Der bekannte Mediziner Dr. Christian Thuile beschäftigt sich seit 20 Jahren mit dem Phänomen, das vor allem Frauen betrifft. Der Arzt sieht auch einen Zusammenhang mit Stress und hektischem Lebensstil. <BR /><BR />Judith Mayr aus Eppan leidet seit 5 Jahren an Histaminintoleranz. Die Liste der Lebensmittel, die sie verträgt, ohne massive Beschwerden zu haben, ist kurz. Hier schildert sie den Verlauf der Intoleranz, die Schwierigkeiten bei der Versorgung mit Nährstoffen und den Spießrutenlauf beim Einkaufen und Auswärtsessen. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="938995_image" /></div> <BR /><BR /><b>Wie hat sich bei Ihnen die Histaminintoleranz bemerkbar gemacht?</b><BR />Judith Mayr: Es begann mit einem abends auftretenden Juckreiz. Anfangs versuchte ich noch, mir durch eine heiße Dusche Abhilfe zu schaffen. Doch schließlich wurde es so unangenehm, dass ich Rat bei meinem Hausarzt suchte. Er verschrieb mir ein Antihistaminikum. Dann traten die Juckattacken auch tagsüber auf, durch mein Kratzen waren meine Oberschenkel schon übersät mit blauen Flecken. Bei einem neuen Hausarzt unterzog ich mich einigen Blutproben und Tests – ohne positives Ergebnis: Es war keine Allergie, es gab kein Anzeichen einer Erkrankung. Trotzdem traten die Symptome täglich auf, zum Juckreiz kamen nun häufige Schlafstörungen und Kopfschmerzen. Schließlich wurde ich im Internet fündig, die Symptomatik wies auf Histaminintoleranz hin.<BR /><BR /><b>Und dann?</b><BR />Mayr: Suchte ich weiter und fand heraus, dass nur eine strenge Ausschlussdiät Abhilfe schaffen konnte. Durch diese musste ich nun erst austesten, welche Lebensmittel ich nicht vertrage und welche ich essen kann. <BR /><BR /><b>Welche Lebensmittel müssen Sie meiden?</b><BR />Mayr: Zum ersten die typischen histaminhaltigen, wie Meeresfrüchte, Parmesankäse oder Hülsenfrüchte, Wurst, Speck, Salami, Thunfisch und andere Konserven, Rotwein, Früchte wie Kiwi, Zitronen, Orangen, Himbeeren, alle Arten von Nüssen, alle gelagerten Obstsorten, Hefe und Sauerteig. Hinzu kommen noch die Histamin-Freimacher wie Bananen, Tomaten, Erdbeeren, Schokolade, Alkohol und vieles mehr, ebenso die Hemmer des Enzyms Diaminoxidase, das Histamin im Körper abbaut. Bis es zu all diesen Einsichten kam, vergingen etwa 5 Jahre, in denen ich von einer Arztpraxis in die andere lief – immer in der Hoffnung auf eine eindeutige Diagnose. Doch diese blieb bis heute unerfüllt. Ich leide an Schlafstörungen und häufig so starken Kopfschmerzen, dass ich nachts wach liege. Meine Krankschreibungen wurden aber mit psychischen Problemen begründet. <BR /><BR /><b>Wie beugen Sie – da Sie ja auf so vieles verzichten müssen – Mangelerscheinungen vor?</b><BR />Mayr: Die Eiweißversorgung ist schwierig, ohne Milchprodukte außer Milch, Joghurt und Mozzarella, ohne Hülsenfrüchte, Eier, Getreide außer Dinkel, ohne Fleisch und Wurstwaren, ohne Fisch. Weißes Fleisch und Fisch, fangfrisch oder tiefgefroren, kann ich essen, wenn ich es in gefrorenem Zustand in die Pfanne gebe und brate. Hanfsamen helfen auch, den Eiweißbedarf zu decken. Obst ist größtenteils nicht verträglich, außer Heidelbeeren, Zuckermelone und Mango habe ich keine Früchte auf meiner „guten“ Liste. Beim Gemüse ist es ähnlich, da gehen nur Karotten, Zucchini, grüne Bohnen, rote Bete, Salatgurke, Kohlrabi und Blumenkohl. <BR /><BR /><embed id="dtext86-61245365_quote" /><BR /><BR /><b>Und was tun sie, wenn Sie zum Essen ausgehen oder eingeladen sind?</b><BR />Mayr: Bei unserer guten Südtiroler und italienischen Küche, sprich Schlutzern oder Carbonara, ist man mit seinem Latein sehr bald am Ende. Es ist für jemanden, der sich mit Histaminintoleranz nicht sehr gut auskennt, schwierig zu verstehen, was er für mich auf den Tisch bringen soll – aber nicht unmöglich, das hat ein Besuch bei einer guten Freundin gezeigt, die es trotzdem geschafft hat. Im Allgemeinen ist die histaminarme Küche aber fad, eintönig und, was Nährstoffe betrifft, nicht vollwertig. Es gibt auch keinen Ersatz für histaminhaltige Lebensmittel. Wie ersetze ich Erdbeeren oder Äpfel, Käse oder Brot? Essen im Restaurant ist praktisch unmöglich. Immer und überall ist etwas drin, das nicht verträglich ist. Problematisch ist auch, dass jeder Betroffene anders reagiert. <BR /><BR /><b>Was wünschen Sie sich?</b><BR />Mayr: Dass auch nicht Betroffene über Histaminintoleranz Bescheid wissen, dass Nahrungsmittel wie etwa Kekse, Brot, Pizza, Cracker oder andere Knabbereien in histmaminarmer Form angeboten werden. Dass sich Restaurants auch mit Histaminintoleranz beschäftigen und dass Ärzte sich die Zeit nehmen, sich über Histaminintoleranz informieren und die Diagnose stellen können.<BR /><BR /><BR />HINTERGRUND<BR /><BR /> Eine Marende mit Speck und Käse, Rotwein, Spaghetti mit Tomatensugo, Pizza, eine Schale mit Erdbeeren und Himbeeren: Was für die meisten Menschen zur normalen Ernährung zählt, löst bei Patienten mit Histaminintoleranz durchaus heftige pseudoallergische Reaktionen aus. Rund 3 Prozent der Bevölkerung sind betroffen, die Diagnose ist nicht immer leicht. <BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="938998_image" /></div> <BR /><BR />„Die Histaminintoleranz ist das Chamäleon unter den Intoleranzen, weil sie in so vielen unterschiedlichen Ausprägungen auftritt“, sagt Dr. Christian Thuile. Mögliche Reaktionen auf histaminhaltige Lebensmittel sind ein Blähbauch, Magenkrämpfe, Durchfall, Migräne, Nesselsucht, starker Juckreiz, Schweißausbrüche, rinnende Nase, Übelkeit, Gelenkschmerzen, Schlafstörungen, depressive Verstimmungen und vieles mehr. <BR /><BR />Histamin ist ein Eiweißstoff, der in vielen Lebensmitteln vorkommt, aber auch vom Körper selbst produziert wird. Normalerweise baut das Enzym Diaminoxidase (DAO), das hauptsächlich im Darm produziert wird, Histamin im Körper ab. Ein Mangel an DAO führt allerdings dazu, dass sich schon geringe Mengen an Histamin durch allergieartige Reaktionen bemerkbar machen können, wenn der „Höchstpegel“, den der Körper verträgt, erreicht ist. <h3> „Wie bei einer Regentonne“</h3>„Das tückische an dem Phänomen ist, dass sich das Histamin summiert. Ich vergleiche das immer mit einer Regentonne, das Wasser sammelt sich, und irgendwann geht die Tonne über“, sagt Dr. Thuile, der sich seit 20 Jahren mit der Materie beschäftigt. Somit könne die Reaktion auch bis zu 72 Stunden nach dem Essen auftreten. <BR /><BR />„Histaminintoleranz ist nur in etwa ein bis 2 Prozent der Fälle angeboren, die restlichen Betroffenen haben die Intoleranz im Laufe des Lebens erworben, Frauen sind vermehrt betroffen,“ weiß Dr. Thuile. Da die Symptome vielfältig und unspezifisch sind, lasse sich eine Histaminintoleranz nicht immer schnell eingrenzen. Hinzu komme, dass das Problem in Südtirol vielfach noch zu wenig bekannt bzw. unterschätzt werde, so Dr. Thuile. <BR /><BR />Deshalb geht er davon aus, dass die Dunkelziffer der Betroffenen um einiges höher sein dürfte als 3 Prozent der Bevölkerung. Für die Patienten ist es oft ein langer Weg von Arzt zu Arzt, bis sie endlich erfahren, woran sie leiden – und nicht selten stolpern sie schließlich allein im Internet über die Antwort. <BR /><BR /><embed id="dtext86-61245691_quote" /><BR /><BR />„Es ist nichts dagegen einzuwenden, sich übers Internet zu informieren: Die Diagnose sollte aber ein Arzt stellen – das geschieht mittels Abklärung der Symptome mit dem Patienten, Bluttest und zweiwöchiger Ausschlussdiät“, sagt Dr. Thuile. <BR /><BR />Mit der Diagnose allein sei es dann aber nicht getan. Wer an Histaminintoleranz leidet, muss nämlich – zumindest für eine gewisse Zeit, in vielen Fällen sein Leben lang – eine Reihe von Lebensmitteln meiden. „In leichteren und mittelschweren Fällen können in Absprache und unter Begleitung des behandelnden Arztes einige dieser Lebensmittel nach und nach wieder in die Ernährung aufgenommen werden. Das muss individuell und langsam ausgetestet werden“, so Dr. Thuile. <BR /><BR />Einige Lebensmittel und Kombinationen verursachen so gut wie allen Personen mit Histamintoleranz Beschwerden: Dazu zählt Rotwein mit Hartkäse, Produkte aus Tomaten, Nüsse und meist – da das Phänomen so individuell ist – gibt bei jedem Betroffenen mindestens ein anderes Lebensmittel, auf das er unbedingt verzichten muss. „Histaminintoleranz beeinträchtigt die Lebensqualität sehr stark“, sagt Dr. Thuile – auch, weil nicht nur das Essen eine Rolle spielt. <BR /><BR />Bestimmte Medikamente – wie beispielsweise einige Antibiotika – wirken sich ebenfalls auf den Histaminhaushalt im Körper aus, sie führen zur Ausschüttung von Histamin oder hemmen die Diaminoxidase. Und: Der Histaminspiegel steigt auch bei Stress an. „Das liegt daran, dass das Histamin abbauende Enzym sehr stresssensibel ist. Keine Intoleranz ist so stark mit der Psyche gekoppelt. Das zeigt sich bei jenen Patienten, die im Urlaub, wenn sie entspannt sind, plötzlich vieles essen können, worauf sie im Alltag heftig reagieren würden.“<BR />