Wohin es den ehemalige Berufsjournalisten verschlagen wird, ist offen. „Aber ein Tiroler kehrt irgendwann immer nach Tirol zurück“, sagt Bruder Moritz.<BR /><BR /><BR /><b>Bruder Moritz, Sie sind nun zum Diakon geweiht worden. Noch immer überzeugt davon, dass der eingeschlagene Weg der richtige ist?</b><BR />Bruder Moritz Windegger: Ja. Das heißt nicht, dass ich Tag und Nacht immer nur ein Ziel sehe, nämlich Priester zu werden. Es gibt immer wieder Phasen, in denen mir das alles eigenartig vorkommt, oder Momente, in denen ich denke, vielleicht wäre es besser, ich würde Fernsehmoderator oder so. Gehäuft sind solche Fragen immer im Moment vor großen Entscheidungen, wie etwa bevor ich das Ansuchen zur Diakonweihe, gestellt habe. Da setzt du dich hin und als erstes fallen einem immer wieder 100.000 Gründe ein, warum das eigentlich überhaupt keine gute Idee ist. <BR />Das Schöne an der ganzen Geschichte ist: Wenn du am Ende dann Bilanz ziehst – so geht es mir jedenfalls – kommst du drauf, dass es eigentlich keine Gründe gibt, die so groß sind, dass sie dagegen sprechen würden. Deshalb bin ich nach wie vor davon überzeugt, dass ich auf dem richtigen Weg bin. <BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="961996_image" /></div> <BR /><BR /><b>Wenn man jetzt das große Ganze sieht, entscheiden sich immer weniger Menschen, diesen Weg einzuschlagen – Schwimmen Sie gegen den Strom?</b><BR />Bruder Moritz: Geistliches Leben ist sicher in Europa ein Gegen-den-Strom-Schwimmen, weil es immer weniger machen. Außerhalb von Europa ist der Trend ein anderer. Da machen es immer mehr. Die Anzahl der Berufungen in Afrika oder Asien steigt, in Europa bricht sie ein. Ob das schon ausreicht für ein Gegen-den-Strom-Schwimmen weiß ich nicht. Andere Berufe und Berufsgruppen, wie Mediziner, haben wir ja auch immer weniger und da stellen wir nicht die Frage, ob es ein Gegen-den- Strom-Schwimmen ist. <BR /><BR /><b>Wieso tut man sich das Ordensleben dann an?</b><BR />Bruder Moritz: Es hat etwas Faszinierendes, wenn man einen Beruf ausübt der nicht so trendig ist. Ich glaube aber nicht, dass das ein Grund ist, sich dafür oder dagegen zu entscheiden. Priester wird jemand oder wird es eben nicht, weil es immer weniger machen. Hin und wieder denke ich mir schon, wie das in 10 Jahren sein wird, wie viele wir im Franziskanerorden noch sein werden. <BR />Vor 20 Jahren waren wir in der Region, die die heutige Franziskanerprovinz Österreich umfasst, 180 Brüder. Mit Stand 1. Mai 2023 waren wir 104 Brüder. Wenn wir davon ausgehen, dass wir alle 20 Jahre 40 Prozent der Brüder verlieren, kann man heute tatsächlich noch nicht sagen, wo der Orden in 20 Jahren stehen wird. Aber das wirkt sich auf meine Entscheidungen nicht aus. Keiner von denen, mit denen ich darüber diskutiere, denkt sich deswegen, dass das nicht der richtige Weg sei, sondern alle sagen sich, das werden wir dann entscheiden, wenn es so weit ist.<BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="961999_image" /></div> <BR /><BR /><b>Haben Sie eine Erklärung dafür, warum in Europa immer weniger Menschen diesen Weg einschlagen?</b><BR />Bruder Moritz: Da gibt es viele Erklärungen. Ein Punkt ist, dass die gesamte Funktion der diözesanen Struktur oder der Orden heute weniger sozial ist als in Vergangenheit. Es hat Jahrhunderte gegeben, in denen die Berufung zum Priester eine soziale Funktion hatte. Der dritte Sohn wurde Priester. Das ist in Europa, auch Gott sei Dank, weggefallen. Dann gibt es auch noch einen inhaltlichen Punkt, den wir vor allem auch in Südtirol ganz stark spüren. Eine Ordens- oder Priesterberufung lebt davon, dass sie begleitet wird. Ich stelle fest, dass bei uns im Land selbst gläubige Menschen nicht unbedingt unterstützend reagieren, wenn ein junger oder auch weniger junger Mensch sagt, er möchte Priester werden. <BR /><BR /><b>Warum ist das so?</b><BR />Bruder Moritz: Schwierig zu sagen. Das reicht von Leuten, die sagen „das braucht es nicht“ – selbst im katholischen Umfeld. Menschen, die sich sehr wortgewaltig und medienwirksam zu Wort melden, die das einem Gefühl geben, wer heute noch Priester wird, ist nicht ganz gesund. Bis hin zu Aussagen, dass es wichtig ist, dass es heute noch Menschen gibt, die Priester werden, aber bitte nicht mein Sohn. <BR /><BR /><b>Wie war das bei Ihnen?</b><BR />Bruder Moritz: Ich hatte das Glück, dass ich nicht nur aus einer Familie herauswachse, die immer unterstützt hat, was ich mir so vorgestellt habe, sondern auch einen Freundes- und Bekanntenkreis, der meine Entscheidung auch ganz stark mitträgt. Aber das haben nicht alle. Die erste Reaktion, wenn heute ein junger Mensch sagt, er würde ins Priesterseminar gehen, ist Überraschung. Die sofort zweite Reaktion ist Unverständnis. Wenn derselbe Mensch sagen würde, er würde gern Anästhesist werden, würden die meisten sagen „super, ich weiß zwar nicht was das ist, aber tolle Entscheidung“. Da haben wir eine leichte Schieflage unter den gläubigen Menschen. Da fehlt das Verständnis, dass ein Mensch, der diesen Weg gehen will, Begleitung und Unterstützung braucht. <BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="962002_image" /></div> <BR /><BR /><b>Laut Ihrer Rechnung geht die katholische Kirche bei den Priestern und Ordensleuten in Richtung Null. Was dann?</b><BR />Bruder Moritz: Wir sind sicher noch nicht am Tiefpunkt angelangt. Zumindest im Franziskanerorden haben wir Regionen in Europa, die unmittelbar nach dem Konzil (Zweites Vatikanisches Konzil, 1962 bis 1965 Anm.d.Red.) Tausende von Mitbrüdern hatten. Die größte Franziskanerprovinz weltweit waren 1968 die Niederlande mit 1200 Mitbrüdern nur in Holland. Die sind innerhalb von 40 Jahren völlig eingebrochen und sagen heute, der Trend ändert sich wieder. Sie sagen, sie sind immer noch wenige, aber man spürt, dass die Talsohle erreicht ist. Auch wir werden noch stärker zurückgehen, aber wir werden die Talsohle durchschreiten. Also auf Null werden wir nicht gehen.<BR /><BR /><b>Ist der Weg, den man in der Diözese Bozen-Brixen eingeschlagen hat, wo 11 junge Männer aus Afrika und Asien hergeholt wurden, die zu Priestern ausbildet werden mit der Verpflichtung, nach der Ausbildung mindestens 5 Jahre in Südtirol Dienst zu tun, der richtige?</b><BR />Bruder Moritz: Schwierig zu sagen für einen Ordensmann. Das ist ein Modell, das ja auch anderswo probiert wird. Die hauptsächliche Schwierigkeit liegt wohl, wie in Südtirol generell, wohl darin, dass es immer auch eine Kulturfrage ist. Glaubensleben hat auch mit Kultur und Sprache zu tun. Das sind aber alles Probleme, die man erarbeiten kann. Es gibt offensichtlich in der katholischen Kirche auf oberster Ebene 2 Standpunkte: Die einen, die sagen, wie wir früher anderswo hingegangen sind, kommen jetzt eben die anderen zu uns. Es gibt auch den Standpunkt, den der jetzige Papst vertritt, der sagt, man darf nicht einfach die Leute von anderswo herholen. Am Ende wird es wohl davon abhängen, ob sich der einzelne Mensch in Südtirol zu Hause fühlt, hineinwachsen kann und ob er auch da herpasst – so wie in jedem anderen Beruf eben auch. Es gibt Unternehmer, die nicht in Südtirol geboren sind, aber hierher gefunden, hier ein Unternehmen aufgebaut haben und hier erfolgreich arbeiten. Es gibt andere, die nur aus Österreich nach Südtirol gekommen und nicht so erfolgreich sind. Offensichtlich gibt es da abseits der soziologischen Diskussion auch die Frage, ob der Mensch, der da kommt, interessiert, geeignet und talentiert ist. <BR /><BR /><b>Ihr Traumziel Jerusalem liegt ja auch in der Ferne. Glauben Sie, das werden Sie irgendwann einmal erreichen?</b><BR />Bruder Moritz: Ins Heilige Land zu gehen ist nach wie vor ein faszinierender Ausblick. Auch wenn es derzeit schwierig ist – vor allem auch für die dort lebenden Franziskaner. Die Franziskaner im Heiligen Land haben so eine Art Zwischenposition: Auf der einen Seite müssen sie diese Heiligen Stätten beleben. Auf der anderen Seite werden sie von beiden Seiten, sprich von Juden und Moslems, um ihre Position gefragt. Und eigentlich wollen sie gar nicht Position beziehen. Insofern ist es immer noch faszinierend, irgendwann nach Jerusalem zu ziehen. Es gewinnt gleichzeitig auch immer mehr an Faszination, in Mitteleuropa Franziskaner zu sein. Wo ich mich in 20 Jahren sehe, weiß ich im Moment nicht. <BR /><BR /><b>Und zwischen Graz und Jerusalem liegt bekanntlich Südtirol. Viele junge Fachkräfte kehren aufgrund niedriger Löhne und hoher Lebens- und Wohnkosten nicht zurück. Solche Sorgen betreffen Sie ja nicht wirklich ...</b><BR />Bruder Moritz: Momentan bin ich Medienreferent der Franziskaner und in Salzburg stationiert. Das ist eine Funktion, die man im Franziskanerorden normalerweise nicht ewig inne hat. Danach wird man sehen, welche anderen Aufgaben richtig spannend und auch gebraucht sind. Ich kann jetzt im Moment nicht mit Gewissheit sagen, dass ich nach Südtirol zurückkehren werden. Ich kann es aber auch nicht ausschließen. Wer mich kennt, weiß, dass ein Tiroler früher oder später immer nach Tirol zurückkehrt.<BR />