„Die Menschen haben auch einige sehr nützliche Lehren aus der Pandemie gezogen“, sagt Primar Dr. Pycha. <BR /><BR /><b>Nach 2 Jahren Corona – in welchem Zustand ist die Psyche der Südtiroler?</b><BR />Dr. Roger Pycha: Unsere Gesellschaft hat sehr stark unter Corona gelitten. Aber die Menschen haben auch sehr nützliche Lehren daraus gezogen. Die Praxen der Psychotherapeuten sind derzeit alle überfüllt, weil wir 20 bis 30 Prozent mehr Patienten als vor Corona haben. Das klingt zunächst dramatisch, bedeutet aber auch, dass die Südtiroler gelernt haben, sich aktiv Hilfe zu organisieren – jenseits jeglicher Angst vor Stigmatisierung. Und sie haben angefangen, primär an ihre psychische Gesundheit zu denken, zu tun, was ihr gut tut. <BR /><BR /><b>Konkret?</b><BR />Dr. Pycha: Viele Leute haben in der Pandemie angefangen, über ihr bisheriges Konsumverhalten nachzudenken. Wenn ich keine großen Sprünge machen kann, fang ich anders zu leben an. In unserem Fall naturnäher. Diese neue vermehrte Zuwendung zur Natur hat auch mit der Kraft zur Selbstheilung der Psyche zu tun. Natur tut uns gut. Ich hoffe, wir behalten das bei. <BR /><BR /><embed id="dtext86-53950310_quote" /><BR /><BR /><b>Für den Sommer ist mit einem verringerten Infektionsgeschehen zu rechnen. Erholung für die Seele?</b><BR />Dr. Pycha: Absolut. Und auch der Wegfall der Maskenpflicht wird uns gut tun. Denn wir können wieder Gesichter sehen. In den Augen drückt sich die Angst aus, die war auch mit Maske erkennbar. Aber für den Ausdruck von Lust und Genuss sind Mund und Nase zuständig. Diese Ausdrücke wieder sehen zu können, werden wir sehr genießen. <BR /><BR /><b>Nach dem Sommer kommt der Herbst – und wohl die nächste Coronawelle. Werden wir – auch mental – lernen (müssen), mit der Bedrohung zu leben?</b><BR />Dr. Pycha: Der durch Corona ausgelöste Stress ist wesentlich geringer als am Anfang der Pandemie. Auch weil wir mittlerweile Waffen haben, wie die Impfung, die wir je nach Wunsch einsetzen können, und das Virus immer mehr einer Grippe ähnelt. Wir werden damit leben lernen, auch mental.<BR /><BR /><b>Sind dennoch Langzeitfolgen für die Psyche zu befürchten?</b><BR />Dr. Pycha: Für sehr alte Menschen, die lange Zeit in höchster Isolation verbracht haben, ja. Denn sie können diesen sozialen Rückzug nicht unbedingt mehr aufholen. <BR /><BR /><b>Vielfach wurde darauf hingewiesen, dass besonders Kinder und Jugendliche unter der Pandemie gelitten haben...</b><BR />Dr. Pycha: Auf die Dauer mache ich mir um Kinder und junge Jugendliche keine Sorgen. Wie der Körper erholt sich auch ihre Psyche schneller. Es wird in der Erinnerung einfach eine besondere Zeit bleiben. Anders sieht es bei älteren Jugendlichen und jungen Erwachsenen aus. Da ist das Gefährdungspotenzial der Suizidalität gestiegen. Und das ist auch verständlich, denn in diesem Alter stellt man sich prinzipiell die Frage, ob diese Welt gut zu mir ist. Die zeitweiligen Kontaktsperren haben das noch hochgeschaukelt. Einige haben sich in dieser Zeit in eine Art soziale Phobie zurückgezogen, sich in die virtuelle Welt geflüchtet – und verharren noch immer in diesem Verhalten.<BR />