Sogar Bagger müssen anrücken, um die Alm in einen „Hochsicherheitstrakt“ zu verwandeln. <BR /><BR /><BR /><BR />Die ersten Wanderer haben einen guten Teil des Friedrich-August-Weges oberhalb der Plattkofelalm schon hinter sich, wenn Hirte „Much“ mit Hund Rocky die letzten Meter zur Hütte hochsteigt. Er hat am frühen Vormittag schon einige Kilometer in den Beinen, zwar auch, um nach seinen Tieren – 20 Kühen, 40 Ziegen, 15 Pferden, 50 Kälbern und 14 Schafen – zu sehen, in erster Linie aber, um die Zäune zu kontrollieren. Den vierten Sommer ist der Kastelruther Michael Tirler schon Hirte auf der Plattkofelalm, „aber im Grunde zäune ich mehr als ich hüte“, sagt er. <BR /><BR />Fast 2 Wochen sind sie im Frühjahr zu zweit damit beschäftigt, alles einzäunen, was nur irgendwie geht. Mit Netz-, Elektro- und Holzzäunen. Während sonst so gut wie keine Eingriffe erlaubt werden, durfte dafür sogar ein Bagger auf die Alm. „Die Böden müssen unter dem Elektrozaun komplett eben sein, damit der Wolf keine Mulde findet, wo er durchkann – ohne elektrisiert zu werden und hoffentlich abzuhauen“, erklärt Tirler.<BR /><BR /><BR /><embed id="dtext86-50470717_quote" /><BR /><BR /> Neben dem Aufrichten im Frühjahr und Abbauen im Herbst müssen die Zäune jeden Tag kontrolliert werden – am besten mehrmals. „Bei jedem Gewitter, jedem stärkeren Wind kann der Zaun umknicken oder der Blitz in den Automaten einschlagen – und schon ist der Wolf da, fast so als hätte er nur darauf gewartet,“ sagt der Hirte. <BR /><BR />Die Zäune zu kaufen, sei eines, sagt der Besitzer der Alm, Karl Kasseroler aus Gufidaun, der dafür einige 1000 Euro investiert hat. „Aber damit fängt die Arbeit erst an, das Management einer solchen Einzäunung ist enorm aufwändig“, sagt er. <BR /><BR />Aber ihm blieb keine andere Wahl. Vor 4 Jahren begannen die Probleme mit dem Wolf auf der 2200 Meter hoch gelegenen Alm über dem Fassatal. Zuerst kamen sie nur nachts, ein Mal aber auch nach Tagesanbruch. Eine Hilfshirtin aus Deutschland sei damals um 8 Uhr morgens bei den Tieren draußen auf der Weide gewesen. „Sie hat noch mit Kübeln nach ihnen geschmissen, aber da war nichts zu machen“, erzählt Michael Tirler. Am Ende waren 3 Schafe tot, übelst zugerichtet, darunter ein Schafbock, der erst kurz zuvor um 1000 Euro gekauft worden war. Die Hirtin blieb zum Glück unverletzt. „Wie gefährlich so etwas auch für den Menschen werden kann, sieht man, wenn man einem Hund sein Futter wegnehmen will“, sagt der Kastelruther.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="677186_image" /></div> <BR /><BR /> Angst kenne ein Hirte in dieser Situation aber nicht. „Wenn der Wolf da ist, hat man nur sein Vieh im Kopf, da bleibt keine Zeit für Angst. Die kommt erst danach.“ Die Wölfe kamen nach jenem Vormittag wieder. 3 Tage später waren 30 Schafe gerissen, den Bauern blieb nichts anderes, als die verbliebenen Tiere von der Alm zu holen. „Die freilaufenden Tiere sind wie ein offener Kühlschrank für diese Raubtiere“, weiß auch Bertram Stecher, der Almberater des Sennereiverbandes, der heute auf der Plattkofelalm vorbeischaut. <BR /><BR />Neben den Tieren, die von mehreren Südtiroler Bauern zur Sommerfrische unter den Plattkofel gebracht werden, gehört zur Alm auch eine Käserei, in der die 23-jährige Theresa Suntinger aus Kärnten jeden Tag aus 55 Litern Ziegenmilch und über 200 Litern Kuhmilch 10 verschiedene Käsesorten herstellt. Gelernt hat sie ihr Handwerk bei 2 Kursen – einer davon coronabedingt online – unter anderem von Bertram Stecher, der ihr heute über die Schulter schaut und Tipps gibt. <BR /><BR />Davon, dass ihr Käse schmeckt, überzeugt sich dann nicht nur Stecher, der einige Sorten noch in der Käserei probiert: Nach getaner Arbeit in der Käserei, die frühmorgens schon beginnt, stellt sich die junge Kärntnerin hinter die Theke vor der Hütte und bringt dort ihre Erzeugnisse gleich selbst an den Mann und die Frau. Und die kommen bei gutem Wetter zahlreich – über den Friedrich-August-Weg vom Sellajoch, von der Seiser Alm oder vom Fassatal. <BR /><BR /><embed id="dtext86-50471104_quote" /><BR /><BR />Die 2016 neu errichtete Alm, die Käserei und der Ausschank waren es auch, die Karl Kasseroler – trotz der Gefahren durch den Wolf – bisher nie ans Aufgeben haben denken lassen. Und so hat er viel Geld in ein „Hochsicherheitsgefängnis“ auf 2200 Metern Höhe investiert und viele Hektar Weiden zur eingezäunten Koppel gemacht. <BR /><BR />Auch weil dies im weitläufigen Gelände der Plattkofelalm irgendwie noch machbar sei. „Das lässt das Gelände nicht auf jeder Alm zu“, sagen Bauer Karl und Hirte Michael unisono. Doch ruhig schlafen können die Bauern und der Hirte trotzdem nicht. „Wenn die Tiere am Morgen ganz verschreckt in ihrem Gehege stehen und kaum hinter dem Holzzaun herauszubekommen sind, dann kann man sich schon denken, dass nachts die Wölfe vor dem Zaun vorbeigeschlichen sind“, sagt Tirler. Heuer sei bisher aber alles gut gegangen – zumindest hier auf der Plattkofelalm. Nicht weit weg, im Langental in Gröden, hätten die Wölfe mehrmals zugeschlagen und Tiere gerissen, wissen sie auf der Plattkofelalm.<BR /><BR />Glücklich ist mit den Umzäunungen auf der Alm niemand. Das Wohl der Tiere leide darunter zwangsläufig. Und das wissen auch Tierschützer, die unten im Tal das Einsperren und Einzäunen des Viehs gerne und häufig kritisieren. Mit lauernden Raubtieren bleibt Schafen, Ziegen, Kälbern und Kühen das nun auch im Sommer nicht mehr erspart.<BR /><BR />Karl Kasseroler fühlt sich ziemlich allein gelassen. „Entscheidungen werden von einem zum anderen geschoben und von Leuten getroffen, die von Almwirtschaft keine Ahnung haben. Schlussendlich steht man als Bauer allein da“, sagt er. Die Tiere rund um die Uhr von einem oder mehreren Hirten bewachen zu lassen, sei unfinanzierbar, ganz abgesehen davon, dass man sich ohnehin schon schwertue, gutes Personal für die Alm zu finden. Wer es dann noch mit Wolf und Bär zu tun bekomme, überlege es sich ohnehin 2 Mal. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="677189_image" /></div> <BR /><BR />Auch Herdenhunde seien in einer Gegend, in der sich Touristen aufhalten, undenkbar. Also blieb nur mehr der Zaun. „Es ist für einen Hirten und uns Viehhalter nicht zumutbar, die Tiere in dieser Situation ungeschützt zu halten. Ein Hirte, der weiß, dass sein Vieh nicht geschützt ist, macht nachts kein Auge zu, das packt man nicht“, sagt Kasseroler. Gar nicht zu reden von den Bildern der geschundenen und gerissenen Tiere. <BR /><BR />„Das sind Schäden, die kann man mit keinem Beitrag wieder gutmachen“, sagt Kasseroler. Oft seien es Zuchttiere, vielfach auf die Schnelle auch kein Ersatz zu bekommen. „Für viele Bauern, die die Schafzucht nur mehr als Hobby betrieben haben, ist das der letzte Auslöser, um die Zucht aufzugeben“, sagt Bauer Karl Kasseroler. Deshalb hat er auch nicht mehr 400 Schafe auf der Alm wie früher, sondern nur mehr 14 – von einer Frau, die sich von ihren Tieren einfach nicht trennen will. <BR /><BR /><b>Wenn die Weidetiere wegbleiben</b><BR /><BR /><BR />Die Schafe seien für die Wölfe die leichteste Beute. „Aber sind keine Schafe mehr da, dann ist irgendwann das Kalb dran, dann die Kuh...“ sagt Kasseroler. Und sind keine Schafe oder überhaupt keine Tiere mehr auf der Alm, dann hat das auch für die Natur Folgen, die man unten im Tal nicht sieht oder nicht sehen will. Hirte Michael zeigt auf einen gegenüberliegenden Hang, an dem an mehreren Stellen die oberste Bodenschicht abgerutscht ist. „Das passiert, wenn Almwiesen nicht mehr bewirtschaftet, also von Tieren abgegrast werden.“ Mehr Lawinen gehen ab und donnern mitunter bis ins Tal, reißen die Grasnarben auf, die Artenvielfalt und Biodiversität leiden, Touristen und Einheimische finden keine gepflegten Erholungsräume in den Bergen mehr vor. All das bedenken jene nicht, die dem Wolf das Wort reden.<BR /><BR />Die Gäste auf der Alm bekommen von all dem nichts mit. Während Sennerin Theresa hinter die Käse-Theke und Hirte Michael im zünftigen Gewand zum Getränke-Ausschank geht, staunen sie zwar über die vielen Zäune entlang ihres Weges, genießen aber Panorama, Bergluft und die gute Küche auf der Plattkofelalm – eine vermeintlich intakte Almwirtschaft, die aber Gefahr läuft, es nicht zu bleiben.<BR />