Ihre Lebenserfahrungen haben Agnes Feichter geprägt, und wenn wir von der Würde des Alters, von einer erfüllten Zeit sprechen, dann trifft dies sicherlich auf sie zu. Wenn wir in den Lebensgeschichten unserer Vorfahren blättern, dann werden uns ihre Leistungen erst richtig bewusst. Agnes Feichter ist zusammen mit ihren Eltern, den Geschwistern und ihren Kindern ein gutes Beispiel dafür. <BR /><BR />Sie erinnert sich an ihre Kindheit, „die gut war“, wie sie ohne Abstriche betont. Sie lernte von Kind auf sparsam zu leben, mit dem Notwendigen auszukommen. Wenn sie später als Bäuerin Butter oder andere Hofprodukte verkaufte, investierte sie das Geld immer in Lebensmittel oder in den Bedarf ihrer Kinder. „Kauf etwas für dich“, ermunterte sie ihr Mann Seppl immer wieder. Sie tat es nie, die Kinder, der Hof, das gemeinsame Auskommen gingen immer vor. <BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1060467_image" /></div> <BR />Ihren Mann Seppl Steiner kannte sie von Jugend auf. Zusammen spielten die beiden Nachbarskinder und gingen gemeinsam zur Schule. „Später ist daraus halt mehr geworden“, erklärt sie die Heirat im Jahre 1961 mit ihrem Mann, der Erbe des „Eggemoa“-Hofes wurde. „Weit hab’ ich nicht ziehen müssen“, sagt Agnes und lacht, denn ihr neues Zuhause liegt in unmittelbarer Nachbarschaft ihres Heimathauses. Die Mutter schenkte 6 Kindern das Leben. Ihr Ältestes, die Maria Helene, starb 2 Tage nach der Geburt.<h3> „Ban Habra“: die Familiengeschichte</h3>In ihren Erzählungen nimmt sie immer Bezug auf ihre Kinder, die Enkelkinder, erinnert sich an ihre Eltern und die Geschwister. Sich selber stellt die Altbäuerin hintan, sie hält sich und ihre Leistungen bescheiden zurück. Mittlerweile sind alle Geschwister der Altbäuerin gestorben, Agnes vermisst sie sehr, besonders den Zwillingsbruder Lois. Noch heute überkommt sie Wehmut, wenn sie auf ihn zu sprechen kommt. Einst sagte sie in großer Trauer zu den Ihren: „Jetzt haben sie mich allein gelassen.“<BR /><BR />„Wir hatten eine gute Mutter, gute Eltern“, beginnt Agnes Feichter mit den Erzählungen aus dem Leben ihrer Eltern. Aus ihren Worten klingen Wertschätzung und Dankbarkeit. „Was die mitgemacht haben“, schiebt sie dazwischen, bevor sie mit ihren Erzählungen fortfährt. <BR /><BR />Die Eltern Alois und Maria erlebten beide Weltkriege, ertrugen die politischen Spannungen der 1920er- und 1930er-Jahre und zogen ihre 5 Kinder groß. Vielerorts war die Not groß, und oft war nicht bei allen Familien genug zum Essen da. Nicht so „ban Habra“ in Mühlwald: „Wir mussten nie hungern, hatten alles, was wir brauchten“, erinnert sich Agnes. Dies wohl auch deshalb, weil die Eltern tüchtige und sehr arbeitsame Leute waren. Vater Alois Feichter war Kleinbauer, gerade für 2 Kühe reichte das Feld des „Habra“-Hofes. Im Ersten Weltkrieg war er Soldat in Galizien und hatte Glück: Nach Kriegsende kehrte er unverletzt nach Hause zurück und heiratete Maria Eppacher.<BR /><BR />Agnes hat ihren Vater als sehr gut gelaunten Mann in Erinnerung. Neben der täglichen Arbeit fand er die Zeit zum Singen, gründete den Viergesang im Dorf und war bei der Musikkapelle dabei. „Auch mit uns Kindern hat er oft gesungen“, erinnert sich die „Eggemoa“-Bäuerin. Wenn es der Familie gut ging, dann war das vor allem auf die Tüchtigkeit der Mutter zurückzuführen. Maria Eppacher war 40 Jahre lang als Hebamme unterwegs und begleitete in dieser Zeit über 1000 Hausgeburten, fast ausschließlich im Mühlwalder Tal. Für ihre Hebammentätigkeit wurde sie meist mit Naturalien bezahlt. Geld war sehr wenig in Umlauf, dafür waren Speck, Butter und Brot die häufigsten Entgelte, welche die Mutter heimbrachte.<BR /><BR />Die Mutter war auch Näherin, machte alle Kleider für ihre Kinder und schenkte dem Ortspfarrer mehrmals einen Anzug. An eine Vorgabe ihrer Mutter erinnert sich die Zeitzeugin dann doch: „Wir Kinder mussten jeden Tag um 6 Uhr früh hinunter in die Pfarrkirche zur Hl. Messe gehen. Da gab es bei der Mutter keinen Kompromiss. Manchmal wären wir schon auch lieber zu Hause geblieben. Auch in der Schule mussten wir fleißig lernen, darauf legte unsere Mutter großen Wert.“<h3> Die Hebammen vom Mühlwalder Tal</h3>Die „Eggemoa-Muito“ zieht ein Buch aus der Schublade und beginnt die Lebensgeschichte ihrer Mutter zu erzählen. Es sind die Lebenslinien der Hebamme vom Mühlwalder Tal, die 4 Jahrzehnte lang in Lappach und in Mühlwald bei den Hausgeburten anwesend war. Fein säuberlich sind im Geburtenbuch die Namen der Neugeborenen aufgelistet. Die Aufzeichnung beginnt am 2. August 1918 und endet mit dem 31. Dezember 1951. Bei 1116 Geburten war die Hebamme während ihrer 40-jährigen Tätigkeit dabei.<BR /><BR />Am 6. Jänner 1952 trat dann ihre älteste Tochter Maria in ihre Fußstapfen. Zuvor besuchte die Tochter, auf Anraten ihrer Mutter, im Jahre 1951 in der Universitäts-Frauenklinik in Innsbruck den Ausbildungslehrgang zur Hebamme und wurde im Abschlusszeugnis vom Oberarzt der Klinik als gut ausgebildete und verlässliche Hebamme empfohlen. Bevor sie allerdings den Dienst antreten durfte, musste sie noch einen Zusatzlehrgang mit einer Abschlussprüfung in Neapel absolvieren.<BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1060470_image" /></div> <BR />In diesen Jahren war die Mutter Maria ihrer gleichnamigen Tochter in verschiedenen Situationen noch behilflich, wenn Not an der Frau war. Sie führte das Geburtenregister akribisch weiter und vermerkte im Jahre 1954 insgesamt 54 Geburten. Die Kinder kamen allesamt in Lappach und Mühlwald mit Hausgeburten zur Welt. Im Durchschnitt ergab dies eine Geburt pro Woche.<BR /><BR />Im Jahre 1970 scheint in deutscher Schönschreibschrift die letzte Eintragung im Geburtenbuch auf. Mit Beginn der 1970er-Jahre wurden die Hausgeburten weniger. Fortan entbanden die Frauen vorwiegend im Krankenhaus. Die beiden Hebammen, Mutter und Tochter begleiteten zusammen 72 Jahre lang fast 2000 Geburten in Mühlwald und Lappach.<h3> Der einstige Alltageiner Hebamme</h3>Die Erinnerungen, die Episoden aus dem Leben ihrer Mutter und ihrer Schwester, der Hebammen vom Mühlwalder Tal, sind viele. Nicht immer sind es gute Nachrichten. So erzählt die Altbäuerin von der „englischen Krankheit“, die es in jener Zeit öfter gab. Es ging um Unterernährung bei Kindern, Verwahrlosung, fehlende Hygiene. Mehrmals musste ihre Mutter gerade in den 1930er-Jahren diesbezüglich recht energisch bei mancher Mutter intervenieren.<BR /><BR />Vielfach waren die Hebammen in der Zeit auch die Ansprechpersonen der Frauen, oftmals auch ihre Vertrauenspersonen. Sie suchten ärztliche Beratung auch außerhalb der Schwangerschaften. Agnes erinnert sich daran, dass oftmals Frauen „zin Habra“ kamen und sich mit der Mutter im „Stibile“ zum Gespräch und manchmal auch zu einer Untersuchung zurückzogen. Die Ratschläge und die Erfahrungen der Hebammen waren im Dorf sehr geschätzt und wurden oft in Anspruch genommen. Frauen vertrauten ihnen wohl auch Dinge an, die sie sonst nirgendwo besprechen konnten. So geschah es zuweilen, dass die hochschwangeren Frauen nicht mehr die Zeit fanden, nach Hause zurückzukehren. Sie brachten ihre Kinder im Haus der Hebamme zur Welt, die dann auch das Wochenbett zur Verfügung stellte.<BR /><BR />Die Mutter und ihre Tochter Maria wurden zu jeder Tages- und Nachtzeit zu Hofgeburten geholt. Meistens gingen die Hebammen zu Fuß zu den Häusern und den Berghöfen im Tal, bei jedem Wetter. Dabei war immer Eile geboten, denn die Hebammen wurden erst gerufen, wenn die Wehen eingesetzt hatten. Nach der Geburt stand immer noch eine Nachbetreuung für Mutter und Neugeborenes an: Tot geborene Kinder wurden im Geburtentagebuch mit einem Kreuzchen hinter dem Namen gekennzeichnet. „Freudig kehrten die Hebammen auf den Hof zurück, wenn bei den Geburten alles gut ging, wenn Mutter und Kind wohlauf waren“, erinnert sich Agnes. Wenn das Kind starb oder gar die Mutter, dann hinterfragten sich natürlich auch die Hebammen, ob sie alles richtig gemacht hatten.<h3> Wertschätzung und Dankbarkeit bleiben</h3>Wenn Agnes Feichter aus ihrem Leben erzählt, dann kommt sie immer wieder auf die viele ehrenamtliche Arbeit ihrer Mutter und Schwester zu sprechen. Die diesbezüglichen Erlebnisse prägen ihre Erinnerungen.<BR /><BR />Dass die heute über 90-Jährige immer noch eine gute Zeit lebt, liegt an ihrer körperlichen und geistigen Gesundheit, auch an ihrer positiven Grundhaltung. Ohne Hilfen führt sie ihren eigenen Haushalt, die räumliche Umgebung in ihrer Wohnung wirkt einladend. Sie erzählt zufrieden, wie sie am Hof noch gebraucht wird, die Tür steht für alle offen. Sie erledigt die Aufklebearbeiten bei der Verpackung der Hofkäserei, die ihr Sohn, die Schwiegertochter und der Enkelsohn gemeinsam führen. Im Gang hängt ein großes Foto, die sie im Kreise ihrer Enkelkinder zeigt. Bei allen verfolgt sie den beruflichen und privaten Werdegang. Auch die vielen Besuche aus dem Dorf freuen sie.<BR /><BR />Der Tagesablauf der Mutter und Bäuerin verläuft geordnet, Beschäftigung gibt es auf einem Hof immer. „Gebraucht zu werden, die Freude am Helfen, zu sehen, wie tüchtig Kinder und Enkelkinder sind, bereitet mir große Freude“, resümiert die „Eggemoa-Muito“ zufrieden.<BR /><BR />In ihrem Haus wirkt nichts hektisch, in Freundlichkeit und tiefer Zufriedenheit geht sie den Alltag gelassen an. Dazu kommt der tief verwurzelte Glaube sowie die Genugtuung über ihre Lebensleistung, obgleich sie dabei bescheiden abwinkt. Es tut ihr gut zu sehen, wie sich die Arbeit am Hof entwickelt, wie die 5 Kinder ihr Lebenswerk weiterführen und wie aus all den Kindern „etwas Ordentliches“ geworden ist. <BR />Dazu trägt wohl auch die „Eggemoa-Muito“ bei: mit ihrem Einsatz, dem guten Beispiel und der Güte einer besonderen Mutter. Der verdiente Lohn sind die Wertschätzung und die Dankbarkeit aller: Werte, die eine Mutter mit ihrem Feingefühl immer spürt.