<h3> Der Angriff</h3>Am 30. Jänner 1968 sprengten 19 kommunistische Vietcong um 2.45 Uhr ein Loch in die Mauer, die die amerikanische Botschaft in Saigon umgab, und stießen auf das Gelände der Botschaft vor, wo brutal gekämpft wurde. Nach 6 Stunden waren alle 19 tot. Heute erinnert eine Gedenktafel an der ehemaligen US-Botschaft mit den Namen der Kämpfer an dieses Kommandounternehmen, das Teil einer koordinierten Großoffensive der Nordvietnamesen und des Vietcong während des buddhistischen Neujahrsfestes Tet war.<BR /><BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="859271_image" /></div> <BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><BR />Es war ein von den Amerikanern nicht mehr für möglich gehaltener Großangriff von 85.000 Soldaten gegen 5 der 6 großen Städte Südvietnams, 36 der 44 Provinzhauptstädte und ein Viertel der 242 Provinzstädte. Das Unternehmen war bereits Mitte 1967 in Hanoi geplant worden und stand unter der Leitung von <b>General Giap</b> (im Bild oben), der wie 1954 bei Dien Bien Phu die Franzosen mit einem großen Schlag jetzt auch die Amerikaner besiegen wollte. Während viele Vietnamesen einen Angriff während Tet eher als Sakrileg betrachten würden, glaubte Giap, dass gerade dies von Vorteil sein könne. Im Übrigen verwies er auf ein historisches Vorbild: 1789 hatten vietnamesische Patrioten die Chinesen in Hanoi während des Neujahrsfestes angegriffen. Die Propaganda für den Angriff lautete:<BR /><i><BR />„Die große Offensive wird es nur einmal alle tausend Jahre geben. Sie wird das Schicksal des Landes entscheiden. Sie wird den Krieg beenden. Sie entspricht den Wünschen sowohl der Partei wie auch des Volkes.“</i><h3>Khe Sanh kein Dien Bien Phu</h3>10 Tage vor dem Angriff begann Giap ein Ablenkungsmanöver: Khe Sanh, die Basis der US-Marines im Nordwesten Südvietnams, wurde angegriffen und belagert. In Washington erinnerte man sich mit Schrecken an Dien Bien Phu. <b>Präsident Johnson </b> war geradezu besessen von dieser Idee. Im Weißen Haus ließ er ein Sandkastenmodell Khe Sanhs bauen, verlangte von den Stabschefs ein <i>„Glaubensbekenntnis“</i>, dass der Oberbefehlshaber der US-Truppen in Südvietnam, <b>General Westmoreland,</b> Khe Sanh halten könne, und ließ sich dann laufend über die <i>„Operation Niagara“</i> informieren: den Abwurf von 75.000 Tonnen Bomben auf die kommunistischen Belagerer. So viele waren noch niemals zuvor in der Kriegsgeschichte auf ein taktisches Ziel abgeworfen worden. Am Ende gab es 10.000 tote Kommunisten und 500 tote Amerikaner. Offensichtlich war es nicht die Absicht Giaps, Khe Sanh zu erobern. Im Juni 1968 gaben die Amerikaner die Basis auf. Bulldozer sorgten dafür, dass nichts mehr an die Belagerung erinnerte und die Nordvietnamesen keine Gelegenheit hatten, später einmal dort ein Siegesdenkmal zu errichten.<BR /><BR />In Südvietnam dauerten die schwersten Kämpfe insgesamt etwa 14 Tage. Am Ende hatten die Amerikaner und Südvietnamesen den kommunistischen Ansturm erfolgreich zurückgeschlagen. Am längsten hatten die Vietcong die alte Kaiserstadt Hue besetzt gehalten, wo sie über 2000 Zivilisten exekutierten.<h3>Tet als Wendepunkt</h3>Giap hatte 2 Ziele nicht erreicht: Es kam nicht zu dem erwarteten allgemeinen Volksaufstand in Südvietnam und auch nicht zum Zusammenbruch der südvietnamesischen Armee, die zwischen 4000 und 8000 Soldaten verlor. Die Kommunisten hatten 40-50.000 Tote zu beklagen, das hieß, die Vietcong waren nahezu vollständig vernichtet worden. Von nun an wurde der Krieg fast ausschließlich von Nordvietnamesen geführt, ein Ergebnis, das in Hanoi nicht völlig unwillkommen war, auch wenn sich so mancher südvietnamesische Kommunist von seinen Brüdern im Norden verraten fühlte. <BR /><BR />Tet war in anderer Hinsicht ein Wendepunkt: Militärisch zwar ein Sieg, aber politisch eine Niederlage. Die amerikanische Öffentlichkeit verlor den Glauben an den Sieg. Johnson und die Militärs büßten ihre Glaubwürdigkeit ein, hatten sie doch glauben machen wollen, dass der Sieg in Vietnam unmittelbar bevorstehe. Nun sah sich der <i>„einfache Amerikaner“</i> mit unglaublichen Bildern konfrontiert, die das Fernsehen in jede Wohnung brachte: Kämpfe auf dem Gelände der US-Botschaft, die angeblich uneinnehmbar war, Häuserkampf in Khe Sanh und die auf der Straße von Saigon durchgeführte Exekution eines Vietcong durch den südvietnamesischen Polizeipräsidenten (wobei niemand wusste, dass dessen Familie kurz zuvor von Vietcong ermordet worden war).<BR /><BR />Entscheidend wurde dann der Abend des 27. Februar 1968, als der populäre CBS-Nachrichtensprecher <b>Walter Cronkite</b> (Bild unten) nach einem Besuch Südvietnams erklärte, der Krieg sei nicht zu gewinnen, man müsse verhandeln. Die amerikanische Öffentlichkeit glaubte Cronkite mehr als jedem Militär oder Politiker. Johnson hat als Reaktion angeblich gesagt: <i>„Wenn ich Cronkite verloren habe, habe ich die Mehrheit der Amerikaner verloren.“</i><BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="859274_image" /></div> <BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><BR />Als Westmoreland auf Empfehlung der Stabschefs weitere 206.000 Soldaten anforderte, beauftragte Johnson den neuen Verteidigungsminister <b>Clark Clifford</b> mit einer Prüfung der Gesamtlage. Clifford machte Anfang März klar, worum es ging: <i>„Wir vergeuden den Reichtum unseres Landes und das Leben unserer Männer im Dschungel.“</i> Würde Johnson, so Clifford, der Forderung der Militärs nachgeben, so würde das <i>„mehr Truppen, mehr Waffen, mehr Flugzeuge, mehr Schiffe bedeuten, ohne dass wir erreichen, was wir wollen.“</i> Das war genau das, was auch Johnson fürchtete; die Militärs würden dann nochmals 200.000 oder 300.000 Soldaten anfordern, ohne dass ein Ende in Sicht wäre.<h3>Johnson gibt auf</h3>Am 12. März, zwei Tage nach der Veröffentlichung von Westmorelands Forderung in der <i>„New York Times“</i>, fanden in New Hampshire Vorwahlen statt. Widerstand regte sich. Der demokratische Senator <b>Eugene McCarthy</b> aus Minnesota, der offen ein Ende der Bombardements und die Eröffnung von Verhandlungen mit Hanoi forderte, wagte es, gegen Johnson und dessen mögliche erneute Kandidatur für das Präsidentenamt anzutreten. Trotz der Wahlslogans <i>„Eine Stimme für McCarthy ist eine Stimme für den Feind.“</i> Oder: <i>„Die Kommunisten in Vietnam beobachten die Vorwahlen in New Hampshire“</i>, erhielt McCarthy 50.000 Stimmen; das waren nur knapp 300 weniger als Johnson. McCarthy war trotzdem nur ein Symbol, keine Gefahr für Johnson. Das war mit <b>Robert Kennedy</b>, Bruder des ermordeten Präsidenten, anders – eine reale Gefahr. Robert Kennedy stellte sich den Vorwahlen in Wisconsin, die für den 2. April 1968 angesetzt waren.<BR /><BR />Die Manager der Demokratischen Partei fürchteten damals den Niedergang der Partei. Was Vietnam betraf, so meinte einer von ihnen: <i>„Kaum jemand ist noch am Sieg interessiert. Jeder will nur Schluss machen; die einzige Frage ist: wie?“</i> Inzwischen wurden auch die wirtschaftlichen und finanziellen Konsequenzen immer deutlicher. Johnson hatte den Krieg, der bislang jährlich 3,6 Mrd. Dollar gekostet hatte, durch Budgettricks und ohne Steuererhöhungen finanziert. Jetzt gab es eine Wirtschaftskrise, Inflation und ein Budgetdefizit. Das Weltwährungssystem geriet in Gefahr: Der Dollar verlor an Wert, an der Londoner Goldbörse wurde auf Bitten Washingtons der Handel eingestellt.<BR /><BR />Am 26. März konsultierte Johnson noch einmal die<i> „weisen Männer“</i>. Unter ihnen waren große Namen des Kalten Krieges: <b>Dean Acheson</b> (ex-Außenminister), <b>Arthur Goldberg</b> UNO-Botschafter), <b>George Ball</b> (Unterstaatssekretär), <b>Henry Cabot Lodge</b> (Ex-Botschafter in Saigon), <b>Douglas Dillon</b> (Ex Finanzminister), <b>John McCloy</b> (Ex-Hochkommissar in Bonn), die ehem. Generäle <b>Omar Bradley</b> und <b>Matthew Ridgway, Dean Rusk</b> (Außenminister), die ehem. Präsidentenberater <b>Walt Rostow</b> und <b>Earl Wheeler</b> und <b>Clark Clifford.</b> Dean Acheson fasste die Meinung der Mehrheit folgendermaßen zusammen:<BR /><i><BR />„In der Zeit, die uns noch bleibt, können wir den Job, den wir uns in Südvietnam vorgenommen hatten, nicht zu Ende bringen, und wir müssen damit beginnen, unser Engagement zu beenden.“ </i>(„...we must begin to take steps to disengage.“)<BR /><b><BR />George Ball</b> wies auf die Bedeutung der fortdauernden Bombardierung hin: <i>„Solange wir das weitermachen, bringen wir weiter die zivilisierte Welt gegen uns auf.“</i><b>General Ridgway</b> schlug eine Taktik vor, die dann später <i>„Vietnamisierung“</i> hieß; man solle dafür der südvietnamesischen Regierung 2 Jahre Zeit geben, <i>„danach beginnen wir mit dem Abzug unserer Truppen“.</i><b>McCloy</b> war gegen eine radikale Wende und sprach sich für jene 200.000 zusätzlichen Soldaten aus. Er blieb – mit Rostow – in der Minderheit. Am 28. März meinte Johnson: „Jeder empfiehlt die Aufgabe.“ Drei Tage später gab er auf.<BR /><BR />Am Abend des 31. März wandte er sich über das Fernsehen an die Nation. Im Entwurf der Rede – vor der Sitzung der <i>„Wise Men“</i> fertiggestellt – hatte der erste Satz noch gelautet: <i>„Meine Landsleute, ich möchte mit Ihnen heute Abend über den Krieg in Vietnam sprechen.“</i> Jetzt hatte er <i>„Krieg“</i> durch <i>„Frieden“</i> ersetzt. Er kündigte das Ende der Bombardierung Nordvietnams an, mit Ausnahme jener Gebiete, die unmittelbar nördlich der entmilitarisierten Zone lagen. Gleichzeitig verband er dies mit dem Angebot an Nordvietnam zu Verhandlungen, die Botschafter <b>Averell Harriman</b> führen sollte. Der Knalleffekt kam am Ende seiner Rede: Völlig überraschend und unerwartet selbst für seine engsten Mitarbeiter teilte Johnson seinen Verzicht auf eine erneute Kandidatur für das Präsidentenamt mit. 4 Jahre zuvor hatte er einmal gesagt, er wolle nicht in einen Krieg in Asien verwickelt werden, Vietnam bedeute für ihn <i>„absolut nichts“</i> und sei nicht das Leben eines einzigen amerikanischen Soldaten wert. Jetzt hatte ihn dieser Krieg, den er nicht gewollt hatte, politisch zu Fall gebracht.<BR /><BR />Am 13. Mai 1968 begannen in Paris sogenannte Friedensgespräche. Inzwischen wissen wir aus nordvietnamesischen Quellen, dass Hanoi zu diesem Zeitpunkt an ernsthaften Verhandlungen nicht interessiert war. Den Kommunisten ging letztlich nur darum, etwas über die Intentionen der Amerikaner herauszufinden, die dann auch die Forderung nach bedingungsloser Einstellung der Bombenangriffe akzeptierten.<BR /><h3> <b>Zur Person</b></h3><div class="img-embed"><embed id="859277_image" /></div> <BR /><BR />Rolf Steininger war langjähriger Leiter des Instituts für Zeitgeschichte der Universität Innsbruck.<BR /><BR />Buchtipp: Rolf Steininger, Der Vietnamkrieg: ein furchtbarer Irrtum, Studienverlag Innsbruck 2018, 123 Seiten<BR /><BR />Hier können Sie das Buch bestellen: <a href="https://www.athesiabuch.it/de/list?cat=&quick=Der+Vietnamkrieg%3A+ein+furchtbarer+Irrtum" target="_blank" class="external-link-new-window" title="">www.athesiabuch.it</a><BR /><BR /><BR />