<i>Von Katrin Niedermair</i><BR /><BR />Markus Telser ist ein Mann, der in seinem Leben viele Rückschläge verkraften musste; mehr, als sich manch einer in seinen schlimmsten Albträumen ausmalen kann. Von Geburt an leidet der Vinschger an Hämophilie, ist Bluter. Dagegen wird dem 1966-Geborenen Blutplasma gespritzt. Jahrelang muss er dafür als Kind nach Innsbruck, später bekommt er die Therapie in Südtirol. Was damals niemand ahnt: Mit den Blutplättchen sickert noch etwas Anderes in die Venen des jungen Patienten – 2 Viren, jedes für sich genommen tödlich. Telser erwischen beide: HIV und Hepatitis C.<BR /><BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="589703_image" /></div> <BR /><BR />Lange richten die Viren unentdeckt Schaden in seinem Körper an. Bis die Diagnose gestellt wird, vergehen Jahre, wertvolle Zeit. 26 ist er, als er 1992 das Ergebnis seines HIV-Tests bekommt: positiv. „Ich muss ehrlich sagen: Wahrscheinlich hatte ich es einfach nicht wissen wollen. Bereits seit den 80er Jahren hieß es ja immer, Bluter gehörten zur Risikogruppe.“<BR /><BR />Für Telser ist die Diagnose wie ein Todesurteil. „Da wollte ich erst noch alles ,derreißen‘: Wir sind nach Teneriffa gefahren. Ich dachte, das wäre meine letzte Reise, alles wäre aus. Ich musste meinen Beruf aufgeben, 3-mal in der Woche nach Bozen ins Krankenhaus für Infusionen… In den ersten 2 oder 3 Jahren nach der Diagnose war mir dann alles egal.“ Das gesellschaftliche Stigma, Depressionen, Alkoholprobleme und private: Seine erste Ehe geht in die Brüche. Und dann der Tiefpunkt: „Durch eine Herpesinfektion habe ich innerhalb kürzester Zeit mein Augenlicht verloren. Mein Immunsystem war damals so schwach, dass es dem Virus nichts entgegensetzen konnte.“<BR /><BR /><BR /><embed id="dtext86-46839440_quote" /><BR /><BR /><BR />Niederschmetternd sind die vielen schlechten Nachrichten auch für seine Familie: „Ich war immer schon das Sorgenkind meiner Eltern. Mein Vater war Tischler, aber er ist trotzdem 3-mal in der Woche mit mir nach Bozen zur Therapie gefahren, damit ich nicht im Krankenhaus bleiben muss“, erzählt Telser. Gerade die Erblindung sei für die Eltern „sehr, sehr gravierend gewesen und ist es auch heute noch.“<BR /><BR />Doch, wenn es nicht mehr schlimmer kommen kann – kommt es auch nicht mehr schlimmer. Mitte der 90er Jahre gibt es neue Medikamente. Markus Telser testet sie als einer der ersten. Sie schlagen an. Es geht ihm besser. „Das war ein langer Kampf. Die Ärzte sagen, ich bin ein medizinisches Wunder.“ <BR /><BR /><b>Gute Medikamente, kaum Nebenwirkungen</b><BR /><BR />Die Therapie von HIV und AIDS hat seither große Fortschritte gemacht, erklärt die Primaria der Abteilung für Infektionskrankheiten am Krankenhaus von Bozen, Dr. Elke Maria Erne. „Früher musste man 3 verschiedene antivirale Medikamente einnehmen. Heute sind diese Wirkstoffe in einer Tablette zusammengefasst. Das blockiert die Vermehrung des Virus, bis es im Blut nicht mehr nachweisbar ist – und der Patient nicht mehr ansteckend.“<BR /><BR /><BR /><embed id="dtext86-46839441_quote" /><BR /><BR /><BR />Mitte der 90er Jahre tritt jemand in Markus Telsers Leben, der es auf eine andere Art rettet: Sein erster Blindenhund Sam. „Da habe ich wieder angefangen zu leben. Ich konnte wieder in die Natur, mich beschäftigen“, erzählt er. „Ich habe schon oft mit dem Herrgott gerungen. Aber heute geht es mir trotz allem gut. Ich lebe einfach gern, es ist ein ganz ein anderes Leben als damals.“ Ein kurzes Innehalten, dann fügt er leise hinzu: „Zurück möchte ich aber nicht mehr.“<BR /><BR />Markus Telser hat vor 12 Jahren wieder geheiratet. Das Paar lebt in Schluderns, glücklich. „Meine Frau geht arbeiten, ich führe den Haushalt.“ Auch der Sport ist für Telser wie ein Lebenselixier: Laufen, Radfahren, Paragleiten – Markus Telser lebt sein Leben intensiv, vielleicht gerade, weil er erlebt hat, wie zerbrechlich es ist. <BR /><BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="589709_image" /></div> <BR /><b><BR />Zu viele wissen nichts von ihrer Infektion</b><BR /><BR />Menschen mit HIV können heute leben wie alle anderen. Nehmen sie rechtzeitig und regelmäßig Medikamente gegen das Virus ein, bricht AIDS nicht aus. Die Krankheit ist dann auch nicht übertragbar. „Wenn die Viruslast im Blut negativ ist, dann ist der Mensch auch nicht ansteckend – auch nicht bei einem Sexualkontakt“, erklärt Dr. Erne.<BR /><BR />Soweit die guten Nachrichten. Die schlechten: Das Leben mit HIV ist auch heute noch schwierig; die Angst vor Ausgrenzung und Diskriminierung ist einer der Gründe dafür, dass viele erst Jahre nach der Infektion einen HIV-Test machen. Der heutige 1. Dezember soll als Aktionstag Aufmerksamkeit für das Thema schaffen. Denn der Kampf gegen dieses alte Virus ist noch lange nicht gewonnen.<BR /><BR />Dr. Erne bereitet es Sorgen, dass Menschen den HIV-Test oft zu spät machen: „Wir haben noch zu viele so genannte Late-Presenter: Leute, die seit 10 oder 15 Jahren mit HIV infiziert sind, es aber nicht wissen, und erst zu uns kommen, wenn AIDS bereits ausgebrochen ist.“ Da sei der Schaden im Körper oft bereits angerichtet und kaum mehr zu beheben.<BR /><BR /><b>HIV ist heute überall – wie Corona</b><BR /><BR />In den ersten Jahren nach der Infektion haben die meisten Betroffenen keine oder kaum Symptome, sagt die Ärztin. „Wenn wir nachforschen, berichten Patienten allerdings meist davon, dass sie öfters krank waren, etwa jedes Jahr eine bakterielle Lungenentzündung hatten.“ Doch in den ersten Jahren könne das Immunsystem dem Virus noch standhalten; erst, wenn schlimmere Infektionen oder Symptome dazukommen, werde die HIV-Infektion häufig festgestellt. „In der Zeit ohne Therapie können die Infizierten natürlich auch andere anstecken.“ Wer sich hingegen rechtzeitig testen lasse, frühzeitig und regelmäßig Medikamente bekomme, der habe dieselbe Lebenserwartung wie jeder andere. Eine Tablette am Tag reiche schon. Nebenwirkungen haben die neuen Medikamente kaum mehr. „Auch die Lebensqualität ist heute fast normal – denn natürlich bleibt es schwierig, dem Umfeld – etwa einem Lebenspartner – von der Infektion zu erzählen.“<BR /><BR />HIV ist aber – wie Corona – mittlerweile überall verbreitet. Dr. Erne: „Die meisten Patienten haben es von einem Sexualpartner. Drogen spielen kaum mehr eine Rolle.“<BR /><BR /><b>Aufruf: „Lasst euch testen!“</b><BR /><BR />„Es gibt immer noch Menschen, die ihre Diagnose geheim halten, sich verstecken. Aber das ist eine wahnsinnige Belastung“, weiß Markus Telser. Er selbst habe die Erfahrung gemacht, dass alles viel leichter sei, seitdem die Menschen von seiner Krankheit wüssten. Sein dringender Appell: „Lasst euch testen! Je früher man es weiß, desto einfacher ist die Therapie. Wäre ich früher zum Test gegangen – vielleicht wäre ich heute nicht blind.“ Dann fügt er hinzu: „Aber ich bin noch auf der Welt. Und ich genieße jeden Tag.“ <BR /><BR /><i>Markus Telser hat seine Lebensgeschichte gemeinsam mit der Autorin Christine Losso in einem Buch veröffentlicht:<BR />Christine Losso: „Wahnsinn: Leben. Markus ist Bluter, HIV-infiziert, blind“, Athesia-Verlag, 280 Seiten, 14,90 Euro</i>.<BR />