<b>von Hans Rieder</b><BR /><BR />Der Bittgang war ursprünglich eine Angelegenheit der Bauern und Knechte, die im Frühjahr, noch bevor sie die Äcker bestellten und das Korn säten, um eine gute Ernte beteten. Das Gedeihen des Korns entschied, ob es ein gutes Erntejahr wurde. Getreide gehörte neben den Kartoffeln und dem Heu für das Vieh zu den wichtigsten Produkten am Hof. <BR /><BR />Aus Korn wurde das Mehl gemahlen, das Grundnahrungsmittel, denn das hofeigene Brot blieb für die Familien unverzichtbar. Es lag daher nahe, dass diesem Teil der Bauernarbeit eine besondere Aufmerksamkeit galt. Kornfelder prägten einst das Landschaftsbild des Tales und sicherten den Bauernfamilien und den Dienstboten Brot und Auskommen.<h3> Der Bittgang durch die Dörfer</h3>Mittlerweile beteiligen sich an diesem schönen religiösen Brauch auch Leute aus nicht bäuerlichen Kreisen. Es nehmen auch immer mehr junge Leute teil und gestalten den zweitägigen Bittgang in ihrem Sinne. Gerade in den letzten Jahren erfährt der Bittgang einen Zuspruch, der beachtenswert ist. Während Anfang der 1970er Jahre vorübergehend ein deutlicher Rückgang an Teilnehmern zu verzeichnen war, stieg die Zahl der Männer, die sich auf den Kreuzgang machen, letzthin wieder deutlich an. <BR /><BR />Die „Ehrenburga Kreize“ gehören zu den ältesten Bittgängen in Südtirol. Die mündlichen Überlieferungen lassen vermuten, dass der Beginn im 14. Jahrhundert liegt. <BR /><BR />Der mittlerweile 655-jährige Bittgang hat eine sehr bewegte Geschichte hinter sich. Zeitweise wurde er von verschiedenen Pfarrern und vom bischöflichen Ordinariat verboten, weil sich Missstände einschlichen: Raufereien und übermäßiger Alkoholgenuss häuften sich. Es kam auch zu Sitten gefährdenden Übernachtungen, da zeitweise auch Frauen bei dem Kreuzgang mitmachten. Um die Mitte des 19. Jahrhunderts waren die „Ehrenburga Kreize“ stark gefährdet, von oben abgeschafft zu werden. <BR /><BR />Schließlich rettete im Jahre 1854 ein Kompromiss die Situation: Die Ahrntaler willigten ein, dass fortan keine Frauen mehr teilnehmen durften.<BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1173378_image" /></div> <BR />Jedes Jahr wiederholt sich der immer gleiche Ablauf dieses Bittganges. Bereits in den Tagen vorher wird das durchschossene Kreuz von Heilig Geist in die Pfarrkirche nach Prettau gebracht. Die sogenannten Ordner sind dann dafür verantwortlich, dass der Pilgerzug nach einem streng festgelegten Zeit- und Ablaufplan abgewickelt wird. <BR /><BR />Beim Langackerer hinter Kasern beginnt der Bittgang am Donnerstag eine Stunde vor Mitternacht. Der Weg führt in die Pfarrkirche von Prettau, wo um 24 Uhr der offizielle Bittgang beginnt. Im Stundentakt geht es durch die Dörfer des Ahrntales. Ab St. Peter wird eine Kirchenfahne mitgetragen, deren Bild vom Priester Johann Baptist Oberkofler aus St. Johann gemalt wurde. Bei der Ankunft in den Dörfern werden die „Kreize“ bei den Kirchen ein- und beim Weitergang ausgeläutet. <BR />Mit einer feierlichen Messe wird um 4 Uhr morgens die Ankunft der Prozessionsteilnehmer in St. Johann begangen. Dabei wird das Marienlied „Wir ziehen zur Mutter der Gnaden…“ gesungen. Gegen 6 Uhr trifft der Bittgang in Luttach ein, zieht auf den Pfarrhügel zur Kirche, verlässt betend das Ahrntal und nimmt in Sand in Taufers die nächsten Bittgänger in seine Reihe auf.<h3> Von Gönnern am Wegesrand</h3>In Gais wird nochmal Rast gemacht und gegessen. Die Verpflegung für die zwei Tage haben die Teilnehmer in ihren Rucksäcken verstaut, die neben einem guten Schuhwerk und dem Regenschirm zu den wichtigsten Ausstattungen gehören. Mittlerweile gibt es längs des Weges immer wieder auch die Gönner, die die Pilger mit Essen und Getränken verpflegen. <BR /><BR />In der Kreuzkirche von Bruneck wird bei einem Gottesdienst für die verstorbenen Kreuzgänger gebetet. Nach einer Zwischenrast in St. Lorenzen geht es zur Pfarrkirche nach Pflaurenz und anschließend durch den Ehrenburger Wald in Richtung Dorf. <BR /><BR />Jetzt tut sich den Betern der schöne Blick zur Ehrenburger Pfarrkirche und zum Schloss auf. Traditionsgemäß wartet eine Frau mit einem Blumengebinde vor dem Dorf und schmückt damit das durchschossene Kreuz, das die ganze Strecke lang abwechselnd von verschiedenen Teilnehmern getragen wird. Gegen 17 Uhr erreichen die Wallfahrer ihr Ziel. Mit einem Wohlfahrtsamt und der Pilgermesse findet der Bittgang an diesem Tag seinen kirchlichen Abschluss. <h3> Die geraubte Kornmutter</h3>In der Wallfahrtskirche zu Ehrenburg wird die Mutter Gottes in drei verschiedenen Darstellungsformen verehrt: als „Unsere Liebe Frau im Ährenkleid“, als Jungfrau und Mutter mit dem Jesuskind und als Schmerzensmutter. 1975 wurden aus der Marienkapelle der Kirche wertvolle Kultgegenstände geraubt. Die Räuber hatten es vor allem auf die Kornmutter abgesehen. <BR /><BR />Sie ließen aber auch die Statue der Schmerzensmutter, die schönen Barockengel am Strahlenkranz der Schmerzhaften sowie eine Statue von Johannes dem Evangelisten mit Maria unterm Kreuz mitgehen. Auch das wertvolle Votivbild, das eine Türkenschlacht bei Belgrad darstellte, fiel dem Raub zum Opfer. In der Kirche verblieben das Bild von der Jungfrau im Ährenkleid und der schöne Barockrahmen, in dem die Kornmutter gestanden ist. <BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1173381_image" /></div> <BR />Sogleich versuchten die Verantwortlichen, einen der geraubten Gegenstände durch Nachbildungen zu ersetzen. So wurde auch eine neue Statue der Kornmutter beim Bittgang am 25. Mai 1979 aus dem Ahrntal mitgebracht und in der Kapelle aufgestellt. <BR /><BR />Dazu stehen im Pfarrbrief von Ehrenburg diese Zeilen: „Die Statue der Kornmutter kommt mit heutigem Datum aus der Schnitzschule in St. Jakob in Ahrn unter der Leitung des Meisters Jakob Oberhollenzer. Gefertigter Pfarrer gab dem Meister den Auftrag vor circa einem Jahr mit dem ausdrücklichen Wunsch, er möge zunächst ein Modell anfertigen, um das Urteil vom Landeskonservator Dr. Karl Wolfsgruber einzuholen. Der Eifer der Ahrnerpilger ließ dazu dem Meister leider nicht die nötige Zeit, denn das Komitee der Ahrnerpilger drängte darauf, die Statue bei diesem Kreuzgang am 25. Mai 1979 mit zu tragen“ (aus dem Privatarchiv vom Weißnbachlbauer).<BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1173384_image" /></div> <BR />Am Samstagmorgen wird schon um 4 Uhr in der Pfarrkirche in Ehrenburg eine Heilige Messe gelesen. Mit dem Ausläuten verlässt der Pilgerzug wieder die Kornmutter und zieht nach Kiens hinüber, wo die Pilger vom dortigen Pfarrer und zwei Ministranten an der Hauptstraße empfangen und in die Pfarrkirche begleitet werden. <BR /><BR />Zeitweise findet dort ein festliches Hochamt statt. Da die Pilger vom langen Gang am Vortag und der kurzen Nacht sehr müde sind, nicken sie in der Kirche häufig ein (laut Aussagen eines Teilnehmers). Daher findet derzeit nur mehr eine kurze Andacht statt. Der Pfarrer begleitet den Kreuzzug dann noch bis zu einem Feldkreuz und lässt den betenden Pilgerzug weiterziehen.<h3> Die Pilger kehren heim</h3>Auf dem langen Rückweg wird noch in den Kirchen von Issing, Pfalzen, St. Georgen, Gais und in der Pfarre von Sand in Taufers eingekehrt und Andacht gehalten. Beim Schlosskreuz in St. Moritzn sammelt sich um 13 Uhr der Zug der Wallfahrer nach einer etwas lockeren Phase wiederum und tritt die letzte Etappe auf dem Rückweg ins Ahrntal an. <BR /><BR /> Dort werden die Pilger mit dem schönen Gesang vom Engel des Herrn verabschiedet. Ab Taufers wird der Zug von Dorf zu Dorf kleiner, weil die aus dem jeweiligen Dorf stammenden Teilnehmer an ihren Heimatorten den Bittgang beenden. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1173387_image" /></div> <BR />Johann Künig, im Jahre 1936 geboren, ist einer der „Ehrnburggiehna“, die öfter als 50-mal beim Bittgang dabei waren. Er wuchs ban „Stuana“ in St. Jakob auf, erlernte dort die Bauernarbeit und wurde bereits mit 17 Jahren Knecht „an do Ebne“, einem Bergbauernhof in St. Jakob. Er erzählt, dass er dort zum ersten Mal mit die „Kreize“ mitgehen durfte. Das war für ihn ein besonderes Erlebnis, denn bis dahin war er noch nie in Bruneck gewesen. <BR /><BR />Es folgte der Dienst an mehreren Bauernhöfen, und damit blieb immer auch ein Pflichttermin im Bauernjahr aufrecht: der Gang und das Gebet zur Kornmutter in Ehrenburg in der Bittwoche im Mai. „Ehrnburg gieh, ischmo bliebm“, sagt der Hansl heute noch, nicht ohne Stolz. Seine Erzählungen geben Zeugnis der tiefen Religiosität und der Marienverehrung, die er sich bis heute behalten hat. <h3> „Glockengeläut berührt“</h3>Im Jahre 2012 hat er zum letzten Mal am Bittgang teilgenommen. Seither ist der lange Weg für den fast 90-jährigen Ahrntaler zu weit geworden. Ganz los lässt dieser traditionelle Bittgang den Hansl aber nicht. Je näher die Bittwoche kommt, umso mehr beschleicht ihn auch ein bisschen Wehmut. Zu gerne wäre er noch dabei, die Erinnerungen, die starken Gefühle, sie kommen wieder auf, wenn die Bittgänger am frühen Morgen an seinem Heimathaus vorbeiziehen. Mit dem Bus nach Ehrenburg fahren, um dort an der Messfeier teilzunehmen, will er nicht. „Wenn ich es zu Fuß nicht mehr schaffe, dann muss man es halt lassen“, sagt er etwas wehmütig.<BR /><BR />Und so erinnert er sich gerne an die emotionalsten Momente des Pilgergangs. „Das vierstimmige Gebet bei der Ankunft in der Wallfahrtskirche zu Ehrenburg, das Glockengeläut, das berührt“, erzählt der Hansl, der viele Jahre lang auch bei den Vorbetern war. <BR /><BR />Auch heuer wird er wieder vor seinem Haus stehen und die Pilger grüßen, wenn sie am Freitag, den 30. Mai in der Früh bei ihm vorbeiziehen. Seine Gebete, die Erinnerungen und die guten Wünsche gibt er den Gläubigen mit auf den Weg nach Ehrenburg.