Löscht WhatsApp vom Smartphone, nehmt einen anderen Messenger: Dieser Aufruf kommt von Tesla-Chef Elon Musk. Was steckt dahinter? Warum sollten wir auf den beliebten Gratis-Dienst verzichten? s+ hat den Brunecker Rechtsanwalt und Datenschutz-Fachmann Christian Notdurfter gefragt. Und er gibt eine klare Empfehlung. <BR /><BR /><BR /><i>Interview: Martin Lercher</i><BR /><BR /><BR /><b>Folgen Sie dem Aufruf des Tesla-Chefs?</b><BR />Christian Notdurfter*: Ich nutze bereits seit einigen Jahren keine Facebook-Dienste und somit auch kein WhatsApp. Kritik an diesen Diensten ist nicht neu. Das Thema hat aktuell durch Medien und den Aufruf von Herrn Musk eine breitere Gesellschaft erreicht und einen öffentlichen Diskurs auch bei uns angestoßen.<BR /><BR /><b>Warum nutzen Sie diese Dienste nicht?</b><BR />Notdurfter: Ich nutze soweit möglich nur solche Dienste, denen ich einigermaßen vertrauen kann. Nach den verschiedenen Skandalen rund um Facebook, wie Cambridge Analytica, habe ich die Grundsatzentscheidung getroffen, keine Facebook-Dienste mehr zu nutzen. Ich muss nicht überall mitmachen.<BR /><BR /><b>Was ist der Hintergrund für den jüngsten Aufruf des Tesla-Chefs?</b><BR />Notdurfter: WhatsApp hat seine Nutzungsbedingungen und Datenschutzrichtlinie geändert. Stein des Anstoßes ist insbesondere jene Bestimmung, die sehr allgemein und verklausuliert vorsieht, dass WhatsApp zahlreiche Daten insbesondere mit anderen Facebook-Unternehmen – und umgekehrt – teilen kann, um „unsere Dienste bzw. ihre Angebote, einschließlich der Produkte von Facebook-Unternehmen, [zu] betreiben, bereitstellen, verbessern, verstehen, individualisieren, unterstützen und vermarkten“. Nutzer müssen dies nun uneingeschränkt akzeptieren oder WhatsApp verlassen.<BR /><BR /><BR /><embed id="dtext86-47456181_quote" /><BR /><BR /><b>Also nichts wie weg von WhatsApp?</b><BR />Notdurfter: Nun, für Europa hat WhatsApp eigene Nutzungsbedingungen und Datenschutzrichtlinien veröffentlicht, was europäischem Datenschutz- und Wettbewerbsrecht zu verdanken ist. Was die Teilung der Daten innerhalb des Facebook-Konzerns betrifft, wird in den FAQ erklärt, dass Facebook „derzeit [derzeit] deine WhatsApp Account-Informationen nicht dazu nutzt, deine Produkterlebnisse auf Facebook zu verbessern oder dir interessantere Facebook-Anzeigen zu zeigen“. Das bedeutet allerdings nicht, dass Daten europäischer Nutzer nicht für andere Zwecke geteilt werden. Die verschiedenen Verlautbarungen von WhatsApp, die dem öffentlichen Aufschrei gefolgt sind, haben mich persönlich jedenfalls nicht überzeugt. Ob man WhatsApp nun verlassen sollte oder nicht, bleibt selbstverständlich jedem selbst überlassen. Die Änderungen der Nutzungsbedingungen und Datenschutzrichtlinie von WhatsApp können auf jeden Fall auch bei uns als willkommener Anlass gesehen werden, um über Datenschutz und zunehmende Daten- und Machtkonzentration bei Großkonzernen nachzudenken und zu versuchen, selbstbestimmter zu handeln. Man spricht in diesem Zusammenhang übrigens von „informationeller Selbstbestimmung“.<BR /><BR /><b>Was können Sie in diesem Sinn empfehlen?</b><BR />Notdurfter: Elon Musk empfiehlt den Open-Source-Dienst „Signal“. Ich kann diese Empfehlung für den privaten Gebrauch teilen. Für den beruflichen Einsatz eignet sich der Schweizer Dienst „Threema“, ein Open-Source-Dienst mit Server-Standorten in der Schweiz. „Element“ ist wahrscheinlich für besonders anspruchsvolle Nutzer der vielleicht interessanteste und zukunftsträchtigste Dienst, der allerdings wohl noch nicht massentauglich ist. Es handelt sich dabei um ein dezentrales System, das auf dem Open-Source-Protokoll Matrix basiert und auf eigenen Servern betrieben werden kann. „Telegram“ hingegen empfehle ich persönlich nicht, da Mitteilungen standardmäßig nicht Ende-zu-Ende verschlüsselt sind und ich den Dienst als nicht transparent genug empfinde.<BR /><BR /><b>Ganz allgemein: Wo müssen wir auf unsere Daten aufpassen – und vor allem wie?</b><BR />Notdurfter: Diese Fragen sind komplex und nicht kurz und knapp zu beantworten: Wir müssen aber besonders dort auf unsere Daten aufpassen, wo eine öffentliche oder private Überwachung stattfindet und Daten- sowie Machtmonopole entstehen können.<BR /><BR /><embed id="dtext86-47457650_quote" /><BR /><BR /><b>Das heißt konkret?</b><BR />Notdurfter: Ein erster Schritt ist die Bewusstseinsbildung, die wie so oft mit Fragen beginnt: Überlassen wir unsere Daten bewusst oder unbewusst einem einzigen Konzern? Welche Daten sammelt dieser Konzern und was macht er damit? Kann dieser Konzern z. B. jederzeit meine Stimmungslage, politische Meinung und Schwächen erkennen oder sogar für die Zukunft vorhersagen? Erhalte ich durch eine psychologische Analyse meiner Person auf mich zugeschnittene Werbung oder kann ich dadurch etwa auch anderweitig, z. B. politisch manipuliert oder diskriminiert werden? Man kann sich sodann fragen, was man als Gesellschaft und als Individuum tun kann, um die Kontrolle über uns zurückzuerlangen.<BR /><BR /><b>Was kann der oder die Einzelne tun?</b><BR />Notdurfter: Ja, der Einzelne dürfte in der Regel teilweise überfordert sein und kaum seine Rechte geltend machen. Somit handelt es sich zum aktuellen Zeitpunkt wohl auch um eine gesellschaftliche Aufgabe. Gesellschaftlich kann versucht werden, ein erweitertes Bewusstsein zu schaffen und eine aufgeklärte und vernünftige Datenschutzkultur zu entwickeln. Hier sind auch Bildungseinrichtungen angesprochen, denn Datenschutz sehe ich insbesondere auch als eine Bildungsaufgabe an. Ferner muss die Qualität des Datenschutzes in Unternehmen zunehmen. Datenschutz- und Wettbewerbsbehörden müssen bei Datenschutz- und Wettbewerbsverstößen v. a. bei Großkonzernen viel konsequenter durchgreifen. Auch Verbraucherorganisationen werden in Zukunft eine gewichtigere Rolle hinsichtlich Aufklärung und Rechtsdurchsetzung einnehmen müssen. Wir stehen hier als Individuen und gesellschaftlich erst am Anfang einer längeren Entwicklung.<BR /><BR />* Christian Notdurfter ist Rechtsanwalt mit den Schwerpunkten internationales Handels- und Vertriebsrecht, geistiges Eigentum und Datenschutzrecht.<BR /><BR /><BR /><BR />