Das zwischenmenschliche Zusammenleben ist so von Gerüchen definiert, dass diese auf keinen Fall ignoriert oder totgeschwiegen werden sollten, sagt der Wissenschaftler.<BR /><BR /><BR /><BR />Immer der Nase nach – nach diesem Motto lebt der Südtiroler Neurowissenschaftler und Mediziner sowie international renommierte Geruchsforscher Johannes Frasnelli. Denn seine These lautet: Von allen Sinnen, die der Mensch besitzt, ist der Geruchssinn jener, der am meisten unterschätzt wird. Diese These erläutert er in seinem Buch „Wir riechen besser, als wir denken“, welches in Kürze in einer Neuauflage erscheinen wird. <BR /><BR />Johannes Frasnelli wurde 1974 in Südtirol geboren und wuchs in Algund auf. Sein Studium absolvierte er in Wien. „Meine Doktorarbeit handelte vom „Riechen und Schmecken bei chronischer Niereninsuffizienz„“, erklärt er. „Eigentlich wollte ich nach dem Studium in die HNO (Hals-Nasen-Ohren-Abteilung), doch ich habe damals gemerkt, dass mich die Klinik nicht so interessiert.“ <BR /><BR /><b>Die Welt der Gewürze</b><BR /><BR />Das Thema, das den Studenten hingegen faszinierte, war die Erforschung des Geruchssinns. „Schon damals haben wir auf dem Naschmarkt in Wien immer wieder neue Gewürze entdeckt“, erinnert er sich. Und so kam es, dass er sich der „Nase verschrieb“ und sein Leben von da an dem Studium des menschlichen Geruchssinns widmete. <BR /><BR />Diese Reise führte ihn von Wien nach Dresden, für einen fünfjährigen Forschungsaufenthalt. Von dort ging es über den großen Teich nach Philadelphia und Montréal. „Eigentlich sollte ich nur für eineinhalb Jahren in Kanada bleiben“, erklärt der Wissenschaftler. Doch das Leben meinte es anders mit ihm. Seit 2014 arbeitet er als Professor für Anatomie an der Universität Quèbec Trois-Rivières und hat sich dort der Forschung des Geruchssinns und dessen Wirkung auf das menschliche Gehirn verschieben. <BR /><BR /><embed id="dtext86-51579285_quote" /><BR /><BR />„Wir Menschen sind visuelle Lebewesen“, weiß er. „Der Teil im Gehirn, der für das Sehen zuständig ist, ist dementsprechend auch größer als jener, der fürs Riechen zuständig ist.“ Dennoch sollte dieser letztere auf keinen Fall unterschätzt werden. „Unser gesamter Tag ist von Gerüchen begleitet. In der Früh stehen wir auf und riechen bereits den Kaffee, oder die Person neben uns. Es gibt parfümiertes Toilettenpapier und Raumerfrischer.“ <BR /><BR />Auch Genussmittel sind alle mit dem Geruchssinn verbunden. „Wenn wir uns belohnen wollen, gehen wir ins Gasthaus und spendieren uns ein gutes Glas Wein.“ Der Geruchssinn ist für den Genuss zuständig, denn ohne zu riechen, würde kein Essen und kein Trinken so schmecken, wie es eben schmeckt. „Mit unserer Zunge können wir nur folgenden Geschmäcker wahrnehmen: süß, sauer, salzig, bitter und herzhaft“, weiß der Experte. „Alle anderen Feinheiten und Noten des Essens nehmen wir über unseren Geruchssinn wahr.“ <BR /><BR /><b>Der Proust-Effekt</b><BR /><BR />Der Geruchssinn kann aber noch viel mehr. „Manchmal passiert es uns, dass wir einen Geruch riechen und uns plötzlich lebhaft an eine Person, einen vergangenen Moment oder einen Ort erinnern. Plötzlich fühlt es sich so an, als stünden wir direkt bei dieser Person oder wieder mittendrin in dem Ereignis“, so Frasnelli. „Dieses Phänomen wird der Proust-Effekt genannt – nach dem französischen Schriftsteller Marcel Proust. In seinem Roman „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ beschrieb dieser wie sein Protagonist von Kindheitserinnerungen übermannt wird, nachdem er ein bestimmtes Gebäckstück probiert. <BR /><BR />Dass es diesen Effekt wirklich gibt, hat Johannes Frasnelli am eigenen Leib erlebt. „Wenn ich heute den Geruch von verbrannten Autoreifen rieche, werde ich sofort in meine Kindheit zurückversetzt. An den Moment, an dem sich in der Nähe meines Zuhauses ein Unfall ereignet hat.“ Und nicht nur er kennt diese starken Momente der Erinnerung. „Natürlich sind sie für jeden anders.“ <BR /><BR />Der Grund, warum der Mensch mithilfe eines einzigen Duftes auf eine Zeitreise gehen kann – dass es dieses Phänomen nicht beim Sehsinn gibt - liegt an der Art und Weise, wie Geruchsinformationen im Gehirn verarbeitet werden. „Die Verarbeitung der Riechreize passiert in einem Teil des Gehirns, der nicht nur für das Riechen zuständig ist. Das sogenannte Limbische System ist nämlich auch für Erinnerungen, fürs Lernen oder für die Belohnung zuständig“, erklärt der Südtiroler. <BR /><BR /><b>Mehr darüber reden</b><BR /><BR />„Weil wir Menschen so sehorientiert sind, haben wir nur wenige Wörter, mit denen wir unsere Geruchswahrnehmung beschreiben können“, weiß Frasnelli. „Meist müssen wir uns auf Vergleiche stützen. Zum Beispiel sagen wir, dass etwas harzig schmeckt. Jeder kann sich vorstellen, wie Harz schmeckt und versteht die Andeutung. Aber es gibt kaum Worte, die einen Geruch direkt beschreiben. Ganz anders verhält es sich bei unserem Vokabular für visuelle Beschreibungen. Wir haben beispielsweise ganz konkrete Worte für Farben: Blau, Grün, Rot.“ <BR /><BR />Oft sei das Thema des Geruchs auch ein Tabu-Thema, weiß Frasnelli. „Wenn unser Kollege etwas in den Zähnen hat, weisen wir ihn darauf hin. Doch wenn er ein zu starkes Parfum trägt oder nach Schweiß riecht, vermeiden wir es, dies anzusprechen. Der Geruch eines Menschen wird immer als etwas sehr Privates gewertet.“ <BR /><BR />Das Ziel des Wissenschaftlers ist es, dass das Thema des Geruchs mehr angesprochen wird. Sein Buch „Wir riechen besser, als wir denken“, räumt daher mit verschiedenen Tabus auf. „Es erscheint auch bald eine Neuauflage des Buches, in dem ich auch einige Erkenntnisse anführe, die sich in den vergangenen Jahren durch Covid-19 ergeben haben.“<BR /><BR /><b>Corona – der Aufschwung für die Nase</b><BR /><BR />Seitdem das Covid-19-Virus die Welt in Atem hält, hat sich ein großes Spotlight auf die Geruchsforschung gerichtet. „Einige Monate nach dem Ausbruch der Pandemie hat man gemerkt, dass der Geruchsverlust eine der Nebenwirkungen der Krankheit ist.“ Wie häufig dieser Geruchsverlust vorgekommen ist, hat Johannes Frasnelli gemeinsam mit anderen, internationalen Spezialisten erforscht. <BR /><BR />„Circa 60 Prozent der Infizierten haben eine akute Riechstörung. Das ist nicht so abnormal, denn auch bei einem ganz normalen Schnupfen riecht man nichts mehr“, so Johannes Frasnelli. Beim Schnupfen ist die Riechstörung allerdings durch die verstopfte Nase ausgelöst; bei Corona ist die Nasenatmung in der Regel unbehindert. „Bei den meisten Menschen kam die Fähigkeit des Riechens nach wenigen Wochen wieder zurück – wie auch bei einem normalen Schnupfen. Allerdings haben wir festgestellt, dass bei 5 bis 10 Prozent der Patienten die Störung bestehen bleibt und es langfristig eine veränderte Geruchswahrnehmung gibt.“ <BR /><BR />Die Arten dieser Geruchswahrnehmung seien dabei sehr unterschiedlich, erklärt der Wissenschaftler. „Wir unterscheiden zwischen Anosmie, bei der der Geruchssinn vollkommen verloren geht; der Hyposmie, bei der ein unvollständiger Verlust des Geruchssinns vorkommt. Zudem gibt es auch die Parosmie, bei der die Leute zwar etwas riechen, es für sie aber anders riecht, als es sollte.“ <BR /><BR />Es liegt mehr Augenmerk auf den Geruchssinn und auch auf denen Wichtigkeit in unserem alltäglichen Leben. Für Johannes Frasnelli ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. „Wir müssen aber noch mehr lernen, darüber zu reden. Wir müssen lernen, uns darüber ausdrücken zu können.“ Denn das zwischenmenschliche Zusammenleben ist so von Gerüchen definiert, dass diese auf keinen Fall ignoriert oder totgeschwiegen werden sollten. <BR />