Im Interview erklärt die Direktorin der Caritas, warum die Lage der Menschen nach wie vor schwierig ist und welche Maßnahmen es bei der akuten Wohnungsnot bräuchte.<BR /><BR /><b>Seit dem 1. August 2022 sind Sie Caritas-Direktorin. Zeit für eine Zwischenbilanz...</b><BR />Beatrix Mairhofer: Die Aufgabe, die ich übernommen habe, ist sehr spannend und befriedigend. Nachdem die Caritas sehr viele verschiedene Dienste in Südtirol anbietet, ist sie natürlich auch herausfordernd. Herausfordernd ist auch, dass auf dem Territorium immer wieder neue Bedürfnisse erkannt werden, z. B. im Bereich Wohnen.<BR /><BR /><b> Herausfordernd sind auch Krisen, wie im vergangenen Jahr die Energiekrise oder Inflation…</b><BR />Mairhofer: Es war eine intensive Zeit, aber vor allem auch deswegen, weil ich mich richtig einarbeiten, die Menschen und die Dienste richtig kennenlernen wollte. Die Krisen kamen dann noch dazu. Aber in einer Organisation wie der Caritas wird es immer spannend und herausfordernd bleiben. So bricht die Schere auch bei uns immer weiter auseinander und die Caritas ist für die Menschen in Not da. <BR /><BR /><b>Das sind keine guten Zukunftsaussichten…</b><BR />Mairhofer: Es wird die größte Herausforderung in Südtirol sein, dass wir es schaffen, dass die Schere zwischen denen, die in Wohlstand leben, und jenen an der Armutsgrenze, nicht größer wird. Da braucht es aber die ganze Gesellschaft, und auch die Einsicht, dass das Soziale die ganze Gesellschaft betrifft. Also die Einsicht z. B. vonseiten des Unternehmertums. Auch sie müssen sich einbringen.<BR /><BR /><b>Wie könnte eine solche Einsicht Ihrer Meinung nach aussehen?</b><BR />Mairhofer: Wenn wir die Wohnungsnot anschauen: Viele Obdachlose haben einen Arbeitsvertrag. Die Arbeitskräfte werden gebraucht. Es kann also nicht sein, dass wir derzeit vielfach die Situation haben, dass der Arbeitgeber sich nicht kümmert, wo der Arbeitnehmer nach Feierabend bleibt. <BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><b>Was wäre also Ihr Vorschlag? </b><BR />Mairhofer: Das Unternehmertum muss sich auch an den Kosten beteiligen. Es kann nicht nur um den Gewinn gehen, und die Kosten werden an alle weitergegeben. Da braucht es die politischen Weichen und auch gesellschaftliches Engagement von allen Seiten. Wir werden als Caritas unseren Beitrag dazu leisten, aber nur wir allein können das nicht schaffen. <BR /><BR /><b>Die akute Wohnungsnot im Land ist immer wieder Thema. Was fällt Ihnen als Caritas-Direktorin noch auf?</b><BR />Mairhofer: Wir haben einige Projekte gemacht und sehen, dass es hauptsächlich bei den neuen Mitbürgern Ausbildung und Begleitung braucht. Nicht nur bei der Wohnungssuche, sondern auch in der ersten Phase des Wohnens. Wir begleiten eine kleine Anzahl von Personen, aber nichts im Vergleich dazu, was auf dem Territorium nötig wäre.<BR /><BR /><b>Was bieten Sie an?</b><BR />Mairhofer: Wir machen Kurse, zum Beispiel zum rechtlichen Rahmen und zu den Rechten eines Mietvertrages. Aber auch zu den Gewohnheiten. Wie wohnt man bei uns? Man muss putzen, lüften, den Müll ordentlich entsorgen. <BR /><BR /><b>Welche Maßnahmen bräuchte es?</b><BR />Mairhofer: Mehrere, in ganz verschiedenen Bereichen. Beim Thema Wohnen wäre eine Begleitung unerlässlich, damit es dann auch zur Zufriedenheit der Vermieter funktioniert. Es fehlt nicht nur der Wohnraum, es braucht auch Menschen, die Menschen begleiten. <BR /><BR /><b>Im Jahr 2022 haben so viele Menschen wie noch nie zuvor bei einigen Caritas-Diensten Hilfe gesucht. Merkt man nun eine Entspannung?</b><BR />Mairhofer: Nein, eigentlich nicht. Die Situation wird für viele sogar schwieriger. Die Preissteigerungen gehen bei uns nicht in dem Maße zurück, wie etwa im restlichen Staatsgebiet oder in Deutschland. Im Gegenteil, die Leitzinserhöhungen werden unglaubliche Auswirkungen haben.<BR /><BR /><b>Etwa für Menschen, die sich ein Eigenheim gekauft haben?</b><BR />Mairhofer: Genau, bei einem Darlehen haben sich die Rückzahlungsraten zum Teil verdoppelt. Da kann man sich vorstellen, was das für Schwierigkeiten mit sich bringt. Dadurch sind Familien mit mehreren Kindern, auch wenn diese noch klein sind, auf ein zweites Einkommen angewiesen, sodass beide Elternteile arbeiten gehen müssen, auch wenn sie ihre Kinder lieber selbst zu Hause betreuen würden.<BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><b>Die Hilfsbereitschaft im Land ist aber groß?</b><BR />Mairhofer: Nach wie vor sind viele Menschen bereit, etwas abzugeben und zu teilen. Das sehen wir vor allem bei großen Krisen wie etwa beim Erdbeben in der Türkei und in Syrien oder beim Ukraine-Krieg. <BR /><BR /><b>„D“: Was kann jeder Einzelne</b><b> tun?</b><BR />Mairhofer: Seelische Not und wirtschaftliche Not sind sich sehr nahe. Das eine bedingt das andere. Es ist wichtig, zum Nächsten hinzuschauen und sich zu kümmern, wie es ihm wirklich geht. Und bereit zu sein, wenn man selbst nicht helfen kann, etwas in Bewegung zu setzen, um Hilfe zu holen. In den Dörfern genauso wie in den Städten. <BR /><BR /><b> In den Städten ist die Caritas gut vertreten, in den Dörfern gibt es die Pfarrcaritas?</b><BR />Mairhofer: Die Pfarrcaritas ist unser Fühler vor Ort, wenn die Menschen Hilfe brauchen. Dann verweist sie an die Dienste der Caritas, aber auch an andere Vereinigungen vor Ort. Die Menschen schämen sich auch oft, Hilfe zu suchen. Deshalb ist es wichtig, hinzuschauen. <BR /><BR /><b> In finanzieller Not zu sein, ist also immer noch ein Tabuthema?</b><BR />Mairhofer: Ja, vor allem bei älteren Menschen. Sie haben ein Leben lang gearbeitet, und haben oft nur die Mindestrente. Sie schämen sich, um Hilfe zu bitten. Das soll so aber nicht sein. Wir als Caritas können helfen. Wichtig ist, dass die Leute zu uns kommen. In den Städten ist die Hemmschwelle da vielleicht noch geringer, weil es anonymer ist.<BR /><BR /><b>Die Caritas hat vor Kurzem</b><b> wieder die Aktion „Hunger kennt keine Ferien“ vorgestellt, mit der vor allem Menschen in Afrika unterstützt werden sollen. In Krisenzeiten wie diesen nicht einfach, eine Unterstützung auch hierzulande zu finden?</b><BR />Mairhofer: Ich bin sehr zuversichtlich. Auch weil man aus der Erfahrung der Caritas sieht, dass es viele Menschen auch bei uns gibt, die etwas übrighaben. Und gerade solche, die nicht so viel übrighaben, geben etwas ab, weil sie sehen, dass der andere es noch nötiger braucht. Ja, ich bin zuversichtlich, dass es immer noch Menschen gibt, die auch in Zukunft für den nächsten da sein möchten.<BR /><BR /><b> Welche nächsten Aufgaben stehen an? </b><BR />Mairhofer: Wir möchten die Hilfsangebote der Caritas bekannter machen: Wo wir überall Hilfe anbieten, auch für die Einheimischen. Wir wollen die Leute erreichen, sodass sie Hilfe in Anspruch nehmen. Dazu kommen noch die Herausforderungen auf dem Territorium, die anzunehmen sind. Wobei wir immer auch eine Stimme für jene erheben wollen, die keine Stimme haben.<BR /><BR />