<BR /><BR />Um 7 Uhr morgens ist schon einiges los auf dem Parkplatz vor dem Wohn- und Pflegeheim in Bruneck. Ein Auto nach dem nächsten fährt vor der Küche vor, wo in einem Vorraum Rollwägen mit unterschiedlich vielen Boxen warten. Gerhard Elzenbaumer (64) ist schon lange auf den Beinen. Viel Schlaf braucht er nicht, sagt er. 4 bis 5 Stunden reichen ihm. Er studiert die Liste, die er beim Abholen des Wagens im Büro der Bezirksgemeinschaft ausgehändigt bekommen hat. <BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1083498_image" /></div> <BR />28 Mittagessen sind es diesmal. Sie wurden tags zuvor in der Küche des Seniorenheimes zubereitet und auf 5 Grad Celsius runtergekühlt. „Die Box mit dem Essen muss dann nur mehr auf eine eigene Elektroplatte gestellt werden“, erklärt Elzenbaumer. „Die Speisen sind so portioniert, dass alles in der Box, das warm werden muss, in 33 Minuten bereit zum Essen ist.“ Bei den meisten ist diesmal Gemüsesuppe, Kartoffelblattlan mit Sauerkraut und Obst unter dem Deckel. Andere haben als Hauptspeise den Rindsbraten mit Bohnen und Püree gewählt oder Spaghetti aglio olio. Je nach Einkommen und Vermögen kostet ein „Essen auf Rädern“ zwischen 4,20 und 13,10 Euro. Einen Teil der Kosten übernimmt die öffentliche Hand. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1083501_image" /></div> <BR />Nachdem die 28 Boxen im Wagen der Bezirksgemeinschaft verladen sind, macht sich Elzenbaumer auf den Weg. Seine Tour führt ihn nach Percha, Olang, Rasen und Antholz und die nimmt er gerne am frühen Vormittag in Angriff. „Dann haben alle gegen 9, halb 10 ihr Mittagessen und können essen, wann sie wollen“, sagt er. Das sei möglich, seitdem die Speisen gekühlt ausgeliefert und vor Ort erwärmt werden. „Früher waren wir mit dem Essen in Warmhalteboxen unterwegs wie der Pizzaexpress, und der letzte auf der Runde hat sein Essen trotzdem kalt bekommen“, sagt der Brunecker. <BR />Um 7.30 Uhr steuert er in Percha das erste Haus an. Er stellt die Box vor die Tür, wo bereits die vom Tag zuvor wartet. Aufladen, weiterfahren. Auch in Olang stellt er das Essen hier an der Haustür, dort auf der Veranda und beim dritten Haus auf dem Gartentisch ab. Das ist so ausgemacht. Zu sehen bekommt er dort so früh am Tag niemanden. „Manchen bringe ich schon seit Jahren das Essen und habe sie noch nie gesehen“, sagt Elzenbaumer. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1083504_image" /></div> <BR />In Rasen aber wird er schon erwartet. Anna Oberfrank (93) öffnet auf sein Läuten die Wohnungstür – und strahlt. Sie hat nicht nur auf ihr Mittagessen gewartet. „Für manche bin ich den ganzen Tag der einzige, der ins Haus kommt“, sagt Elzenbaumer. „Wie geht’s?“, erkundigt er sich, während er in der kleinen Küche das Essen aus der Box in die Pfannen und Töpfe verteilt, die auf dem Tisch stehen. Nicht alle Senioren wollen oder können mit der Elektroplatte und der Box umgehen, „ich wärme das Essen lieber auf dem Herd auf“, sagt Oberfrank. Meist esse sie zu Mittag ohnehin nur die Hauptspeise, „die Suppe hebe ich mir für abends auf“, sagt sie. Elzenbaumer fragt nach dem Blutdruck. Die 93-Jährige ist zufrieden. Sie habe seinen Rat befolgt und trinke immer mal wieder ein Glas Wein zum Essen, erzählt sie. „Wir feiern noch den 100er zusammen. Ich sehe schon die Torte vor mir“, sagt der Brunecker – und Anna Oberfrank lacht. Sie wohnt allein, aber Gerhard Elzenbaumer und seine Kollegen von „Essen auf Rädern“ sind nicht die einzigen, die nach ihr schauen. Auch eine Frau aus dem Dorf kommt immer wieder vorbei und hilft ihr. „Früher habe ich ihr auf die Kinder geschaut, jetzt schaut sie auf mich“, sagt Oberfrank. Elzenbaumer legt ihr die Rechnung für die Mittagessen des letzten Monats ans Herz, noch ein paar Späßchen, dann muss er weiter. <h3> Mit dem Essen auch Hilfe gebracht</h3>Er ist schon bei der Haustür hinaus, als er innehält. Oberfranks Nachbarin hat er die Essensbox vor die Tür gestellt, aber die leere Box von gestern vergessen. Er kehrt um, greift danach und merkt: Die Box ist nicht leer. Er klingelt. Und wartet. Schritte, dann geht die Tür auf und eine ältere Frau erscheint. Elzenbaumer ist erleichtert. Sie hatte ihr Essen vor der Tür ganz vergessen. „Wenn man klingelt, weiß man nie, was einen erwartet“, sagt Elzenbaumer. Es habe mitunter schon brenzlige Situationen gegeben. „Wir bringen nicht nur das Essen, sondern leisten oft auch wichtige erste Hilfe oder rufen danach“, sagt er. <BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1083507_image" /></div> <BR />Seit 5 Jahren fährt er „Essen auf Rädern“ aus. Ein Jahr zuvor ist er nach 43 Jahren in einem Großbetrieb in Bruneck in Pension gegangen. Er sei angesprochen worden, ob das nicht etwas für ihn wäre, und er hat zugesagt. Einen „dankbaren Job“ nennt er seinen freiwilligen Einsatz, den er jede fünfte Woche ausübt. „Wir sind zu fünft in der Runde B, also kommt jeder jede fünfte Woche dran“, erklärt Elzenbaumer. Insgesamt fahren rund 140 Fahrer für die Bezirksgemeinschaft Pustertal Essen aus. Von Vintl bis Sexten und von Prettau bis Corvara. Gut 200 Essen sind es im Durchschnitt jeden Tag, fast 52.000 in einem Jahr. Etwa 360 Kunden werden im Jahr beliefert, von denen einige jeden Tag, andere nur an Einzeltagen ein Essen bekommen. <BR /><BR />„Ich habe so viel von der Gesellschaft bekommen und bekomme es weiterhin, also ist es auch an der Zeit, etwas zurückzugeben“, betont Elzenbaumer. Freilich, eine soziale Ader brauche es schon, „und ein bisschen ein Helfersyndrom habe ich auch“, sagt er und lacht. Auch sei er einfach gerne unter Leuten. Deshalb ist er auch freiwilliger Helfer bei seinem Heimat-Hockeyclub, dem HCP, und sitzt seit 3 Amtsperioden im Brunecker Gemeinderat. Ansonsten ist der Vater zweier erwachsener Kinder viel am Berg und mit dem Rad unterwegs, und hat als Chef der Fotogruppe von Gais immer ein Auge für die Schönheit des Landes. <BR /><BR /><embed id="dtext86-66914466_quote" /><BR /><BR />Dass in diesem Land aber bei Weitem nicht alles glänzt, das erlebt er auf seinen Essens-Touren. „Viele Menschen wohnen in wirklich einfachen Verhältnissen“, erzählt er. Dieses Südtirol sei längst nicht so reich und wohlhabend, wie es oft dargestellt werde. Das mache nachdenklich. Einmal hinter die Haustüren zu blicken, das legt er jedem politischen Entscheidungsträger ans Herz. <BR />Weiter geht es auf seiner morgendlichen Tour. Er wird schon erwartet. Von Dorothea Rechenmacher. Auch in ihrer Küche schöpft er das Essen aus der Box in Töpfe und Pfannen, wechselt ein paar Worte und weiß schon, was dann kommt. Die Seniorin faltet die Hände zum Gebet, „damit Sie wieder gut heimkommen“, sagt sie und bekreuzigt ihn. Mehrfach bedankt sie sich für das Essen. „Ein ehrlicheres Vergelt’s Gott gibt es nicht“, sagt Elzenbaumer, während er ins Auto steigt und ihm Rechenmacher am Gartenzaun nachwinkt. Genau das mache diesen Dienst auch so wertvoll für ihn selbst.<BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1083510_image" /></div> <BR />67 Kilometer hat Elzenbaumer an diesem Tag zurückgelegt, wenn er den Wagen wieder in Bruneck abgibt. Mitunter sind es auch deutlich mehr, denn die Route ändert sich jeden Tag. Manche Häuser steuert er jeden Tag an, andere nur ein Mal pro Woche, manchen bringt er am Freitag auch das Essen fürs Wochenende, andere werden auch da beliefert. Die Fahrten sind nicht ohne. Meistens geht es nämlich zu entlegenen Häusern und Dörfern hinauf auf den Berg. „Das ist gerade im Winter nicht ungefährlich“, sagt der Brunecker. Er riskiere aber nichts, ändere die Runde, wenn irgendwo der Schneepflug noch nicht war oder steige aus und gehe zu Fuß. „In Geiselsberg und in Antholz bin ich auch schon 10 Minuten gegangen, um das Essen sicher ins Haus zu bringen“, erzählt er und fährt weiter. <BR /><BR />Bei Katharina Oberegger (93) in Antholz Mittertal macht er als nächstes Halt. Auch hier hält er sich gerne etwas länger auf. „Ich bin beileibe kein Psychologe und es ist auch nicht die Neugierde, die mich nachfragen lässt, aber manche erzählen einfach gerne und mir oft lieber als vielleicht einem Verwandten, was sie so bewegt“, sagt er. Und diese Zeit „zum Ratschen“, die nimmt er sich gern. Bei Oberegger geht es heute um das sparsame Leben mit der Mindestrente, den frühen Wintereinbruch und die ausgiebige Lektüre der „Dolomiten“, die vor der Seniorin am Küchentisch liegt. <BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1083513_image" /></div> <BR />Kurz nach 10 Uhr ist Elzenbaumer wieder in Bruneck. Die Boxen abladen, Auto und Unterlagen im Büro abgeben, dann ist sein freiwilliger Einsatz für heute beendet. Als Dank gibt es ein Mittagessen im Seniorenwohnheim. Dort treffen sich die Fahrer, mitunter kommen sie auch zum Grillabend, zu einem Ausflug oder zur Weihnachtsfeier zusammen. „Das sind für die Gemeinschaft der Fahrer schöne Initiativen“, sagt Elzenbaumer. Mehr braucht es auch gar nicht. Denn den größten und schönsten Dank bekommen die Fahrer anderswo – dort, wo auf sie und ihr „Essen auf Rädern“ jeden Tag gewartet wird.