Schon vor der eingezäunten Wiese in Barbian, einem kleinen Dorf über dem Eisacktal, wird deutlich, dass es sich beim Tagesziel um kein gewöhnliches Bergquartier handelt. Da ist das handbemalte Schild mit dem Hinweis auf den Privatparkplatz. Da stehen nicht ganz billige Autos, etliche mit deutschem Kennzeichen, umrahmt von moosbedeckten Edelkastanien. Und da ist Herr Torggler mit seinem Geländewagen. „G`schichten könnt ich erzählen, ohne Ende, über die Gäste und Besitzer der Pension Briol“, grinst der alte Herr mit bunter Krawatte, während er die Neuankömmlinge über eine Holperpiste hinaufkurvt. <BR /><BR />Unlängst erst hätte er zwei Moskauer Architekten chauffiert, überhaupt befänden sich unter den Briol-Freunden auffällig viele Architekturinteressierte, sagt Torggler. Und dann sei vor einigen Tagen diese Dame aus Mailand mitgefahren. „Sie ist fast narrisch g´worden, weil es hier überall so steil hinunter geht!“<BR /><BR />Die beschwerliche Anfahrt, vorbei an verwitterten Marterln, ist die beste Einstimmung auf das, was einen oben auf 1310 Metern erwartet: ein schlichtes dreistöckiges Haus mit Verblendungen aus Lärchenholz in der Form eines länglichen Kubus. 20 rustikale Zimmer werden in dem beinahe 100 Jahre alten Gebäude inmitten einer Streuobstwiese vermietet.<h3> Nichts stört die Stille</h3> Auf einer Loggia fläzen Gäste in Liegestühlen, die man andernorts längst entsorgt hätte, dösen oder lesen ein Buch, auf Fensterbänken trocknen unterdessen ihre Bergstiefel. Nachdem das Geländetaxi verschwunden ist, stört kein Motorenlärm, kein Radiogedudel die Stille. <BR /><BR />Im Flur wartet Johanna Fink. Die Wirtin schenkt selbstgebrannten Obstler aus, „unser Begrüßungsritual“, und lobt die Weitsicht ihrer Tanten Eti, Hermine sowie Elisabeth, welche in den 1970er Jahren ein Angebot der Landesregierung zum Ausbau der Zufahrtsstraße ablehnten. „Sogar Silvius Magnago, der damalige Landeshauptmann, wollte sie dazu überreden. Heute zeigt sich, dass ein Parkplatz oder eine Garage voller Autos den Zauber dieses Ortes zerstört hätten“. Stattdessen blieb eine angenehm altmodische Atmosphäre erhalten. <BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="891719_image" /></div> <BR /><BR />„Wir sind meist Monate im Voraus ausgebucht“, erzählt Johanna Fink. Sie sagt das eher beiläufig, während sie über eine Holztreppe vorangeht, um die Gästezimmer zu zeigen. Man kann diese nicht abschließen, eine Rezeption existiert im Haus ebenso wenig. „So fühlt man sich wie zu Besuch bei Freunden“, erklärt die Hausherrin. <BR /><BR />Die Zimmermöblierung ist karg, auf das Wesentliche reduziert: ein Schrank, ein Bett, daneben das Nachtkästchen. Auf einer hölzernen Ablage stehen Blech-Krug und Schüssel für die Katzenwäsche bereit. Klo und Duschkabine befinden sich auf dem Gang – das Alte dient in diesem Haus eben nicht als Dekoration oder ironisches Zitat, sondern erfüllt nach wie vor seinen Zweck. Wie etwa eine rußgeschwärzte Bratpfanne unter dem Vordach im Freien, welche im Herbst beim Kastanienbraten im Einsatz sein wird. Oder die abgewetzten Sessel im Bibliothekszimmer, das von einem Bauernofen beheizt wird, und wo eine mannshohe Standuhr leise vor sich hin tickt. <h3> Ein Gesamtkunstwerk</h3>„Briol war immer ein Ort der Muße und Geselligkeit“, sagt Johanna Fink, sie hat hier als Kind im Schoß der Großfamilie die Sommermonate verbracht. Bei älteren Pensionsgästen weckt das Knarren der Dielenböden Erinnerungen an Gerüche, Farben und Geräusche im Haus der Großeltern. Doch auch die Jüngeren lassen sich schnell gefangen nehmen von der besonderen Stimmung in der Pension, die von der Familie noch immer als Sommerfrische genutzt wird. <BR /><BR />Manche behaupten sogar, dass hier im Mittelgebirge über dem Eisacktal der Ursprung dieser speziellen Lebensform liegt. Zwei wichtige Aspekte, Abgeschiedenheit und eine merkwürdige Zeitenthobenheit, sind hier immer noch gegeben. <BR /><BR />Trotz Patina wirkt das besondere Gästehaus nicht zweitklassig. Im Gegenteil, Briol ist ein Juwel. Ende des 19. Jahrhunderts vom Bozner Seiden- und Porzellanhändler Heinrich Settari für seine Gattin Johanna errichtet, bekam das Haus 1928 die heutige Gestalt. <BR /><BR />Der Innsbrucker Künstler Hubert Lanzinger, ein Schwiegersohn der Settaris, schuf damals ein Gesamtkunstwerk im Bauhausstil. Dass es erhalten blieb, samt Tafelsilber und Originalmöbeln, ist seiner Enkelin Johanna Fink zu verdanken. Und den bereits erwähnten, unverheiratet gebliebenen Tanten, von denen die heutige Besitzerin die Pension geerbt hat. „Sie wussten um den Wert des Einfachen“, sagt Fink. Briol wäre halt „seit 3 Generationen ein Frauenberg, eine Herzensangelegenheit.“<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="891722_image" /></div> <BR /><BR /> Mittlerweile mischt die vierte Generation kräftig mit – die 4 Kinder Johanna Finks setzen vor allem auf eine regionale, bodenständige Küche.<BR /><BR />Möglichst große Gewinne zu erzielen, sei hier nie das Ziel gewesen. Auf Nachfrage verhehlt die Chefin allerdings nicht, dass das nur dank eines über Generationen vermehrten Wohlstandes möglich ist. Dass dabei Bodenhaftung und guter Geschmack nicht auf der Strecke blieben, ist ein sympathischer Nebeneffekt. Denn jeder halbwegs Geschäftstüchtige hätte auf der natürlichen Geländeterrasse, wo gegenüber die noch schneebedeckte Geislergruppe, Schlern- und Langkofelspitze im Sonnenlicht glitzern, nur eines im Sinn: das ehrwürdige Gemäuer abzureißen und an seine Stelle ein großes Hotel zu setzen.<BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="891725_image" /></div> <BR /><BR /> Die Herrin von Briol hingegen lächelt freundlich und meint, die Vorfahren hätten gewollt, „dass sich hier nichts verändert.“ Nur behutsam wurde technischer Fortschritt zugelassen, zum Beispiel auf dem Dach eine Solaranlage. Bei Schlechtwetter dient reichlich vorhandenes Brennholz zur Warmwasserbereitung. Als größere Projekte kamen ein Holzrundbau mit großer Dachterrasse und ein zwischen Fichten verstecktes Baumhaus hinzu. Die beiden Neubauten sind über das ganze Jahr geöffnet. <BR /><BR />Offenkundig wurde in Briol vieles richtig gemacht. Als Quartier bei Architekturliebhabern sehr gefragt ist neben dem Haupthaus mit der Pension außerdem die „Kaffee-Mühle“. Das wenige Gehminuten entfernte Nebenhaus, ein Werk des renommierten in München geborenen Architekten Lois Welzenbacher aus den frühen 1920er Jahren - es gehört ebenfalls zum Familienbesitz – , beeindruckt mit einer asymmetrischen Form. Mit weißer Kalkfassade sowie einem spiralhaft aufsteigenden Zeltdach, wirkt das Gebäude wie ein modernes Ausrufezeichen vor der bäuerlichen Kulisse ringsum. Vielleicht um sich das ungewohnt schnörkellose Gebäude doch vertraut zu machen, hätten ihm die Einheimischen den Namen „Kaffeemühle“ verpasst, erklärt uns ein Herr aus München, der den ganzen Tag mit dem Fotoapparat herumstreift.<h3> Das berühmte Bauernheiligtum</h3> „Man verbringt hier intensive Tage. Wer nach Briol fährt, will ankommen“, meint hingegen eine alleinerziehende Mutter, Angestellte einer großen Fluggesellschaft, die in der Pension mit 2 halbwüchsigen Kindern Urlaub macht. Wanderer können von Briol aus mittelschwere Touren unternehmen, hinauf zur Schwarzseespitze etwa oder auf das Rittner Horn. <BR /><BR />Weniger Sportliche spazieren zum nahe gelegenen Bauernheiligtum Bad Dreikirchen. In dem Gasthof nebenan lernte Christian Morgenstern seine künftige Frau kennen. Sigmund Freud, der ebenfalls in Dreikirchen kurte, hat von der „entzückende (n) Einsamkeit“ berichtet. Er fand hier „Berg, Wald, Blumen, Wasser…und keine Menschen….“ Wenn man denn will, kann man es heute genauso haben.<BR /><BR /><BR /><BR /><BR />