<BR /><BR /><b>Professor Froböse, es gibt unzählige Gesundheitstipps: Man sollte 10.000 Schritte am Tag gehen, intermittierend fasten oder abends auf Kohlenhydrate verzichten. Worauf schwören Sie?</b><BR />Ingo Froböse: Ich schwöre auf viel Bewegung – in zwei Varianten: Zum einen versuche ich, möglichst viele Alltagsbewegungen einzubauen – also jede Gelegenheit im Alltag zu nutzen, um in Bewegung zu bleiben. Und zum anderen treibe ich jeden Tag irgendeine Form von Sport.<BR /><BR /><b>Also laufen Sie auch den 10.000 Schritten nach?</b><BR />Froböse: Nein, überhaupt nicht. Die 10.000 Schritte – das ist ein reiner Marketing-Gag. Erfunden wurde er 1964 rund um die Olympischen Spiele in Tokio. Damals hat ein japanisches Unternehmen den ersten Schrittzähler auf den Markt gebracht und diesen „10.000 Schritte“ genannt. Seitdem hält sich diese absurde Zahl, die für die meisten Menschen unerreichbar ist.<BR /><BR /><b>Weil es für einen normalen Alltag einfach zu viel ist?</b><BR />Froböse: Ja, die 10.000 Schritte sind eine viel zu hohe Messlatte, an der die meisten scheitern – und das frustriert. Ich würde 10.000 Schritte auch nie schaffen, wenn ich nicht regelmäßig laufen würde. Also daran muss man sich wirklich nicht orientieren. <BR /><BR /><embed id="dtext86-70455080_quote" /><BR /><BR /><BR /><b>Überschätzen wir solche Gesundheitsweisheiten?</b><BR />Froböse: Auf jeden Fall. Es gibt viel zu viele Mythen, Weisheiten und Regeln, die sich manchmal sogar widersprechen, was zusätzlich verunsichert. Dabei wäre es ganz einfach: Wir brauchen Bewegung! Wir alle wurden mit einem „Bewegungsvirus“ geboren, und den müssen wir erhalten. <BR /><BR /><b>Und was wird unterschätzt?</b><BR />Froböse: Die Muskeln! Sie werden häufig nur unter dem Aspekt der Ästhetik betrachtet. Aber niemand beachtet, dass die Muskeln unser größtes Stoffwechselorgan sind, dass wir eine Muskelmasse brauchen, um das gesamte Orchester des Körpers vernünftig spielen zu lassen. Die Muskeln sind für mich die meist unterschätzte – vielleicht sogar bewusst negierte – größte Struktur unseres Körpers. <BR /><BR /><BR /><b>Bei Muskeln denken viele an das Fitnessstudio, wo man sich mit den Bodybuildern messen muss. Müssen wir da hin?</b><BR />Froböse: Nein, müssen wir nicht. Wir Kölner sagen aber: Je oller, je doller! Je älter ich also werde, umso mehr muss ich auch für die Muskulatur tun. Aber das kann man auch wunderbar mit dem eigenen Trainingsgerät – und das ist der eigene Körper.<BR /><BR /><BR /><b>Kann man das allein machen oder besser sich anleiten lassen?</b><BR />Froböse: Ich würde mich begleiten lassen, gerade wenn ich noch keine Erfahrung habe. Allein kann man viel falsch machen. YouTube hilft da übrigens wenig – dort werden oft Ideale gezeigt, die für die meisten unerreichbar sind. Es lohnt sich also, sich von jemandem anleiten zu lassen oder in einen Verein zu gehen.<BR /><BR /><BR /><embed id="dtext86-70455084_quote" /><BR /><BR /><BR /><b>Sie sagen also, Bewegung allein ist nicht genug?</b><BR />Froböse: Nein, Bewegung reicht nicht aus. Ab einem gewissen Alter braucht man im Bereich der Herz-Kreislauf-Funktion eine erhöhte Atemfrequenz und eine erhöhte Herzfrequenz – nur dann kommt der Stoffwechsel in Schwung. Es braucht einen Reiz, man muss eine Barriere überspringen. Sonst wäre auch Zähneputzen oder Bügeln ein Training – ist es aber nicht, weil der Reiz fehlt. <BR /><BR /><b>Es heißt, wer sich regelmäßig bewegt – also mit erhöhter Atem- und Herzfrequenz – lebt länger.</b><BR />Froböse: Das ist so! Wir gehen davon aus, dass wer regelmäßig Sport treibt und früh damit begonnen hat, bis zu acht Jahre dazugewinnen kann. Das ist ganz schön viel. <BR /><BR /><b>Lebt man nur länger oder stirbt man auch gesünder?</b><BR />Froböse: In der Regel stirbt man auch gesünder. Mit einer besseren Fitness erhält man sich viel länger eine höhere Lebensqualität, man kann Alltag und Freizeit viel länger genießen. Wobei ich immer sage: Die letzten zwei Jahre sind für niemanden schön. <BR /><BR /><b>Viele wissen, dass Bewegung gesund ist. Was läuft psychologisch schief in unserem Kopf, dass wir es trotzdem meistens nicht hinkriegen?</b><BR />Froböse: Ganz einfach: Der Körper wehrt sich dagegen, Energie zu verbrauchen. Wir sind grundsätzlich nicht dafür geeicht, ins Fitnessstudio zu gehen, zu laufen oder zu walken, weil der Körper jede Kalorie festhalten will: Wir sind darauf ausgelegt, Energie zu sparen. Nachdem wir aber nicht mehr in der Jäger- und Sammlerzeit leben, müssen wir etwas gegen das „Horten“ tun. Das muss die Motivation sein. Den inneren Schweinehund, den so viele kennen, den kann man anfangs nur mit Disziplin überwinden. Die Wissenschaft sagt, dass man etwas 60- bis 70-mal gemacht haben muss, bis es sich ritualisiert und zum Bestandteil des Alltags wird. Das ist wie Zähneputzen: Das macht doch auch keine Freude, aber wir tun es trotzdem! Genau so muss man es auch mit der Bewegung sehen. Wir brauchen ein Mindestmaß an körperlicher Aktivität, um nicht unsere Fitness und Gesundheit zu verlieren.<BR /><BR /><b>Also 60 Tage durchbeißen?</b><BR />Froböse: Nicht unbedingt. Gerade Anfänger brauchen auch Pausen. Als Training reicht drei- bis fünfmal in der Woche: dreimal Ausdauer, zweimal Muskeltraining. Natürlich muss man sich am Anfang ein bisschen durchkämpfen. Und es ist auch ganz normal, dass man mitunter in ein tiefes Loch fällt. Deshalb legt man sich am besten eine Strategie zu und belohnt sich selbst – zum Beispiel nach sechs Wochen. Dann setzt man sich ein neues Ziel – und belohnt sich erneut. So schafft man es. <BR /><BR /><embed id="dtext86-70455089_quote" /><BR /><BR /><b><BR />Welche Ziele? Zwei Kilo abnehmen zum Beispiel?</b><BR />Froböse: Ja, zum Beispiel. Oder drei Kilometer walken oder laufen können. Das kann auch ein Ziel sein. Diese kleinen Ziele, die man in sechs Wochen erreichen kann, gilt es zu definieren. <BR /><BR /><b>Viele reden sich ja auf die Gene raus. Meine Oma…</b><BR />Froböse: …die hatte auch schon schwere Knochen. Ja ich weiß.<BR /><BR /><b>Ist da was dran?</b><BR />Froböse: Die Genetik macht schon etwas aus. Aus einem Brauereipferd kann man kein Rennpferd machen, das ist nun mal so. Aber wir wissen auch, dass nur etwa zehn Prozent die Gene ausmachen, der Rest ist der Lebensstil. Und der beginnt schon in der Kindheit. Wenn Kinder immer mit Süßem belohnt werden, dann haben sie später ein Problem. Weil diese frühen Jahre unsere Prägungsphase sind. Was man da verinnerlicht, bekommt man später nur mehr schwer weg. Also: Eltern haften für ihre Kinder. <BR /><BR /><b>Dann sind die Eltern Schuld, wenn es später auf der Waage nicht stimmt?</b><BR />Froböse: Wir werden alle mit 200 Millionen Fettzellen geboren. Wenn ich die von Kindheit an immer anfüttere, dann rufen sie später auch noch den ganzen Tag „Wo ist das Futter?“. Dagegen kämpft man ein Leben lang. Liebe Eltern, bitte macht das gerade in der Prägungszeit nicht. <BR /><BR /><b>Wenn Sie eine Bewegungsübung für den Tag empfehlen müssten…</b><BR />Froböse: …dann wäre das die Kniebeuge. <BR /><BR /><b>Eine einfache Kniebeuge? Wie viele davon?</b><BR />Froböse: Bis der Muskel brennt. Denn Muskeln wachsen nur, wenn sie brennen. Wir in Köln sagen dazu „blümerant“. Zügig in den dritten Stock – das ist „blümerant“. Genau dieses Gefühl muss das Ziel sein. Beim einen ist das mit acht Wiederholungen erreicht, beim anderen mit 15. <BR /><BR /><b>Und das alle Tage?</b><BR />Froböse: Mindestens jeden zweiten Tag. Muskeln brauchen auch Regenerationszeiten. Wenn wir Muskeln stark fordern, dann sollten es mindestens 48, besser noch 72 Stunden Pause sein. Nicht umsonst sage ich: Nur durch Pausen werden Sportler richtig gut. <BR /><BR /><BR /><b>Zur Person:</b> <BR /><BR />Ingo Froböse, Jahrgang 1957, brennt seit frühester Kindheit für Bewegung und Sport und hat seine Passion zum Beruf gemacht. Als Sportwissenschaftler (1986 Promotion, 1993 Habilitation, Hochschullehrer an der Sporthochschule Köln) ist es seine Leidenschaft, andere mit dem „Bewegungsvirus“ zu infizieren. Er war Leichtathlet und als Sprinter deutscher Vizemeister über 100 Meter und 200 Meter sowie bei den Leichtathletik-Halleneuropameisterschaften 1982 Vierter über 200 Meter. Er ist Autor zahlreicher Bücher, TV-Experte und gibt sein Wissen in Podcasts und auf Youtube (FormelFroböse) weiter.<BR /><BR />stol<BR /><BR />.