<b>Von Miriam Roschatt</b><BR /><BR />Der Oktober steht ganz im Zeichen der seelischen Gesundheit: Gleich zwei Aktionstage rückten das Thema jüngst in den Mittelpunkt – der Europäische Depressionstag am 1. Oktober und der Welttag der psychischen Gesundheit am 10. Oktober. Während dabei der Mensch im Fokus steht, lohnt sich ein Blick über den Tellerrand – oder besser gesagt: über den Fressnapf.<BR /><BR />Denn auch Haustiere können psychisch leiden. „Inneres Wohlbefinden ist nämlich nicht nur beim Menschen ein Thema, sondern auch bei Tieren“, betont Franz Hintner, Tierarzt und Präsident der Südtiroler Tierärztekammer.<BR /><BR /><b>Depressiv wirkende Haustiere – gibt's das wirklich?</b><BR /><b>Franz Hintner:</b> Die Frage ist berechtigt, aber gar nicht so einfach zu beantworten. „Depression“ ist eigentlich ein Begriff aus der Humanmedizin und deshalb in der Tiermedizin nicht geläufig. Doch auch Tiere können ein Verhalten zeigen, das an menschliche Depressionen erinnert. Wir sprechen hier von Verhaltensstörungen. <BR /><BR /><b>Welche Verhaltensweisen bei Tieren lassen auf eine Art „Tier-Depression“ schließen?</b><BR />Ein typisches Anzeichen kann Lethargie sein – also Antriebslosigkeit –, fehlender Appetit und allgemeine Lustlosigkeit. Doch Vorsicht: Nicht jede Müdigkeit oder Antriebslosigkeit beim Haustier deutet auf inneres Leid hin. Zunächst sollte überprüft werden, ob körperliche Ursachen oder akute beziehungsweise chronische Erkrankungen hinter dem veränderten Verhalten stecken. Auch das Alter eines Haustiers sollte berücksichtigt werden. Ältere Tiere zeigen beispielsweise weniger Bewegungsdrang als Tiere in jungen Jahren.<BR /><BR /><b>Wenn körperliche oder altersbedingte Ursachen ausgeschlossen werden können und das Tier dennoch depressionsähnliche Verhaltensauffälligkeiten aufweist – welche Gründe stecken dann dahinter?</b><BR />Fast immer liegt die Ursache bei einer falschen Haltung. <BR />Dazu gehören eine ungeeignete Umgebung, eine falsche Tier-Mensch-Beziehung, unzureichende oder falsche Ernährung, inkonsistente Erziehung, fehlende Auslastung und Bewegung sowie Isolation und mangelnde soziale Kontakte zu Artgenossen.<BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1232313_image" /></div> <BR /><b>Können sich Haustiere eigentlich einsam fühlen?</b><BR />Ja, Tiere können unter Einsamkeit leiden – aber wie stark und in welcher Form, das hängt von der Art und ihrem Sozialverhalten ab. Hunde zum Beispiel entwickeln enge Bindungen zu ihren Bezugspersonen und empfinden Einsamkeit meist dann, wenn ihre Bezugsperson stirbt oder viel abwesend ist. Gar einige Menschen gehen morgens zur Arbeit und lassen ihren Hund den ganzen Tag allein in der Wohnung – das kann zu Verhaltensproblemen führen. Bei Vögeln wie Papageien und Wellensittichen, Meerschweinchen oder Kaninchen ist es nochmal dramatischer: Diese Tiere leben in der Natur in sozialen Gruppen. Werden sie aus ihrem natürlichen Lebensraum und ihrer Gruppe herausgelöst und oft alleine in Käfigen gehalten, fehlt ihnen der essenzielle Austausch mit Artgenossen. Das führt häufig zu stereotypen Verhaltensstörungen – also zu ständig wiederholten Handlungen ohne erkennbaren Zweck. Und das kann langfristig zu Stress oder Apathie führen. Papageien zeigen ihr Unwohlsein zum Beispiel durch Gefiederprobleme wie exzessives Federpicken oder durch verminderte Lautäußerungen.<BR /><BR /><b>Wie ist das bei Katzen?</b><BR />Katzen brauchen sowohl Freigang als auch ihren Freiraum, um ihren natürlichen Bedürfnissen nachgehen zu können. Selbst Hauskatzen haben das Bedürfnis, Mäuse oder andere kleine Tiere zu jagen, auch wenn sie ausreichend Futter bekommen. Dieser Jagdtrieb ist ein grundlegender Instinkt und Teil ihres natürlichen Verhaltensrepertoires. Wer Katzen dauerhaft in einer Wohnung hält, in der sie lediglich Futter, Wasser und einen Kratzbaum haben, beraubt sie ihrer Möglichkeiten, diesen Instinkten nachzugehen. Das kann<BR />zu Verhaltensauffälligkeiten, zu Frustration oder Stress führen.<BR /><BR /><b>Was sollte man bei der Haltung von Haustieren also unbedingt vermeiden, um Einsamkeit und Verhaltensstörungen zu verhindern?</b><BR />Ein häufiger Fehler ist, ein Haustier nur anzuschaffen, um Kindern eine Freude zu bereiten. Oft lässt die anfängliche Begeisterung nach, und das Tier wird kaum noch beachtet. Ein weiterer häufiger Fehler ist, dass viele Haustiere ohne Artgenossen gehalten werden. Der Kontakt zu ihrer eigenen Art ist für ihr Wohlbefinden entscheidend – und ein Mensch kann diese soziale Bindung nicht ersetzen, auch wenn er denkt, dass er das tut.<BR /><BR /><b>Wie verhält es sich bei Nutztieren wie Kühen und Schweinen? Können auch sie – ähnlich wie Haustiere – Verhaltensmuster wie Antriebslosigkeit aufweisen?</b><BR />Ziegen, Schafe, Pferde, Hühner und Kühe brauchen den Kontakt zu Artgenossen, um sich auszutauschen, sich gegenseitig zu schützen und ihre natürlichen Verhaltensweisen auszuleben. In den meisten Fällen ist dies gewährleistet, weshalb ich dort nicht dieselben Probleme wie bei Haustieren sehe.<BR /><BR /><b>Wie gehen Sie therapeutisch vor, wenn ein Haustier Verhaltensstörungen aufweist?</b><BR />Es gibt verschiedene Vorgehensweisen. Zunächst wird überprüft, ob eine körperliche Erkrankung vorliegt. Lässt sich eine medizinische Ursache ausschließen, liegt das Problem häufig in der Erziehung oder Haltung des Tieres. Dann ist der Mensch gefragt: Er muss aktiv werden und die Lebensumstände seines Haustieres anpassen.<BR /><BR /><b>Wie sollte man als Besitzer vorgehen, wenn ein Hund aufgrund traumatischer Erfahrungen aggressiv ist?</b><BR />Zeigt ein Hund auffälliges oder aggressives Verhalten, ohne dass eine Krankheit dahintersteckt, ist eine verhaltenstherapeutische Behandlung erforderlich. In solchen Fällen ist eine fachkundige Beratung ratsam, um Haltung und Umgang gezielt zu verbessern. In bestimmten Situationen können auch Medikamente – etwa Psychopharmaka – eingesetzt werden. Eine dauerhafte Medikation ist jedoch bei keinem Haustier eine Lösung.<BR /><b><BR />Gibt es aus Ihrer Sicht so etwas wie Suizid bei Tieren?</b><BR />Nein, nach meinen Erfahrungen kommt Suizid bei Tieren nicht vor.