Über Baumaßnahmen, einen Startschuss mit Pannen, fliegende Torstangen, die Pisten, improvisierte Reporter und spannende Infos zu den Teilnehmern an den Wettkämpfen wie zum Beispiel dem US-Boy Billy Kidd: Erinnerungen, Kuriositäten und Anekdoten zur legendären WM 1970 in Gröden. <BR /><BR />Ich kehrte im Mai 1967 von der Schule nach Hause zurück und schaute kurz in der Schneiderwerkstätte vorbei. „Wir haben gewonnen“, empfing mich mein Großvater und erläuterte, dass es den Grödner Bewerbern gelungen war, die Ski-WM ins Tal zu holen. Die Freude war groß, denn Opa Luis hoffte auf einen Start seines Neffen Ivo, und wie ihm erging es einer Mehrheit an Talbewohnern, die den „Helden von Beirut“ einen herzlichen Empfang bereiteten.<BR /><BR />Es war den Pionieren echt gelungen, beim FIS-Kongress die Mehrzahl der Stimmen zu erobern: Edmund Dellago und Erich Demetz mit ihrer Lobby-Arbeit, vor allem aber Tschucky Kerschbaumer mit seinen durchzechten Nächten. Am Ende war die Konkurrenz geschlagen, renommierte Orte wie Kitzbühel waren auf der Strecke geblieben: 1970 sollte die Ski-WM in diesem entlegenen Tal Südtirols stattfinden.<BR /><BR />Mein Großvater sollte jedoch die WM nicht mehr erleben, denn einen Monat davor starb er, ziemlich unerwartet.<BR /><BR /><b>Notwendige Baumaßnahmen</b><BR /><BR />Zunächst galt es, Gröden für die WM herzurichten. Skipisten waren kaum vorhanden, aber die Organisatoren hatten ein Konzept. 2 Abfahrtsstrecken entstanden in kürzester Zeit: die „Cir“ von Dantercepies ins Langental und die „Saslonch“ von Ciampinëi nach Ruacia. Böse Zungen bezeichneten die Strecken als „Autobahnen“, aber heute noch sind beide Skiabfahrten faszinierend wie eh und je: Die „Cir“ als beliebte Variante für gemütlichere Fahrerinnen und Fahrer, die „Saslonch“ ist bis heute alljährlich Schauplatz eines der großen Klassiker im Weltcup – und keineswegs ein Kinderspiel.<BR /><BR />In Urtijëi/St. Ulrich, wo der Slalom geplant war, musste ein Teil des Waldes in Sureghes/Überwasser gerodet werden. Unterhalb Pradel holzte man gehörig ab, der Ronc-Lift wurde verlegt, und schon hatte man mit dem „Canalone“ einen der weltweit tollsten und anspruchsvollsten Slalomhänge. Unglaublich und unverständlich, dass man dieses Kleinod nicht nachhaltig genutzt hat...<BR /><BR />Nachhaltig war auch der Bau verschiedener Gebäude in den Ortschaften. Sëlva/Wolkenstein erhielt ein Kulturhaus, das bei der WM als Sub-Pressezentrum genutzt wurde, St. Christinas Rathaus stammt ebenfalls aus dem Jahr 1970. <BR /><BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="722699_image" /></div> <BR /><BR />In St. Ulrich fielen das damalige Rathaus und das Gebäude, das provisorisch die Mittelschule beherbergte, der Spitzhacke zum Opfer. Statt dessen wollte man ein so genanntes Kongresshaus bauen, das als Haupt-Pressezentrum dienen sollte. Architektonisch war es ein Ungetüm, und so regte sich Protest im Ort, und manche Ulricher demonstrierten mit dem Spruch „Platz auf dem Platz“, wollten einen größeren Kirchplatz. Doch diese Stimmen verstummten bald, das klobige Gebäude wurde aufgestellt. Und viele erkannten bald die hervorragende Akustik im großen Saal, dem Herzstück des Gebäudes. Heute kann man sich St. Ulrichs Kulturwelt gar nicht ohne das (zwischendurch auch außen verbesserte) Kulturhaus vorstellen.<BR /><BR />Auch bei uns zu Hause wurde emsig gearbeitet. In der Schneiderwerkstatt gingen Aufträge ein, Fahnen zu nähen, und so stapelten sich in der Werkstätte Stoffe in den unterschiedlichsten Farben. Ich erinnere mich, wie eine Fahne Rumäniens angefertigt wurde.<BR /><BR /><b>Startschuss mit Pannen</b><BR /><BR />Von der Eröffnungsfeier habe ich nur mehr vage Erinnerungen. Angeblich hatte das italienische Staatsfernsehen die österreichische Delegation mit voller Absicht ignoriert, zeigte Landschaftsbilder oder Düsenflugzeuge, als Karl Schranz, Annemarie Moser oder Werner Bleiner ins Eisstadion in St. Ulrich einmarschierten. Dass dann die Musikkapelle am Ende den „Radetzkymarsch“ ertönen ließ, ließ sich wohl nicht vermeiden und verbergen. Aber irgendwo hallte noch immer etwas Bitternis nach den Ereignissen der 1960er Jahre („Bombenjahre“) bei den Italienern nach.<BR /><BR />Dazu gab es eine Polemik wegen der Qualifikation zum WM-Slalom, die einige Top-Fahrer auf die Palme brachte. Doch die rigoros gelenkte FIS zog das durch – wer nicht wollte, durfte sogleich das Rückfahrtticket buchen.<BR /><BR /><b>Endlich die Wettkämpfe</b><BR /><BR />Das Wetter meinte es gut mit den Grödnern. Was im Tal der Herrgottsschnitzer (ein Begriff, den die „Dolomiten“-Journalistenlegende Pepi Außersdorfer geprägt hat) ja nicht verwunderlich war. Nachts schneite es zumeist, tagsüber schien die Sonne. Ideal für die Zuschauer, die in Massen in die 4 (!) verschiedenen Zielräume strömten (heute wäre so etwas rein aus fernsehtechnischen Überlegungen nicht mehr denkbar), schlecht für jene Skifahrer, die niedrige Startnummern gezogen hatten.<BR /><BR />So war beispielsweise die Endzeit auf der „Saslonch“ um gut 7 Sekunden langsamer als beim WM-Test 1969, den der Schweizer Jean Daniel Dätwyler gewonnen hatte. Und wieder waren 1970 die Eidgenossen die Protagonisten der WM-Entscheidung. Nachdem Dätwyler mit niedriger Startnummer eine hohe Zeit erzielt hatte, funkte man zum Start hinauf, man müsse das Wachs von den Skiern abkratzen. Was bei Bernhard Russi auch funktionierte. Mit Startnummer 15 preschte der Schweizer zum Titel, überholte den Österreicher Karl Cordin und den Australier Malcolm Milne, der eine historische erste Ski-Medaille für das Land „down under“ erobert hatte. Der Nordtiroler Top-Favorit Karl Schranz aus St. Anton am Arlberg landete auf dem undankbaren vierten Rang.<BR /><BR />Überraschend kam auch der Schweizer Sieg von Annerösli Zryd in der Frauen-Abfahrt, wo sich eigentlich Olga Pall aus Österreich selbst schon zur Vortages-Weltmeisterin gekrönt hatte.<BR /><BR />Für die tollste Überraschung sorgte wohl die damals erst 16-jährige Kanadierin Betsy Clifford, die den Riesentorlauf (damals in einem einzigen Lauf durchgeführt) für sich entscheiden konnte. Das Mädel aus Übersee hatte angeblich die Nacht zuvor recht „feuchtfröhlich“ verbracht, aber vielleicht gerade dadurch die Unbekümmerheit erlangt, zum WM-Titel zu sausen.<BR /><BR /><b>Fliegende Torstangen</b><BR /><BR />Als St. Ulricher lag mir der Torlauf am meisten am Herzen. Von zu Hause aus konnte ich den Pistenrand in 3 Minuten erreichen. Patrick Russell aus Frankreich war der Benjamin der Fans (wohl auch deshalb wurden in diesem Jahr mehrere Kinder in St. Ulrich auf den Namen Patrick getauft), doch am Ende hatte ein anderer Franzose, nämlich Jean Noel Augert, die Nase vorne.<BR /><BR />Mich aber beeindruckte mehr der US-Boy Billy Kidd, der im zweiten Durchgang voll auf Angriff schaltete und von der Piza de Ronc bis zum Sträßchen zwischen Ronc und Pradel gar alle Torstangen „niedermähte“. Es gab damals noch keine Kippstangen, und mir taten die Skilehrer leid, die nach Kidds Fahrt alle Holzstangen wieder einsammeln und neu in den Schnee bohren mussten. Aber der Amerikaner holte sich durch seine ungestüme Fahrt Bronze in der Slalom-Wertung und sicherte sich auch WM-Gold in der Kombination, damals noch mit einem gesonderten Punktesystem ausgetüftelt.<BR /><BR />Traurig war ich, als Gustav Thöni im Riesentorlauf gar nie von den TV-Kameras eingefangen wurde. Er war schon weiter oben, wohin die Kameras nicht reichten, ausgeschieden.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="722702_image" /></div> <BR /><b>Improvisierte Reporter</b><BR /><BR />Einer, der ebenfalls eine besondere Erinnerung an die WM 1970 in Gröden hat, ist Ludwig Prinoth. Der damals 28-Jährige war vom legendären Bruno Moroder als Gehilfe fürs ladinische Radio engagiert worden. So trottete der junge Bursch mit seinem gigantischen Tonbandgerät durchs Tal. Er erinnert sich: „Schon am ersten Tag suchte ich mir einen Helfer, denn das Gerät war schwer, zudem musste ich ja Mikrofon und Spulen mittragen“. In Franz Hofer „Fistol“ fand Prinoth einen sportbegeisterten Gesellen, und so zog das Duo von Piste zu Piste, von Zielraum zu Zielraum. Das erste Interview galt dem prominenten Schauspielerpaar Raimondo Vianello und Sandra Mondaini, doch Ludi Prinoth hatte auch Sieger und Besiegte vor seinem Mikrofon. Die Abende im „Gran Tublà“ waren legendär…<BR /><BR /><b>Das Tor zur Welt</b><BR /><BR />Vieles wäre noch zu schreiben. Anekdoten und Kuriositäten, Lustiges und Trauriges (der Österreicher Herbert Huber erlitt in der Nacht vor dem Slalom einen Nervenzusammenbruch und verzichtete auf den Start) haben eine Woche geprägt, die Gröden wohl nie vergessen wird.<BR /><BR />Doch hauptsächlich war die WM damals ein Schlüssel, der Gröden für die Welt und noch mehr die Welt für Gröden geöffnet hatte. Plötzlich war das Tal bekannt, es entstand ein Boom, der sehr viel Gutes ins Tal gebracht hat. Einen Bekanntheitsgrad, den man heute auch hinterfragen muss, wobei es wichtig wäre, die guten Aspekte von negativen Randerscheinungen zu distanzieren. Auf jeden Fall war es ein historischer Moment. Den jeder Mensch sehr unterschiedlich erlebt hat.