<b>STOL: Herr Kaser, eine neue, <a href="https://www.stol.it/artikel/chronik/marmolata-200-meter-lange-spalte-im-gletscher-entdeckt" target="_blank" class="external-link-new-window" title="">200 Meter lange und bis zu 35 Meter breite Spalte</a> ist am ohnehin schon gebeutelten Gletscher der Marmolata entstanden. Wie kritisch ist die Situation dort?</b><BR />Georg Kaser: An den Bildern allein ist das nicht abzuschätzen. Ferndiagnosen sind unseriös. Vermutlich ist ein unterer Teil des Gletschers abgesackt. So etwas Ähnliches dürfte im Jahr 2003 am Hintereisferner in den Ötztaler Alpen passiert sein. Der obere Teil rutschte schneller hinab, weil er mehr Wasser enthielt. Am Hintereisferner ist nichts passiert, weil das Eis abgefangen wurde. Was bei der Marmolata passiert, kann man anhand der Bilder allein nicht sagen. Die Kollegen im Trentino haben das im Griff und Leute sollen aufhören, Spekulationen aus der Ferne anzustellen. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="789992_image" /></div> <BR /><BR /><b>STOL: Sind Gletscher in Südtirol auch so stark von der Hitze betroffen wie die Marmolata?</b><BR />Kaser: Alle Gletscher zerbröseln gerade. In 20 bis 30 Jahren wird es sie nicht mehr geben. Gerade haben Gletscher Zerfallserscheinungen und wenn es diese an einer steilen Stelle gibt, fällt das Eis hinunter. Wenn es flach ist, wird es liegen bleiben. Nach jedem Bruch schmilzt das Eis schneller. Es ist wie bei einem Eis am Stiel, das man aus dem Eiskasten nimmt. Wenn ich es 10 Minuten in der Sonne stehen lasse, bröckeln Eisstücke runter und das Eis wird „faul“. So ist es gerade bei den Gletschern, nur meistens sind keine Menschen darunter und keiner merkt es. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="789995_image" /></div> <BR /><BR /><BR /><b>STOL: Könnten die Gletscher sich mit einem kalten Winter wieder erholen?</b><BR />Kaser: Es wird keine kalten Winter mehr geben. Die Nullgradgrenze liegt immer höher. Was es schon geben könnte, sind schneereichere Winter. Heuer spielt es eine Rolle, dass es nur wenig Schnee gab und das Eis gleich zum Vorschein kam. Das Eis ist dunkel und dreckig und die Sonne heizt mehr ein. Die hohen Temperaturen sind aber für die Schmelze verantwortlich. Die Nullgradgrenze ist schon seit Wochen permanent auf über 4000 Metern. Der Hintereisferner ist seit den 1890er Jahren einer der am besten untersuchten Gletscher der Welt. Im Jahr 2003 war Ende Juli der Punkt, wo der ganze Schnee vom Winter weggeschmolzen war. Danach schmolzen noch 3 Meter Eis, ein Negativrekord. Heuer hatten wir diesen Punkt bereits am 22. Juni. <BR /><BR /><BR /><embed id="dtext86-55235947_quote" /><BR /><BR /><BR /><b>STOL: Welche Zukunft haben die Gletscher?</b><BR />Kaser: Wir verlieren schon seit 20 Jahren kleine Gletscher. Sie haben aber keinen Namen und es merkt keiner. Die größten Gletscher wie der Suldenferner werden noch ein paar Jahrzehnte überleben, aber der Rest ist bald weg. Es kann schon sein, dass in einer schattigen Mulde weiterhin Eis ist, das hat aber mit unseren Gletschern nichts mehr zu tun. Es muss auch gar nicht heißer werden. Das Klima, wie wir es jetzt haben, reicht dazu aus. Wir werden heuer überall zwischen 3 und 4 Meter Eis verlieren. In 20 bis 30 Jahren wird es bei uns keine Gletscher mehr geben. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="789998_image" /></div> <BR /><BR /><BR /><b>STOL: Welche Folgen wird das haben?</b><BR />Kaser: Beim Wasserhaushalt spielen unsere Gletscher eine kleinere Rolle. Dann gibt es noch das Problem von Steinschlägen, da die Festigkeit nicht gegeben ist, wenn das Eis wegschmilzt. Aber danach wird es grün werden und es ist überhaupt kein Problem mehr. Nur als Signal ist es sehr eindringlich. Wir können von Tag zu Tag zuschauen, wie der Klimawandel alles niedermacht. Bei anderen Sachen sieht man es nur nicht so schnell. Das Schmelzen der Gletscher geht den Menschen unter die Haut.