet habe, hat mich nicht zur Nachprüfung gehen lassen und meinte: ,Walsch brauchsch it lernen‘. Was ist passiert? Mit Hilfe der Klassenlehrerin hat mich die Italienischlehrerin gesucht, sie kamen auf die Wiese und sie hat mich geprüft. Hätte sie das nicht getan, hätte ich ein ganzes Jahr wiederholen müssen.<BR /><BR /><b>Gab es damals noch als Bestrafung die Kopfnuss, auf einem Scheit knien oder am Haaransatz ziehen?</b><BR />Joos: Hinausknien neben dem Pult, in der „Ecke-Stiahn“, am Haaransatz ziehen war ganz normal. Die Volksschule habe ich trotzdem in guter Erinnerung. Ich war gut in Mathematik und Singen – weniger in den Sprachen.<BR /><BR /><b>Warum sind Sie Lehrer geworden?</b><BR />Joos: Bei der Berufsberatung hatten sie mir empfohlen, Geometer zu werden, eben etwas mit Mathematik. Aber eine Großtante – sie war selbst Lehrerin in Meran – sagte zu mir: ,Als Geometer braucht man Ellenbogen, um sich in der Berufswelt durchzusetzen.‘ Daher meinte sie, ich bräuchte einen Beruf, der sicher ist. Bei ihr habe ich dann während der LBA-Zeit gewohnt.<BR /><BR /><b>Ihre erste Stelle als Junglehrer hatten Sie in Hafling. Sie sagten, zu Schulbeginn falle Ihnen oft der erste Schultag als Lehrer ein. Warum?</b><BR />Joos: Ich habe am ersten Schultag nicht gewusst, wo in Hafling die Schule ist. So bin ich mit der Haflinger Bahn hinaufgefahren und einem Kind nach, das eine Schultasche trug (lacht). Und dann sind wir in der Kirche gelandet. Die beiden anderen Lehrpersonen waren schon oben. Ich war der Nachfolger von Franz Alber, dem späteren Meraner Bürgermeister. Er kam nach Obermais und ich nach Hafling, Das war 1965. Damals mussten die Klassenlehrer noch im Dorf wohnen. Wir hatten ein Zimmer unter dem Dach im Schulhaus – die beiden Lehrer oben und die Lehrerin im Parterre neben der Klasse. Im November war immer die Revision der Haflinger Bahn. Da bin ich samstags zu Fuß herunter nach Meran und am Sonntagabend wieder zu Fuß hinauf – vier Jahre lang, so lange war ich in Hafling.<BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1209420_image" /></div> <BR /><BR /><b>Und danach?</b><BR />Joos: Nachher habe ich ein Jahr in Untermais in einer Förderklasse unterrichtet. Das waren Kinder, die sich ein bisschen schwergetan haben. Man hat wohl gesehen, dass ich ein Geduldiger bin. Danach habe ich immer in der Schweitzer und dann in der Tappeiner unterrichtet. Dazwischen war ich sechs Jahre Krankenhauslehrer.<BR /><BR /><b>Krankenhauslehrer?</b><BR />Joos: Das war eine neue Stelle und da war eine Lehrerin draußen, die hat kein Blut sehen können, eine andere war guter Hoffnung. Sie brauchten einen fixen Lehrer und haben mich genommen. So kam es auch vor, dass ich auf die ,Poppelen‘ geschaut habe, damit die Mütter einen Kaffee trinken gehen konnten. <BR /><BR /><b>Was war Ihnen als Lehrer besonders wichtig?</b><BR />Joos: Ich mag einfach Kinder. Das ist für mich wichtig. Ein Lehrer muss Kinder mögen. Und ich habe mit den Kindern noch nicht fertig. Seit 30 Jahren zeige ich Erstkommunion-Kindern die Hostienbäckerei, zwischen 500 und 600 Kinder pro Jahr werden es wohl sein.<BR /><BR /><b>Eine Ihrer Grundschülerinnen erzählte mir, Sie hätten mit ihren Schülern alle Tiroler Heimatlieder gesungen...</b><BR />Joos: Singen ist wichtig und die Tiroler Lieder auch. Sie erinnern mich an meine Jugend, unsere Lehrerin hat viel gesungen. Singen tut gut. Und wie!<BR /><BR /><b>Haben Sie noch gestraft?</b><BR />Joos: Eine Strafe weiß ich noch gut und derjenige nimmt es mir heute noch übel. Alle Monate gingen die Kinder beichten. Wir brachten sie in die Kirche, das war damals ganz normal – und einer hat sich immer vorgedrängt. Er wollte immer und überall der Erste sein. Das hat mich geärgert. Da habe ich ihn am Arm gepackt und habe ihn als letzten in die Reihe in die Kirchenbank hineingehen lassen. Daraufhin ist er aufgestanden und einfach gegangen. Daheim hat er dann Ärger bekommen. Denn der Lehrer ist der Lehrer gewesen... <BR /><BR /><b>Wenn Sie heute Ihre jungen Kollegen betrachten. Beneiden oder bemitleiden Sie sie?</b><BR />Joos: Leid tun sie mir nicht. Ich staune, dass sie jammern. Ich würde heute noch gerne unterrichten, aber ohne Computer und ohne Handy.<BR /><BR /><b>Kein Handy?</b><BR />Joos: Ohne Handy, klar. Unterrichten ist für mich die Präsenz, da sein für die Kinder. Ich habe kein Handy. Das ist nichts für mich.<BR /><BR /><b>Die Lehrer verlangen mehr Geld und wollen Ausflüge und außerschulische Veranstaltungen bestreiken, finden Sie das in Ordnung? </b><BR />Joos: In den 48 Unterrichtsjahren habe ich nur einmal gefehlt – zehn Tage Hochzeitsurlaub. Sonst keinen einzigen Tag, ich war Gott sei Dank nie krank. Ich habe auch nie gestreikt. Diesen Kampf verstehe ich nicht. Es gibt wunderbare Lehrer, aber es gibt solche und solche. Ich hatte einzelne Kollegen, die wussten schon zu Schulbeginn, wie oft sie krank sein würden.