„Der Erfolg der Dolomitenladiner hat sicher zu einer Bewusstseinsbildung am Nons- und Sulzberg geführt“, erläutert Chiocchetti im Gespräch. <BR /><BR /><BR /><BR /><b>Mit der Initiative der Gemeinde „Borgo d'Anaunia“ für die Anerkennung der ladinischen Sprachgruppe auch im Nonstal ist die Diskussion rund um dieses Thema wieder neu entfacht. Wie sehen Sie diese Aktion?</b><BR />Fabio Chiocchetti: Es sind mittlerweile Jahrzehnte, dass sich im Nonstal eine Interessensgruppe gebildet hat, die eine Anerkennung der ladinischen Sprachgruppe erreichen will. Es ist eine Tatsache, dass einige Merkmale des Rätoromanischen in der lokalen Sprache überlebt haben, wobei es aber zu betonen gilt, dass der historische Kampf für die Rechte der Ladiner sowie für den Erhalt und die Pflege der Sprache und Kultur maßgeblich von den Dolomitenladinern rund um den Sellastock geprägt sind – und es bis dato im Nons- und im Sulztal diese Bestrebungen kaum gegeben hat. Vermutlich durch den Erfolg der Dolomitenladiner hat sich dort in den letzten Jahrzehnten eine neue Bewegung gebildet, die nun dasselbe Ziel verfolgt, wie die Ladiner im Fassatal, Gröden, Gadertal, Buchenstein und Ampezzo. <BR /><BR /><embed id="dtext86-52105870_quote" /><BR /><BR /><b>Sind die sprachlichen Voraussetzungen überhaupt gegeben, dass die Nons- und Sulztaler als ladinische Sprachgruppe anerkannt werden können?</b><BR />Chiocchetti: Einige Voraussetzungen sind vorhanden, es gibt aber auch kritische Aspekte. Die Nonstaler fordern die Eingliederung des Nonstaler Dialektes als „ladino retico“ in die rätoromanische Sprachgruppe, als einige Sprachinsel. Aber das „rätische“ Substrat ist archeologisch vom Engadin bis zum Piave Fluss belegt und damit auch in den Dolomitentälern: diese Selbstdefinition ist daher nicht geeignet für eine Unterscheidung des anaunischen-ladinischen Idioms der Nons- und Sulztaler in Bezug auf das Dolomitenladinische. Außerdem, haben die Idiome am Nons- und Sulzberg auch einen stark geprägten Einfluss mit vielen Ähnlichkeiten mit dem Trentinischen, dem Ostlombardischen und Standarditalienischen. Die Angelegenheit ist also kontrovers.<BR /><BR />Zusätzlich gilt es noch zu bedenken, dass die Mehrheit am Nons- und Sulzberg sich nicht zur ladinischen Sprachgruppe angehörig fühlt und sie somit interne Konkurrenz hätten bei der Umsetzung zukünftiger Maßnahmen zum Schutz von Sprache und Kultur. <BR /><BR /><b>2011 haben sich 23 Prozent der Bewohner des Nonstales als Ladiner erklärt, im Fassatal waren es jedoch 82 Prozent: wie erklären Sie sich diesen Unterschied?</b><BR />Chiocchetti: Es gilt jedoch zu bedenken, dass ein Großteil der Nonstaler sich bis dato nicht als Ladiner sehen und dies bei der Festsetzung von sprachlichen Maßnahmen im öffentlichen Leben oder in der Schulwelt sicher zu Schwierigkeiten führen könnte. <BR />Tatsächlich, könnten die Nonstaler eine Anerkennung als Sprachminderheit laut staatlichem Gesetz 482/99 anstreben – in der Provinz Trient beruht hingegen der Minderheitenschutz nicht auf der ethnisch-linguistischen Erklärung des Einzelnen, sondern auf dem „Territorialitätsprinzip“, mit dem das Gesetz das historische Siedlungsgebiet der Sprachgemeinschaft der Minderheit festlegt. <BR /><BR /><embed id="dtext86-52105871_quote" /><BR /><BR /><b>Die Dolomitenladiner haben auch eine lange Tradition bei der Normierung der Idiome sowie auch der gemeinsamen Bestrebungen für die Anerkennung von Rechten für die Sprachgruppe, was im Nons- und im Sulztal bis dato nicht geschehen ist, oder?</b><BR />Chiocchetti: Die Standardisierung und die Kodifizierung der Sprache im Nons- und Sulztal hat noch nicht begonnen, wir sind sozusagen am Beginn einer Bewusstseinsbildung eines Teils der Bewohner. Auch was die historischen Bestrebungen für die Anerkennung der ladinischen Sprachgruppe anbelangt, sind die Nonstaler seit der Gründung der „Union Ladina“ in Innsbruck im Jahre 1905 nicht präsent gewesen. <BR />Nach dem Zweiten Weltkrieg, als die Ladiner des Fassatals die Gleichberechtigung der ladinischen Sprachgruppe von Trient einforderten, haben die Nonstaler der Trentiner Zentralregierung den Rücken gestärkt. In dieser zentralen Phase waren die Nonstaler abwesend. <BR />Nichtsdestotrotz kann es zu Veränderungen kommen und jede Sprachgruppe hat das Recht den Weg der Selbstbestimmung einzuleiten. Wir werden sehen, ob und wie sie diesen in Zukunft beschreiten werden. <BR />