„Immer mehr Menschen begreifen, dass es allerhöchste Zeit ist, unsere Lebensweise, unser System umzugestalten“, sagt Judith Hafner.<BR /><BR /><BR /><BR /><b>Frau Hafner, was steht bei einer vielbeschäftigten Frau wie Ihnen gerade an?</b><BR />Judith Hafner: Neben der Übergabe meiner Arbeit in der Caritas – die ich Mitte Dezember nach 11 Jahren abschließe – beschäftigt mich die Planung 2022 in Südtirols Netzwerk für Nachhaltigkeit, das ich seit 2 Jahren freiberuflich koordiniere. Das Zusammenspiel der über 130 Partnerorganisationen möchten wir mit einem Kernteam von 5 Frauen stärken. Darauf bereiten wir uns derzeit vor.<BR /><BR /><b>Südtirols Netzwerk für Nachhaltigkeit wurde im August 2020 aus der Taufe gehoben. Wie funktioniert es, welche Ziele werden verfolgt?</b><BR />Hafner: Der Auftrag des Netzwerks orientiert sich Jahr für Jahr an einem selbst formulierten Projektantrag, der mit einem Beitrag des Landes und dem Ministerium für Arbeit und Sozialpolitik finanziert wird. Ziel ist die Bekanntmachung der 17 UN-Ziele für eine nachhaltige Entwicklung und deren Umsetzung in Südtirol durch das Zusammenwirken der hiesigen Organisationen, Vereine, Verbände und Gruppen. Wir bieten dafür einen Rahmen: Auf der Website www.future.bz.it können neue Partner und Partnerinnen sich kostenfrei eintragen, sich autonom mit anderen verbinden, ihre Veranstaltungen auf dem Eventkalender sichtbar machen und die vom Netzwerk angebotenen Begegnungsmomente für gemeinsame Projektideen nutzen. Wer dem Netzwerk beitritt, achtet und teilt dessen Wertecharta – sie findet sich auf der Website – und macht sich mit anderen Vereinen auf den Weg zur Umsetzung auf Augenhöhe der 17 Ziele in Südtirol. Als Mitglied der Kerngruppe bin ich Kontaktperson für Fragen und Synergien.<BR /><BR /><b>Wie schwierig ist es, die Leute im Sinne einer gelebten Nachhaltigkeit zu gewinnen? Oder ist es einfacher als gemeinhin angenommen, auch weil sie mehr denn je im Trend liegt?</b><BR />Hafner: Immer mehr Menschen begreifen, dass es allerhöchste Zeit ist, unsere Lebensweise, unser System umzugestalten. Was einige noch als normal empfinden, ist im Grunde der helle Wahnsinn! Unser Wirtschaftssystem, unser Finanzsystem, unser Konsum fährt uns mit Wucht an die Wand. Wir wissen, dass die nächsten Jahre entscheidend sind für das Überleben der Menschheit. Gott sei Dank gibt es auch in Südtirol zunehmend Organisationen und Menschen, die vehement auf Veränderung drängen. Wenn es gelingt, uns zu verbinden, kann daraus eine wichtige Schubkraft entstehen. <BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="714578_image" /></div> <BR /><BR /><BR /><b>Die Landespolitik hat sich Klima- und Nachhaltigkeit letzthin auf ihre Fahnen geschrieben. Wie bewerten Sie die Maßnahmen? Ginge mehr?</b><BR />Hafner: Es geht wesentlich mehr. Nicht nur für die Landespolitik und die Lobbys, sondern für jede und jeden von uns. Fassen wir uns selber an der Nase und fragen wir uns: Was kann ich beitragen? Wo kann ich meine Familie und Freunde, meine Gemeinde, mein Unternehmen, mein Umfeld im Mutigsein unterstützen? Was wäre das für ein Kraftfeld und für ein herzhafter Druck? Wandel ist ein Prozess, der sich nicht delegieren lässt.<BR /><BR /><b>Geben Sie uns doch 2 oder 3 Tipps: Wie lässt sich der Wunsch, nachhaltiger zu leben, am besten ins tägliche Leben übertragen?</b><BR />Hafner: Erstens entschlacken und entschleunigen, weniger kaufen und weniger laufen. Wir müssen innehalten, wenn sich was ändern soll. Zweitens: Inspirationen suchen und bieten. Dafür haben wir ein Handbuch der Handlungsimpulse erstellt, in dem unsere Netzwerk-Partner 47 konkrete Ideen für die Umsetzung der 17 UN-Ziele anbieten. Dieses Buch wird laufend erweitert und demnächst auf der Website sichtbar gemacht. Und drittens gebietet es sich, in kleinen Gruppen aktiv werden. „Gründe einen Klimakreis“ ist ein Menüpunkt auf unserer Website. Im eigenen Freundeskreis kann jede und jeder eine Klima-Gruppe gründen und von anderen lernen, was sich im eigenen Dorf bewegen lässt. Klima hat hier eine doppelte Bedeutung: der Klimawandel, den es aufzuhalten gilt, und das menschliche Klima im Dorf.<BR /><BR /><b>In welchen Bereichen müssten Politik und Wirtschaft stärker aktiv werden?</b><BR />Hafner: Wir brauchen einen Klimaplan, der in messbaren, mutigen und gut verständlichen Schritten neue Wege geht. Einen Klimaplan, auf den wir alle stolz sind. Und der Mobilität völlig neu buchstabiert. Wir brauchen Unternehmen mit Courage für echte Visionen. Wie wär’s etwa mal mit weniger produzieren? Den eigenen Leuten Zeit schenken für ein gemeinsames Umdenken? Soziales Miteinander gestalten statt es an das Ehrenamt zu delegieren? Wir brauchen Bäuerinnen und Landwirte, die im eigenen Umfeld Allianzen suchen für eine Nahrungsproduktion, die unsere Böden entlastet und Vielfalt erzeugt. Und Kunden, die ihren Beitrag für so eine Landwirtschaft leisten. Wir brauchen Touristikerinnen, die offen sagen: Es ist genug, lasst uns umdenken! Wir brauchen Handwerker, die es anders probieren. Mein Mann ist selber Handwerker und führt für sich ab Jänner die 4-Tage-Woche ein für mehr kreative Lebenszeit und Ruhe. Was für ein Weihnachtsgeschenk!<BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="714581_image" /></div> <BR /><b>Nun vertreten Sie solche Nachhaltigkeits-Initiativen mit Herz, Leib und Seele. Woher kommen diese Überzeugungen?</b><BR />Hafner: Ich kann es nur mit einem Bild beschreiben: Stellen Sie sich vor, wir sind Vögel, die aus alter Gewohnheit den Boden abtrippeln, Krümel fressen und die Funktion ihrer Flügel völlig vergessen haben. Bis die ersten von uns aus gefühlter Dringlichkeit und Lust am Ausprobieren mit den Flügeln schlagen. Noch sind wir nicht in der Luft, aber es wird spürbar, dass etwas völlig anderes unserer Natur entspricht als Krümel. Diese Kraft unserer inneren Natur spüre ich bei jeder Idee – und davon gibt es viele – die hier schon umgesetzt wird. Da wird eine Energie frei, die im wahrsten Sinne des Wortes beflügelt. <BR /><BR /><b>Sie haben schon sehr viel von der Welt gesehen, haben längere Zeit in Frankreich, Südafrika und China gelebt. Inwieweit prägen solche Erfahrungen?</b><BR />Hafner: Ich liebe das Eintauchen in fremde Kulturen und Landschaften. Es schrumpft mich gesund, zu sehen, dass unsere Wirklichkeit nur eine von vielen ist. Und es erschreckt mich, so unmittelbar zu erkennen, welche Not und welchen Neid wir auslösen durch unseren Konsum. Gleichzeitig lerne ich auf meinen Reisen, was Weltfamilie bedeutet. Wenn ich Frauen und Kindern, deren Sprache ich nicht kenne, in die Augen schaue, begreife ich, dass wir über die Grenzen hinweg verbunden sind.<BR /><BR /><b>Unter anderem haben Sie auch mit dem Weihnachtsengel-Geschäft ihre Erfahrungen gemacht. Was konnten Sie hierbei beobachten?</b><BR />Hafner: Früher, in meiner Zeit als Einkäuferin, haben wir lächelnde Weihnachtsengel containerweise aus China importiert. Erst als ich den Engel in den Händen der Frauen im Hinterland Chinas gesehen habe, in einer Hütte, die wir hier keinem Hund anbieten würden, habe ich das tragische Ausmaß unserer Idylle erkannt. Wir hängen uns das Leid anderer Menschen an den Weihnachtsbaum, tragen es als Kleider am Leib. Ich inklusive.<BR /><BR /><BR /><embed id="dtext86-51941981_quote" /><BR /><BR /><b><BR />Nach welchen Grundsätzen leben Sie heute?</b><BR />Hafner: Ich wünschte, ich könnte sagen, dass ich heute nachhaltig lebe. Davon bin ich weit entfernt. Ich lebe in Jenesien in einem Haus, das ich als Schloss empfinde, mit fließend Wasser. Das erinnert mich immer an Äthiopien, wo es Trinkwasser nur in kleinen Schlucken gibt. Ich fahre gerne Bus und fühle mich darin wie in einer Limousine mit Chauffeur und Begleitung. <BR /><BR /><b>Allerdings geben Sie sich mit diesem Netzwerk allein nicht zufrieden …</b><BR />Hafner: Ja, ich mache eine Online-Ausbildung beim spirituellen Lehrer Thomas Hübl zum Umgang mit kollektivem Trauma, die mich hellauf begeistert. Ich bin verbunden mit dem Presencing Institute, einer weltweiten Plattform für soziale Transformation und ich habe das innere Forschen bei www.seeleundsein.com gelernt. Seitdem brauche ich keinen Fernseher mehr. Am Abend in die Stille zurückfinden, am Kamin, ist wohl die wichtigste Aktion meines Tages.<BR /><BR /><b>Was ist Ihnen noch wichtig, wenn Sie nicht gerade in diesen Sphären verkehren?</b><BR />Hafner: Ich liebe den Wald vor meiner Haustür, der mich in die Arme schließt, wenn ich spazieren gehe. Ich liebe den Schnee und die Eichhörnchen. Ich schreibe gerne Briefe. Ich genieße das Essen, das mein Mann für mich kocht und als Kunstwerk serviert, voller Zärtlichkeit. Ich massiere gerne und werde gern massiert. Musik und Tanz, inklusive Tango, sind mir ein Lebenselixier. <BR /><BR /><b>Ihr persönlicher Wunsch ans Christkind?</b><BR />Hafner: Ich wünsche mir ein neues Weihnachten: Ein Weihnachten, wo kollektives Tauschen gang und gäbe ist, wo wir teilen statt kaufen, wo wir Selbstgemachtes und Schönes, das wir nicht mehr brauchen, einfach zur Verfügung stellen. Wo wir statt neuer Waren Zeit schenken, auch an Fremde, in Form von Spaziergängen oder Gesprächen, oder Fähigkeiten wie Massagen oder Hausmusik. Wer diesen Traum nächstes Jahr umsetzen möchte, wende sich bitte an unser Netzwerk. <BR /><BR /><BR /><BR /><BR />STICHWORT<BR /><BR />Das Südtiroler Netzwerk für Nachhaltigkeit ist eine autonome Plattform, welche die 17 nachhaltigen Entwicklungsziele der Vereinten Nationen (SDGs) in Südtirol vorantreiben will. Vereine und Organisationen, welche diese Werte teilen und Ziele anpeilen, werden miteinander vernetzt, zudem deren Aktivitäten auf der Website sichtbar gemacht. Bereits über 130 Partner-Organisationen sind Teil des Netzwerkes www.future.bz.it, das im August 2020 gegründet wurde und seitdem von Judith Hafner mit ihrem Kernteam geleitet wird.<BR />