Der Direktor der Familienberatung in Bozen erklärt, warum die zwei Jahre der Pandemie ein Härtetest für viele Beziehungen waren, warum jetzt die Anfragen um fachliche Hilfe ansteigen – und was der kleine, aber verhängnisvolle Stolperstein für viele Beziehungen ist. <BR /><BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="728729_image" /></div> <BR /><b>Zwischen Juni 2020 und Juni 2021 stieg die Zahl der Trennungen und Scheidungen um 7 Prozent an. Eine Folge der Pandemie?</b><BR />Stefan Eikemann: Die Trennungsgründe an sich dürften sich auch in dieser Zeit nicht geändert haben. Aber die 2 Jahre der Pandemie haben in Partnerschaften und Ehen ihre Spuren hinterlassen. Diese Zeit ist eine Art Härtetest: Paare, die schon vorher weniger Schwierigkeiten hatten, sagen sogar, dass es ihnen jetzt besser geht; für andere, die schon vorher Stress und Probleme miteinander hatten, ist es noch schwieriger geworden. Bis hin zu Krise und Trennung.<BR /><BR /><b>Sind die Folgen der Pandemie auch in der Arbeit der Familienberatung zu beobachten?</b><BR />Eikemann: Ja, durchaus. Wir haben seit dem Jahr 2021 deutlich mehr Anfragen um Paarberatung. Und noch ein Phänomen lässt sich beobachten: Früher kamen Familien meist mit einem einzigen Problem. Vielleicht der Sohn, der in der Schule Schwierigkeiten hatte, die Tochter, die in Gefahr einer Magersucht war. Heute kommen Familien oft mit 3 Problemen gleichzeitig. Auf der anderen Seite sehen wir aber, dass Partnerschaften und Familien durch die Pandemie auch zusammengewachsen sind. <BR /><BR /><b>Sie sagten, dass sich die Trennungsgründe nicht wesentlich geändert haben. Aus Ihrer langjährigen Erfahrung: Welchen fatalen Fehler machen viele Paare, die dann scheitern?</b><BR />Eikemann: Ein ganz wichtiger Punkt, den viele übersehen, ist das gemeinsame Reden. Und zwar nicht das Reden, um zu planen oder Probleme zu lösen, etwa beim Geld, mit der Schule, zum Thema Wohnung oder Urlaub. Es geht um das Reden auf die feine Art, wie ich gerne sage: Also das freie, persönliche Erzählen, um das Plaudern, ohne Anspruch. Für dieses Reden brauchen Paare Zeit. Wenn sie sich diese Zeit nicht nehmen, steht das miteinander Reden immer unter Anspannung, weil es ja Probleme zu lösen gilt oder sogar Streit gibt. Es fehlt die Entspannung beim Reden. Das hat zur Folge, dass das Vertrauen verloren geht. Und damit bricht die Beziehung nach und nach auseinander. Solche Momente des feinen Redens können das verhindern. <BR /><BR /><embed id="dtext86-52517350_quote" /><BR /><BR /><b>Die „Klassiker“ wie Streit ums Geld, ein Seitensprung oder Lust auf eine jüngere Partnerin oder einen neuen Partner sind also meist nicht der wahre Grund für den Bruch?</b><BR />Eikemann: Das sind meist die Folgen dieses fehlenden Vertrauens. Da kommen dann die Streitthemen auf. Das sind sehr oft Geld, Erziehung der Kinder und auch die unausgeglichene Entfernung zur Ursprungsfamilie. Es ist tatsächlich problematisch, wenn eine Ursprungsfamilie näher und die andere in weiter Entfernung ist. Ideal wäre irgendwo in der Mitte. Auch ein Seitensprung zeigt meist, dass die Kommunikation schon schwach geworden ist. Aber so eine Affäre lässt sich überwinden, wir erleben oft, dass Paare gestärkt daraus hervorgehen. <BR /><BR /><b>Was sind Alarmzeichen dafür, dass sich in einer Partnerschaft oder einer Ehe eine bedrohliche Kluft öffnet?</b><BR />Eikemann: Stark vereinfachend gesagt ist es ein Alarmzeichen, wenn Männer immer weniger reden und Frauen zwar reden oder oft sogar mehr reden, aber erleben, dass von der anderen Seite nichts mehr kommt, dass keine Antworten mehr gegeben werden. Das Verstummen eines Mannes zeigt, dass etwas gar nicht mehr stimmt. Und wenn eine Frau das Gefühl hat, dass keine Reaktion mehr kommt. Streit – ob laut oder leise – ist allemal besser als dieses Verstummen. <BR /><BR /><b>Wann schaffen es Paare noch allein, den Bruch zu kitten, und wann sollten sie Hilfe suchen?</b><BR />Eikemann: Wenn einer der Partner sagt, dass professionelle Hilfe notwendig wäre, dann sollte der andere einwilligen und Ja sagen. Das würde ich als Grundregel formulieren. Für viele Paare, die zu uns kommen, ist es übrigens sehr oft die erste Überraschung: Wenn jemand in dieser Situation hilft, ist plötzlich ein ganz anderes Gespräch möglich als wenn das Paar nur allein spricht und diskutiert. <BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><BR />