Deutschland gilt als FKK-Geburtsland. Doch trotz der vielen gemischten Saunen gibt es auch ein Unwohlsein am Nacktsein. Und Oben-ohne-Baden für Frauen polarisiert plötzlich.<BR /><BR />Zum Verständnis geht der Blick nach Göttingen: Dort ist seit Mai, zumindest am Wochenende, auch Frauen das Baden „oben ohne“ im Schwimmbad erlaubt. Spätestens seitdem eine solche Regelung auch in anderen Städten debattiert wird, tobt es im Internet. Vom üblichen „Haben wir sonst keine Probleme?“ bis hin zum nostalgischen „Wie schön waren die 70er und 80er, da hat man's einfach gemacht, auch für die nahtlose Bräune“ ist alles dabei – inklusive der Sorge um pubertierende oder überforderte Hetero-Jungs, die mit ihren Hormonen und Körperreaktionen klarkommen müssten.<BR /><BR />Eine repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur förderte jetzt zutage, dass mehr als ein Drittel der Erwachsenen in Deutschland den Ansatz gut findet, Frauen das Oberteiltragen nicht unbedingt vorzuschreiben.<BR />37 Prozent finden es demnach positiv, wenn etwa im Freibad der klare Dresscode – Frauen müssen Bikini oder Badeanzug tragen, Höschen reicht nicht – aufgehoben wird. Jedoch finden bundesweit 28 Prozent das Oben-ohne-Baden von Frauen „nicht gut“.<h3> Vor allem Männer finden es gut</h3>Für viele wohl keine Überraschung: In erster Linie finden Männer die möglicherweise häufigere Aussicht auf entblößte Busen gut. Auf die Frage „Erste Bäder erlauben nackte weibliche Oberkörper zu bestimmten Zeiten – wie finden Sie das?“ antworteten 46 Prozent der männlichen Befragten mit „sehr gut“ oder „eher gut“, bei den Frauen waren es dagegen nur 28 Prozent.<BR /><BR />„Ich bin natürlich dafür, Frauen die Freiheit über ihren Körper zuzusprechen“, sagt die Psychologin Ada Borkenhagen, die derzeit an einem Buch mit dem Titel „Bin ich schön genug? Schönheitswahn und Body Modification“ arbeitet. Doch sehe sie nackte Brüste in öffentlichen Bädern auch kritisch, sagt die Professorin von der Universitätsklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie an der Uni Magdeburg. „In unserer Gesellschaft ist die weibliche Brust nach wie vor ein anderes sexuelles Zeichen als die männliche Brust. Das kann man nicht rasch verändern, wenn einfach so getan wird, dass das doch dasselbe sei.“<BR /><BR /><embed id="dtext86-54938291_quote" /><BR /><BR />Forderungen nach einer „Nippelfreiheit für alle“ passten zum Trend, alle Geschlechtsunterschiede einebnen zu wollen. „Doch beim Oben-ohne-Baden könnten vor allem junge Mädchen unter Druck geraten, ihre Brust zeigen zu sollen, auch wenn sie das vielleicht eigentlich doch nicht wollen.“<BR /><BR />Psychologin Borkenhagen findet den alten Nacktbadeansatz sinnvoller. „Frauen plötzlich nackte Brüste im Schwimmbad zu erlauben, ist etwas Anderes, als wenn in einem FKK-Bereich ein grundsätzliches Kleidungsverbot herrscht und wirklich alle gleich behandelt werden. Am FKK-Strand oder in den gemischten Saunen Deutschlands gibt es vor lauter Nacktheit sowieso meist eine Kultur des Drüberhinwegschauens. Da existiert ein echter Gleichheitsgrundsatz, der die verschiedenen Aufmerksamkeitszeichen der Geschlechter offenlegt – bei Frauen eher obenrum, bei Männern untenrum.“<BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="783371_image" /></div> <BR /><BR />Der Medizinhistoriker Heiko Stoff von der Medizinischen Hochschule Hannover hält die gesamte Debatte übers Oben-ohne-Baden für Frauen trotz allem für ein Nischenthema. Er sieht das Internet vielmehr als Antreiber einer gewissen neuen Art von Scham. In den Selbstdarstellungen etwa bei Instagram dominiere heute stets eine Idealisierung des Körpers mit straffer Haut. „Die Realität ihres unbearbeiteten Körpers macht dann vielen Angst, und sie zeigen sich nicht so gerne.“<BR /><BR />Im Freibad oder am Strand empfänden viele einen Druck, sich dem angeblichen Ideal anzunähern. „Schnell fühlt man sich als Versagerin oder Versager, der oder dem es nicht gelungen ist, den idealen Körper zu formen.“ Das schaffe Stress und nehme die Freude an der Nacktheit. Es gebe dann eine Konkurrenz, die ansonsten die Kleidung überdecke. In der Tat: Die Yougov-Umfrage für die Deutsche Presse-Agentur zeigte denn auch, dass lediglich 18 Prozent der Erwachsenen gern FKK-Orte besuchen, also zum Beispiel Saunen, Thermen oder Strände, an denen alle ganz nackt sein müssen. <BR /><BR />Historisch ist Deutschland eine Wiege der Nacktkultur. Erste FKK-Vereine wurden Ende des 19. Jahrhunderts im Deutschen Reich gegründet. Sexualität oder ein sexualisiertes Anschauen sollte bei der Freikörperkultur ausdrücklich keine Rolle spielen, höchstens in dem eugenischen Sinne, dass sich nur schöne gesunde Körper fortpflanzen sollten, erläutert der Historiker Heiko Stoff von der Medizinischen Hochschule Hannover. <BR /><BR />In den 1920er Jahren habe es neben einer Art völkischem Naturismus auch einen eher sozialistischen Nudismus gegeben. „Man wollte die alte Moral des Kaiserreichs ablegen. Es ging nicht nur um die Befreiung des geknechteten Arbeiterkörpers, sondern auch um Lebensfreude.“ Inszeniert wurden die Körper – zum Beispiel auch in Zeitschriften – oft tollend am Strand statt statuenhaft. Selbst in der Zeit des Nationalsozialismus waren viele weniger prüde als man denken könnte. Ein Bestseller etwa war das FKK-Buch „Mensch und Sonne“ von Hans Surén, in dem es von Nackten nur so wimmelt, die allerdings die Überlegenheit der sogenannten Arierkörpers beweisen sollten. <BR /><BR />Nach 1945 bekamen FKK-Fans vielerorts in Ost und West eigene Badestrände. Ab den 60er Jahren und in den 70ern und 80ern war Nacktbaden ein Trend – bei Frauen war mindestens „oben ohne“ angesagt. In den letzten Jahrzehnten nahm die Popularität von Nacktbaden merklich ab.<BR />